So wagen diese Ukrainerinnen in Bremen einen beruflichen Neuanfang

Eine Ukrainerin bei ihrer Arbeit in einem Nagelstudio in Bremen
Seit zweieinhalb Monaten bieten die Schwestern in Bremen Maniküren an. Bild: Radio Bremen

Die Schönheitspflege ist für Ukrainerinnen sehr wichtig, sagt Natalyia aus Zhytomyr. In dieser Branche arbeiten die Nagelsdesignerin und ihre Schwester. Jetzt haben sie ein Studio.

Im Zentrum von Bremen, in einem Gebäude in der Nähe des Bahnhofs, öffnet eine junge Frau die Tür für neue Gäste. Für manche ist es eine gewöhnliche, unauffällige Tür, aber nicht für viele ukrainische Frauen. Denn diese Tür führt sie in eine Schönheitsecke, in der sie eine Maniküre von den ukrainischen Schwestern Nataliya (28) und Daria (33) aus Zhytomyr bekommen können. Seit zweieinhalb Monaten arbeiten sie in einem gemieteten Raum im Schönheitssalon in Bremen.

Eine Ukrainerin bei ihrer Arbeit in einem Nagelstudio in Bremen
Nataliya ist stolz auf ihren neuen Salon. Bild: Radio Bremen

Es ist Mittagszeit und der Salon voller Frauen und Mädchen. Kinder rennen herum und warten darauf, dass ihre Mütter mit der Maniküre fertig sind.

Nataliya kam mit ihrer Schwester Darya, ihrer Mutter und Nataliyas zweijährigem Sohn Ihor nach Bremen. "Ich habe eine Bekannte in Bremen, die einen Deutschen geheiratet hat und uns in die Stadt eingeladen hat. Wir haben beschlossen, hierher zu kommen, um näher bei ihr zu sein und um Hilfe zu bekommen", sagt Nataliya. Nataliya zufolge waren sie von Anfang an entschlossen, einen Job zu finden, Geld zu verdienen und ihr eigenes Geschäft aufzubauen.

Ich bin es gewohnt, immer zu arbeiten, und es ist mir wichtig, nicht auf Kosten des Staats zu leben.

Nataliya, Nageldesignerin aus Zhytomyr

In ihrer Heimatstadt Zhytomyr sind Nataliya und Darya seit über zehn Jahren im Maniküregeschäft tätig. Vor dem Krieg erwarben die Frauen ein Diplom, das ihnen ermöglicht, ihr eigenes Ausbildungsprogramm zu starten. Der Krieg zwang sie dazu, alles aufzugeben, in das sie so lange Geld und Herzblut gesteckt hatten. Sie mussten ihren Salon schließen und ihre Liebsten zu Hause lassen. Nataliya hat ihren Mann seit fünf Monaten nicht mehr gesehen.

Der Weg zum eigenen Nagelstudio

Die Frauen beschlossen, in Deutschland ein neues Leben zu beginnen, mit dem, was sie am besten können – Maniküre. "Wir kamen im März in Bremen an und verbrachten etwa dreieinhalb Monate damit, über die Idee nachzudenken, hier als Privatunternehmerinnen zu arbeiten. Und innerhalb weniger Wochen war alles arrangiert", erzählt Nataliya. "Der ganze Prozess ging eigentlich sehr schnell. Bis auf einen Freund, der uns gesagt hat, wo wir hinmüssen, hat uns niemand geholfen. Zuerst waren wir beim Finanzamt, um alle Einzelheiten zu klären, dann haben wir einen Mietvertrag bekommen und nach und nach mit der Arbeit begonnen. Das Schwierigste war, einen Buchhalter zu finden, der uns helfen konnte, weil wir kein Deutsch sprechen. Wir hatten Glück und fanden eine Buchhalterin aus Kasachstan. Sie spricht Russisch und hat alles für uns arrangiert."

Um als Privatunternehmerin einen Schönheitssalon zu mieten, musste Nataliya einen Mietvertrag, ein Gewerbe und eine Steuernummer haben. Im Vergleich zur Ukraine sind die Mietpreise hier etwas höher. Eine Maniküre zum Beispiel kostet in Bremen etwa 25 Euro, in der Ukraine bekommt man die selbe Leistung für zehn Euro. Vor der Maniküre kann man sich mit Kaffee, Tee oder sogar Champagner verwöhnen lassen.

Mund-zu-Mund-Empfehlungen für die Maniküre

"Natürlich gibt es hier mehr Möglichkeiten als in Zhytomyr. Jetzt ist es schwierig, etwas über die Einnahmen zu sagen, weil wir gerade erst anfangen, einen Kundenstamm aufzubauen. Hier kostet der Service dreimal so viel, aber im Moment haben wir keine Werbung, außer auf Instagram. Und so erfahren die Mädchen durch Telegram-Gruppen für Flüchtlinge aus der Ukraine von uns. Oder durch Bekannte", erklärt Nataliya und fügt hinzu, dass sie in Zukunft hier mehr verdienen kann, aber die Lebenshaltungskosten in Deutschland höher sind.

