Interview

Bremer Darts-Experte Seyler: "Clemens wird einen Boom auslösen"

Gabriel Clemens konzentriert beim Wurf während des WM-Halbfinales gegen Michael Smith.

Ende des deutschen Darts-Märchens – Clemens ausgeschieden

Bild: dpa | Action Plus / Shaun Brooks

Millionen Zuschauer fieberten mit Gabriel Clemens bei der Dart-WM mit – und haben jetzt selbst Lust den früheren Kneipensport auszuprobieren. Aber worauf kommt es an?

In der Darts-Szene kennen alle Tomas "Shorty" Seyler. Der inzwischen 48 Jahre alte Bremerhavener war mehrfach deutscher Meister und die deutsche Nummer eins und hat sich als langjähriger Fernseh-Experte einen Namen gemacht.

Im Interview mit buten un binnen spricht Seyler über die Hoffnung auf den nächsten Darts-Hype durch Gabriel Clemens, das Wichtigste zwischen den Ohren und warum die Bremer Darts-Szene richtig gut aufgestellt ist.

Der Bremer Dart-Profi Tomas "Shorty" Seyler konzentriert bei einem Wurf.
Der Bremerhavener Tomas "Shorty" Seyler ist weiterhin für den DC Vegesack-Bremen aktiv. Bild: Imago | ActionPlus

Herr Seyler, das deutsche Darts-Märchen bei der WM ist zwar zu Ende, aber gefühlt ist gerade das Darts-Fieber ausgebrochen. Was braucht es, um Darts zu spielen – Gefühl im Arm und gutes Kopfrechnen?

Erstmal ist es die Grundstellung: Als Rechtshänder nimmt man das rechte Bein nach vorne und als Linkshänder das linke und dann gibt es eine natürliche Wurfbewegung, die jeder in sich hat. Wenn man einen Stein ins Wasser wirft zum Beispiel. Es geht darum, aus 2,37 Meter Entfernung eine aufrecht stehende Maccaroni mit acht Millimeter Durchmesser zu treffen. Und das manchmal anderthalb Stunden lang und eben etwas besser als dein Gegner.

Es sieht bei den Profis sehr leicht aus...

Es sieht einfach aus, ist es aber nicht. Und das ist für die Leute so schwer zu begreifen, aber das macht den Bock auf diesen Sport aus und darum wollen alle an die Scheibe ran. Es ist eine Hochkonzentrations-Sportart, ähnlich wie Schach. Die Spieler schwitzen nicht, weil sie sich totrennen, sondern weil sie sich mental anstrengen, um auf den Punkt diese Trefferbilder abzuliefern. Ein guter Darts-Spieler zu sein befindet sich nur zwischen den Ohren.

Nahaufnahme einer Dartscheibe, in der drei Pfeile stecken.
Millimeterarbeit: Beim Darts-Spiel geht es um absolute Präzision, Geschick und Konzentration. Bild: dpa | Norbert Schmidt

Also kommt es gar nicht vor allem darauf an, einen guten Wurfarm zu haben?

Man braucht kein Krafttraining, keinen gemeißelten Körper. Die Technik, richtig zu stehen und zu werfen, kann man lernen – es geht nur um das zwischen deinen Ohren. Kannst du unter mentalem Druck die acht Millimeter treffen oder nicht? Es ist eine brutale Schlacht, die zu 90 Prozent nur im Kopf stattfindet. Es gibt auch keinen körperlichen Vorteil für einen Mann gegenüber einer Frau. Wenn du im Kopf besser bist, gewinnst du. Ganz einfach.

Ganz so einfach ist es wohl doch nicht. Den Kopf muss man erst einmal frei kriegen...

Ja, die Attitüde ist wichtig. Nichts ist besser, als wenn du ein gutes Gefühl hast und kampfbereit bist, um deinen Sport auszuüben. Dann bist du ein gefährlicher Spieler. Aber hast du Ärger im Job oder mit der Freundin und kämpfst irgendetwas in deinem Kopf durch, wirst du am Board nichts treffen. Weil du nur am Denken bist. Du musst am besten die Birne leeren und einfach nur Spaß haben.

Spaß hat vielen das Zuschauen gemacht, nun wollen sie es selbst ausprobieren. Es ist ein kostengünstiger Sport. Eigentlich müsste Darts doch das Potenzial zum Breitensport haben. Wie sehen Sie das?

Sie sprechen mir aus der Seele – es ist genau das. Man braucht so wenig Platz zum Spielen, man hat 50 bis 100 Euro Erstanschaffungskosten für ein Board, das mehrere Jahre hält. Für Kinder ist es ideal, sie wachsen mit dem Board. Beim Fußball oder Handball brauchen sie dauernd neue Sachen, hier nicht. Und wenn man ein 'Couch-Potato'-Kind hat, das nur vor dem Computer hängt, das kriegt man in Bewegung und es bekommt das Gefühl von Mannschaftssport. Wir hören auch oft: 'Mein Kind war immer so hibbelig und jetzt hat es Bock auf Kopfrechnen.' Fürs Rechnen und den Fokus auf einen Punkt ist Darts perfekt. Man wird viel entspannter und ruhiger. Und das Rechnen kommt ganz automatisch beim Spielen. Der Sport hat noch viel Potenzial, sich in Deutschland breit zu machen. Solche Ergebnisse wie bei der WM können nur helfen.

