Warum ein Bremer Paar an fehlenden Abtreibungsärzten verzweifelte

Ultraschallbild, Nuckel und Informationsmaterial zum Schwangerschaftsabbruch (Symbolbild)
Bild: Imago | suedraumfoto

Die Nachricht der Ärztin war ein Schock für Tina Kunert: Ihr ungeborenes Baby werde nicht überleben. Sie und ihr Partner entschieden, abzutreiben. Doch sie wurden überall abgewiesen.

"Eigentlich wollten wir das Baby haben. Meine Ärztin sagte uns in der elften Woche, dass es nicht überleben wird. Aber das sollte nicht genug sein. Die Wochen davor waren ein Höllenritt", sagt Tina Kunert aus Bremen, die eigentlich anders heißt und genau wie ihr Mann anonym bleiben will.

Als die Frauenärztin der 37-Jährigen sagt, dass sich Wasser im Körper des ungeborenen Babys befindet und es keine Chance zum Überleben hat, entscheidet sich das Paar schweren Herzens dafür, es abzutreiben.

Ihr ging es schlecht, sie hatte panische Angstzustände, mit dem fast toten Kind im Bauch. Die Nächte waren die Hölle für uns.

Robert Elm, Partner der betroffenen Schwangeren

Doch das Paar wird bei allen Kliniken in Bremen abgewiesen. "Zuerst sind wir in die Notaufnahme des Klinikums Links der Weser gefahren, wir wurden direkt weggeschickt. Es gab einen Aufnahmestopp wegen Corona", sagt der 48-jährige Robert. "Ich musste mit der Polizei drohen, damit Tina überhaupt an einen Tropf kommt", sagt er.

Zu dem Zeitpunkt ist sie 24 Stunden ohne Wasser und Nahrung, da sie sich ständig übergeben muss. "Ihr ging es schlecht, sie hatte panische Angstzustände mit dem fast toten Kind im Bauch. Die Nächte waren die Hölle für uns", sagt ihr Partner mit drastischen Worten. Das Klinikpersonal rät dem Paar, weiter zu suchen – wo es möglich ist, sagen sie nicht.

Paar fühlt sich überfordert und alleingelassen

Auch im katholischen St. Joseph Stift kommt das Paar, wie es erzählt, nicht weit. "Hier wurde uns gesagt, dass die Klinik als christliches Krankenhaus keine Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Auch, wenn es medizinisch notwendig ist", erinnert sich die Bremerin. Der nächste Anlaufpunkt des Paares ist das Klinikum Mitte, mittlerweile hat Tina die zwölfte Schwangerschaftswoche überschritten. Auch dort kann dem Paar nicht geholfen werden. "Uns wurde gesagt, das Kind sei schon zu groß und sie könnten es nach der zwölften Schwangerschaftswoche mit einem schlagenden Herz rein rechtlich nicht entfernen", erklärt Tina. Der einzige Tipp des Personals: "Warten Sie, bis es von alleine abgeht." Das Paar weiß sich nicht zu helfen, fühlt sich überfordert und alleingelassen.

Abweisung in Bremer Krankenhäusern

Sie fahren nach Oldenburg – in der der Hoffnung, dass ihnen dort geholfen wird. Auch in der Tagesklinik werden sie abgelehnt. "Die Rechtsabteilung des Krankenhauses gab der Ärztin keine Zustimmung, den Eingriff durchzuführen", erinnert sich Tina. Sie verweisen das Paar jedoch an die gynäkologische Ambulanz der Universitätsklinik in Oldenburg.

Nach vier Wochen erklärt sich eine Ärztin bereit, die Abtreibung durchzuführen. Mittlerweile hat das Herz des Kindes aufgehört zu schlagen. "Hätte es weiter geschlagen, wäre ich mit der Schwangerschaft und dem nicht überlebensfähigen Baby in meinem Bauch einfach alleine geblieben", sagt die 37-Jährige und ist sichtlich aufgewühlt.

Dass das Krankenhaus Links der Weser überlastet war, halten die beiden für einen vorgeschobenen Grund. Der Ärger ist dem Paar auch noch mehr als ein Jahr später anzumerken. Doch was sagen die Kliniken?