Alle Maniküre-Materialien bestellt Nataliya in der Ukraine. Denn was sie für ihre Arbeit braucht, sei in Bremen nicht erhältlich. Trotz der fehlenden Werbung ist Nataliyas Arbeitstag voll. "Jetzt sind viele unserer ukrainischen Mädchen hier, für uns ist es normal, uns um unser Aussehen zu kümmern, und es gibt eine sehr lange Schlange. Unsere Mädchen drängen uns geradezu, Maniküre und Pediküre zu bekommen."

Es kommen auch Einheimische, aber nicht so viele. Aber die einheimischen Frauen, die kommen, wollen sofort einen Termin für das nächste Mal vereinbaren.

Nataliya, Unternehmerin aus der Ukraine

Unterschiedliche Manikürekulturen in der Ukraine und in Deutschland

Eine Ukrainerin bei ihrer Arbeit in einem Nagelstudio in Bremen
Nataliya und Daria erfüllen ihren Kundinnen jeden Wunsch. Bild: Radio Bremen

In der Ukraine verbringen die Frauen viel Zeit mit Körperpflege. Die Frauen scherzen, dass es zwei Arten von Beziehungen gibt: eine vorübergehende, wie die mit dem Ehemann, wenn man heiratet, und eine ewige, die für immer hält – wie die mit seiner Nageldesignerin. Denn es ist manchmal schwieriger, eine gute Maniküremeisterin zu finden als einen Seelenverwandten.

Für die Maniküre wählen ukrainische Frauen in der Regel kräftige Farben und Gel-Lack. Gleichzeitig bevorzugen deutsche Frauen unauffällige Nägel und lackieren sie im Allgemeinen häufiger nicht mit Gel, sondern mit normalem Nagellack – so Nataliyas Beobachtungen. Außerdem ist in der Ukraine eine sogenannte vierhändige Maniküre und Pediküre im Trend, bei der zwei Meisterinnen beides auf einmal machen. Nataliya sagt, dass sie eine solche Dienstleistung hier noch nie gesehen hat.

Wir können uns das Essen verweigern, aber nicht die Schönheitspflege.

Nataliya, Nageldesignerin aus Zhytomyr

Die Kultur der Maniküre in der Ukraine und in Deutschland ist unterschiedlich. Nataliya zufolge beschweren sich 95 Prozent der Frauen aus der Ukraine, die zu ihr kommen, über das Niveau der Maniküre in Bremen: Sie sei schnell gemacht, in nur 15 Minuten, aber nicht von hoher Qualität und sie müssten viel mehr bezahlen als früher. Außerdem hat Nataliya beobachtet, dass vielfach noch in ihren Augen veraltete Techniken zum Einsatz kommen. "Eine Nageldesignerin muss ihr Wissen ständig aktualisieren, weil sich die Technologien in der Maniküre, in der Beschichtung und in den Materialien ändern."

So soll es weitergehen

Zusammen mit Nataliya und Darya mieten zwei weitere Frauen aus der Ukraine diesen Raum – eine bietet Wimpernverlängerungen an, die andere ist ebenfalls Nageldesignerin. Jede hat hier seinen Platz und arbeitet im Untermietverhältnis.

Für die Zukunft träumt Nataliya davon, in Bremen einen eigenen Maniküre-Salon zu eröffnen, in dem sie ihre Kunden mit Champagner verwöhnt und Maniküre und Pediküre mit vier Händen, also zwei Nageldesignerinnen gleichzeitig, macht. Für sie ist das aber nur ein Traum, sie hat noch keine konkreten Pläne und hat Angst vor diesen Gedanken.

Meine Stimmung ist nicht sehr gut. Der Krieg geht weiter. Ich weiß nicht, wo ich morgen landen werde, also habe ich keine Gefühle und keine Pläne. Es ist klar, dass ich jetzt erst einmal arbeiten will.

Nataliya aus Zhytomyr

Sie ist gerade erst von ihrem einwöchigen Besuch in der Ukraine zurückgekehrt, um ihren Mann zu sehen. "Die Emotionen waren unbeschreiblich. Mein Sohn konnte endlich seinen Vater sehen. Ich wünsche mir nur einen ruhigen Himmel, denn als wir dort waren, flogen Militärflugzeuge über uns hinweg. Mein Mann sagt, dass wir jetzt erst einmal im friedlichen Bremen bleiben müssen, weil es in der Ukraine gefährlich ist. Aber ich vermisse ihn sehr."

Nataliya bereitet sich darauf vor, Deutschkurse zu besuchen, ihre Manikürekenntnisse weiter zu verbessern und einen deutschen Kundenstamm aufzubauen. Sie sieht es auch als Gelegenheit, das Land und die Dienstleistungen der Ukrainer zu präsentieren.

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Bild: Radio Bremen

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    Anna Chaika Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 1. August 2022, 19:30 Uhr