Dart-Spieler Gabriel Clemens reckt überglücklich die Fäuste hoch nach seinem Halbfinaleinzug bei der WM.
Der neue deutsche Darts-Held: Gabriel Clemens aus dem Saarland spielte sich bei der WM in die Herzen der Fans. Bild: Imago | Action Plus

Sie sprechen Gabriel Clemens an, der mit seinem WM-Halbfinaleinzug deutsche Darts-Geschichte geschrieben hat. Er war auf Titelseiten, in der Tagesschau und über drei Millionen Zuschauer verfolgten seine Spiele – kann sein Erfolg einen Darts-Boom auslösen?

Clemens wird einen Boom auslösen, weil er ein tierischer Sympat mit unfassbar trockenem Humor ist. Einfach ein geiler Spieler. Der ist ja mit einer Ruhe gesegnet, die ist kolossal. Aber ich denke, wir haben die Darts-Fans schon jahrelang eingesammelt. Wir finden seit 2005 im Fernsehen statt. Wir haben mit neun Livestunden angefangen, jetzt sind wir bei 100 Stunden im Jahr. Da kann kaum eine andere traditionelle Sportart wie Handball, Volleyball oder Tischtennis mithalten. Wir haben inzwischen mehrere hunderttausend Mitglieder in Deutschland und die Sportart wächst immer weiter.

Vor 2005 gab es Darts gar nicht in Sportvereinen, nur in der Kneipe. Jetzt sind wir an Schulen, in Jugendfreizeitheimen, in Vereinen. Überall, wo wir vorher belächelt wurden: 'Ach, das sind die dicken Tätowierten, die saufen', hieß es. Jetzt haben wir das Potenzial für Breitensport mit diesem 'Becker-Effekt' durch Gabriel Clemens.

Sie erhoffen sich also wie nach Boris Beckers Wimbledon-Sieg, dass nun nicht die Tennis- sondern die Darts-Vereine noch mehr gestürmt werden?

Ja, wir haben jetzt endlich drei, vier Typen in Deutschland, die sich die Weltspitze reingeboxt haben. Und Clemens gibt dem Boom den nächsten Schubs. Am Wochenende findet im Weserpark zum Beispiel wieder eine Darts-Veranstaltung statt. Da war Clemens auch schon ein paar Mal dabei, weil wir in Bremen schon lange gesehen haben, was er kann. Dieses Einkaufszentrum macht seit Jahren den Darts-Hype mit, weil man ihn auf kleiner Fläche so wunderbar präsentieren kann. Da sind jedes Mal ein paar hundert Zuschauer, die Ränge sind voll. Es ist Wahnsinn, wie gut Darts von der breiten Masse angenommen wird.

Dart-Spieler Gabriel Clemens von der Seite bei einem Wurf im Halbfinale der WM.
Nur 2,37 Meter entfernt und doch so weit – Darts ist schwieriger, als es die Profis wie Gabriel Clemens aussehen lassen. Bild: Imago | Action Plus

Was würden Sie denn denen empfehlen, die Darts in Bremen oder Bremerhaven mal ausprobieren wollen?

Am besten sollte man den Hanseatisch-Bremischen Darts-Verband (HBDV) kontaktieren. Dort kann man nachfragen, wann das nächste Ausscheidungsturnier in Findorff stattfindet. Die gibt es sechs, sieben Mal im Jahr und dort kann man vor Ort alles anschauen und Kontakte herstellen. Bin ich eher der Mensch, der in der Kneipe spielt oder lieber im Verein? Es gibt in Bremen und Bremerhaven sehr viele Möglichkeiten, Darts zu spielen. Und dort bekommt man einen guten Überblick.

Um die Bremer Darts-Szene ist es gut bestellt, immerhin ist der DC Vegesack deutscher Rekordmeister.

Ja, der DC Vegesack ist eine Wahnsinns-Mannschaft. Sie hat es geschafft, acht Mal Teammeister zu werden, das ist noch keinem anderen Verein in Deutschland gelungen. Wir bringen da viel auf den Weg, ich bin Feuer und Flamme für Darts. Und es macht mich einfach glücklich, meiner Sportart beim Erwachsenwerden zuzuschauen.

Welches Ergebnis beim WM-Finale würde Sie denn glücklich machen?

Es ist auf jeden Fall ein verdientes Finale, die beiden Stärksten haben sich durchgesetzt. Ich würde es Michael Smith wünschen, weil er sich in den letzten Jahren verdient hat. Aber der klare Favorit ist Michael van Gerwen. Ich sage trotzdem: Der Außenseiter gewinnt seinen ersten WM-Titel.

Update: Das Interview wurde vor dem WM-Finale geführt. Gewonnen hat das Turnier der 32 Jahre alte Engländer Michael Smith. Er setzte sich mit 7:4 gegen den Niederländer Michael van Gerwen durch.

Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Rundschau, 3. Januar 2023, 7 Uhr