Hintergrund

Condor, Ente, Kolibri: Bremens Luftfahrtgeschichte in 6 Kapiteln

Die über zwanzig Jahre von Rentnern restaurierte Condor-Maschine ist auf einem LKW in Richtung Berlin unterwegs. Davor stehen die Beteiligten um sich zu verabschieden.
Ein einst in Norwegen abgestürzte "Condor" wurde gut zwei Jahrzehnte lang von einem Bremer Verein restauriert. Bild: Radio Bremen

Vor 100 Jahren begann Bremens Aufstieg als Luftfahrtstandort. Geprägt ist er durch Meilensteine in der zivilen Luftfahrt. Doch es gibt auch ein düsteres Kapitel.

Bremen und die Luftfahrt, das gilt heute fast als Synonym. Der Aufstieg des Wirtschaftszweigs ist in der Hansestadt mit vielen Namen und Flugzeugen verbunden – von der Ente über den Condor bis zu den verschiedenen Airbus-Modellen. Dies sind die wichtigsten Etappen.

  1. Storch, A 16, Ente: Focke und Wulf heben ab.
  2. Condor: Das erste deutsche Langstreckenflugzeug.
  3. Würger: Hitler lässt rund 20.000 Jäger bauen.
  4. Kolibri und Co.: Hubschrauber heben in Bremen ab.
  5. VFW 614: Deutschlands erstes Düsenverkehrsflugzeug.
  6. Airbus: Flügel für Bremens Flugzeugbau.

1 Storch, A 16, Ente: Focke und Wulf heben ab

Als Schüler ließ der Bremer Luftfahrtpionier Henrich Focke schon vor dem Ersten Weltkrieg seine ersten, selbst entworfenen Leichtflugzeuge den Osterdeich entlang schweben. Zuerst mit seinem Bruder, später dann mit dem etwas jüngeren Georg Wulf, der dem Entwickler Focke als Testpilot und Geschäftspartner zur Seite stand.

"Luftfahrtpioniere": So wurden die ersten Flugzeuge in Bremen gebaut

Bild: Radio Bremen

Unterstützt von Bremer Geschäftsleuten wie dem Kaffeehändler Ludwig Roselius gründeten Focke und Wulf schließlich 1924 die Focke-Wulf Flugzeugbau A.G., deren Werkhallen direkt am Standort des heutigen Bremer Flughafens angesiedelt waren. Die Flugzeuge des Unternehmens trugen oft Vogelnamen wie "Storch" oder "Ente". Den Durchbruch brachte hingegen ein Modell, das schlicht als Focke-Wulf A 16 bezeichnet wurde. Auch die damals neu gegründete "Luft Hansa" kaufte einige dieser Kleinverkehrsflugzeuge.

2 Condor: Das erste deutsche Langstreckenflugzeug

Focke-Wulf beließ es nicht bei Flugzeugen für die kurze Strecke. Mitte der 1930er Jahre entwickelte das Unternehmen Deutschlands erstes Langstreckenflugzeug: die Focke-Wulf "Condor". Die FW 200 mit ihren vier Propellermotoren war für 26 Passagiere und vier Mann Besatzung ausgelegt. Ihren offiziellen Erstflug absolvierte sie am 6. September 1937. Am 10. August 1938 flog die "Condor" unter dem Namen "Brandenburg" für die Lufthansa als erstes Passagierflugzeug nonstop von Berlin nach New York City.

Doch statt einer zivilen Massenproduktion hatte das von den Nazis kontrollierte Reichsluftfahrtministerium bald andere Pläne für den Passagierflieger. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden nach dem 1. September 1939 nur noch militärische Versionen der "Condor" ausgeliefert.

Seit 2022 wird eine restaurierte Version des Flugzeugs auf dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof ausgestellt.