Personalmangel und Engpässe durch Corona-Pandemie

"In den vergangenen Monaten, die in allen Kliniken durch coronabedingte Engpässe geprägt waren, konnten wir Schwangerschaftsabbrüche aus Gründen des Personalmangels teilweise nicht durchführen", sagt Karen Matiszick, Leiterin der Unternehmenskommunikation der Gesundheit Nord (Geno). Dies sei ausschließlich der schwierigen Lage geschuldet und keine ethisch bedingte Entscheidung gewesen. Zu dem geschilderten Fall könne sie keine Auskunft geben. Zur Geno gehören die Kliniken Links der Weser und Mitte.

Als katholisches Krankenhaus führen wir grundsätzlich keine Schwangerschaftsabbrüche durch.

Maurice Scharmer, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für das St. Joseph Stift

Das St. Joseph Stift positioniert sich klar: "Als katholisches Krankenhaus führen wir grundsätzlich keine Schwangerschaftsabbrüche durch und können Patientinnen in derartigen Situationen nur an andere Institutionen verweisen", sagt Maurice Scharmer, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. "Es macht uns betroffen, dass sich die werdende Mutter in dieser schweren Situation alleingelassen gefühlt hat", sagt er.

Situation für Frauen verschärft sich weiter

Die Situation für Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen oder müssen, ist in Bremen schon länger schwierig. Besonders in den vergangenen Wochen hat sie sich noch weiter verschlechtert. Der Zentralstelle der Landesfrauenbeauftragten (ZGF) liegen Berichte vor, nach denen die Kliniken der Gesundheit Nord kaum noch Abbrüche von Schwangerschaften bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vornehmen.

Zudem habe das Medizinische Zentrum der Beratungsstelle Pro Familia, das die meisten Abbrüche vornimmt, massive Personalprobleme. Die Termine sind auf Wochen ausgebucht, kurzfristige Anfragen müssen abgewiesen werden. Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm erklärt dazu: "Das Land hat einen gesetzlichen Versorgungsauftrag für Schwangerschaftsabbrüche. Das heißt, die Versorgung muss gewährleistet sein."

Es geht um Frauen in Notsituationen, die wegen der Versorgungsengpässe in noch größere Bedrängnis kommen.

Bettina Wilhelm
Bettina Wilhelm, Landesfrauenbeauftragte

Dieser Versorgungsauftrag sei aus ihrer Sicht derzeit nicht erfüllt. "Es geht um Frauen in Notsituationen, die wegen der Versorgungsengpässe in noch größere Bedrängnis kommen, weil sie keinen Termin für den Abbruch innerhalb der legalen Frist von zwölf Wochen bekommen. Das ist absolut nicht hinnehmbar", sagt Bettina Wilhelm und fordert die landeseigenen Kliniken auf, ihrem Auftrag nachzukommen.

Abtreibungen können in Bremen laut Gesundheitsressort-Seite an den Kliniken Nord, Links der Weser, Reinkenheide und Mitte vorgenommen werden. Der Großteil, 70 bis 80 Prozent, wird laut der Beratungsstelle Cara aber bei Pro Familia durchgeführt. Es gibt aber auch weitere Ärztinnen und Ärzte, die aber nicht auf dieser Liste stehen – auch, weil bis vor kurzem ein Werbungsverbot für Schwangerschaftsabbrüche galt.

Laut der Beratungsstelle Pro Familia gibt es in Bremen außerdem neun frauenärztliche Praxen, die Abtreibungen durchführen – in Bremerhaven nur eine. "Die Versorgungslage in Bremerhaven ist sehr schlecht, in Bremen spitzt sie sich immer weiter zu. Viele Ärztinnen und Ärzte gehen in Rente, auch Pro Familia sucht händeringend neues Personal. Wenn das nicht gelingt, wird es echt problematisch", sagt Lea Pawlik von Pro Familia.

Für Tina und Robert war es das bereits. Das Paar wünscht sich, dass sich die Lage für Frauen verbessert. "So eine Zeit, wie wir sie durchmachen mussten, wünsche ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind. Für mich war es ein Zwang, schwanger bleiben zu müssen", sagt die Bremerin.

Autorin

  • Maria Sandig
    Maria Sandig Autorin