Der älteste Bewohner erzählt: "Der Bremer Schnoor war verrufen"

Wilfried Emmrich steht vor seiner Haustür

Winfried Emmrich, ältester Schnoorbewohner

Bild: Radio Bremen | Heike Kirchner

Er wollte damals keinem sagen, wo er wohnt, erzählt Winfried Emmrich. Heute lockt das ehemalige Flussfischer-Viertel viele Touristen an, damals hatte es einen derben Ruf.

An die Zeit, als er etwa fünf Jahre alt war, erinnert sich Winfried Emmrich, ein alter Herr mit wachen Augen und leicht verschmitztem Lächeln, noch sehr gut. Das war kurz vor dem Krieg. Er lebte schon damals im Schnoor – seine Eltern hatten dort einen Metzgereibetrieb. Im Haus nebenan wohnte ein Schlosser: "Die lagerten da lange Eisenstangen drin. Und war hier dick gegenüber der Bäcker und dann Bäcker Jansen und dann noch einer der war Tischler".

Blick auf den Stavendamm, Ecke Am Landherrnamt und Schnoor-Gasse, 1962
Die Schlachterei von Winfried Emmrich und seinem Vater (li.) Viele Handwerker gab es in der Nachkriegszeit im Schnoor. Bild: Staatsarchiv Bremen | Schmidt

Da, wo es heute niedliche Cafés, exklusive Läden und im Sommer viele Touristen gibt, waren früher vor allem Handwerksbetriebe und Lebensmittelläden. Binnenschipper kamen von der Weser rauf, um sich hier mit Essen zu versorgen. In der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg folgten dann auch viele Bauarbeiter, erinnert sich der 88-Jährige: "War auch für meine Mutter gut, da kamen alle hier in den Laden, holten Frühstück und vor allem Bier".

Der Schnoor war mal verrufen

Bis in die 50er Jahre hinein standen der Schnoor und seine Bewohner in dem Ruf, eher derb zu sein. Viel Geld gab es hier nicht, dafür immer noch Kriegsruinen.

Ich hab' nie gesagt, dass ich hier am Schnoor wohne – hier war’s ein bisschen verrufen. Und nachher kamen ja die Künstler alle.

Wilfried Emmrich

Später zogen dann junge Studierende zu, die das Flair und die niedrigen Mieten schätzten - aber auch einen ganz anderen Wind mitbrachten. Bei den Alteingesessenen war das in den 60er Jahren nicht immer willkommen, weiß Winfried Emmrich. Zu dieser Zeit hatte er selbst schon den Betrieb seines Vaters übernommen und arbeitete als Metzgermeister. Und er musste das Haus renovieren, das aus dem 17. Jahrhundert stammt.

Der schnoortypische Bau ist hoch und schmal mit steilen Treppen. Die waren manchmal auch herausfordernd, wenn zum Beispiel größere Gegenstände rein sollten. Tochter Susanne erinnert sich lachend, wie ihr Vater dann eine Luke im Giebel und einen Seilzug benutzte.

Dann stand er mit seiner Schlachterschürze oben, hat runter gebrüllt, unten stand der Geselle. Zusammen zogen sie dann diese ganzen Dinger mit dem Flaschenzug hoch.

Susanne Emmrich, Tochter des ältesten Schnoor-Bewohners
Stavendamm mit Schiffer-Haus (Nummer 15, Mitte)
Heute wird in der ehemaligen Fleischerei Handwerkskunst aus dem Erzgebirge verkauft. Bild: Radio Bremen | Heike Kirchner

Damals waren schon die Anfänge des Tourismus zu spüren. Die Leute standen also auf den Straßen und beobachteten das Schauspiel. Dabei blockierten sie den Verkehr: Die Autofahrer hupten und mussten halt warten, berichtet Susanne Emmrich. So oder so ähnlich haben es im Schnoor bestimmt schon viele Generationen vor Winfried Emmrich gemacht.

Seit 1991 ist Winfried Emmrich in Rente. Dass der Schnoor sein Gesicht seither stark verändert hat und mittlerweile viele Touristen hierherkommen, ist für ihn kein Problem.

Hat man sich dran gewöhnt, man kennt ja alle, ich bin ja auch der Älteste hier im Schnoor. Man grüßt mich und alle wissen, wer ich bin – ist alles in Ordnung.

Winfried Emmrich

Bremer Schnoor-Viertel im Porträt (1959)

Bild: Radio Bremen

Autorin

  • Kerstin Burlage
    Kerstin Burlage Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Nachmittag, 27. Mai 2022, 14:12 Uhr