3 Würger: Hitler lässt rund 20.000 Jäger bauen

Schon den Langstreckenflieger "Condor" hatte nicht mehr Luftfahrtpionier Henrich Focke entwickelt. Der Bremer wurde nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland 1933 aus der Unternehmensleitung gedrängt. Die technische Leitung übernahm Kurt Tank. Unter seiner Leitung entstand nicht nur die "Condor", sondern im Zweiten Weltkrieg auch das Jagdflugzeug FW 190 "Würger" – benannt nach einem Raubvogel, der sich auf das Aufspießen seiner Beute an Dornen oder Drahtzäunen spezialisiert hat.

Seit 1941 und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bauten auch die Focke-Wulf-Werke in Massenproduktion Tausende dieser Jagdflugzeuge für den Luftkrieg. Der "Würger" wurde fast 20.000 Mal gebaut. Ein dunkles Kapitel Bremer Luftfahrtgeschichte.

4 Kolibri und Co.: Hubschrauber heben in Bremen ab

Neben dem Flugzeugbau liegen in Bremen auch die Ursprünge einiger Entwicklungen im Hubschrauberbau. Denn obwohl die Nazis den Luftfahrtpionier aus der Führung seines Unternehmens gedrängt hatten, ließen sie ihn dennoch weiterforschen – und zwar an sogenannten Hub- und Tragschraubern.

Das Ergebnis: 1936 hob in Bremen der erste leistungsfähige Hubschrauber der Welt ab, die FW 61. Auf Interesse in der Focke-Wulf AG und bei den politischen Machthabern stieß dies allerdings nicht. Es wurden nur zwei Stück gebaut. 1937 gründete Henrich Focke daraufhin eine neue Firma in Hoykenkamp in der Gemeinde Ganderkesee bei Bremen, wo er Lastenhubschrauber entwickelte. Im Zweiten Weltkrieg wurde dieses Unternehmen wiederum mit der einst von der AG Weser gegründeten Weser-Flugzeugbau GmbH vereinigt.

Nach dem Krieg entwickelte Focke dann zunächst in Brasilien kleine Hubschrauber, die er "Kolibri" nannte. Aus dieser Arbeit entstand später auch der heute weltweit viertgrößte Flugzeugbauer: Embraer. Einen weiteren "Kolibri" wollte Focke schließlich auch in Bremen bauen – gemeinsam mit dem norddeutschen Autobauer Borgward. 1958 kam es in der Hansestadt zum Erstflug. Der Konkurs von Borgward verhinderte jedoch eine Weiterentwicklung des "Autos der Lüfte".

Hubschrauber – Auto der Lüfte (1959)

Bild: Radio Bremen

5 VFW 614: Deutschlands erstes Düsenverkehrsflugzeug

Im Gegensatz zu den Hubschraubern liefen die Entwicklungen im Bremer Flugzeugbau besser. Grundlage dafür war Anfang der 1960er Jahre die Verschmelzung der zwei Luftfahrtunternehmen Focke-Wulf und Weser-Flugzeugbau zu den Vereinigten Flugtechnischen Werken, kurz VFW.

VFW 614 auf dem Dach des Bremer Flughafens
Das erste deutsche Düsenflugzeug, die VFW 614, war einige Jahre lang auch auf dem Bremer Flughafen ausgestellt. Bild: Radio Bremen

Unter dem neuen Dach wurde das erste deutsche Düsenverkehrsflugzeug entwickelt. Das besondere an der VFW 614: Ihre Triebwerke hingen nicht, wie bei modernen Flugzeugen üblich, unter den Tragflächen. Stattdessen wurden sie oben auf die Tragfläche montiert, zeigten also nach oben. Der Grund: Die Ingenieure hatten die Maschine dafür ausgelegt, auch auf damals durchaus noch üblichen rauen Pisten zu landen. Die nach oben ragenden Triebwerke sollten dabei vor Schmutz und Steinschlag geschützt sein.

19 Stück des 44-Sitzers wurde in den 1970er Jahren gebaut. Sie dienten bis 1998 unter anderem für die Flugbereitschaft der Bundeswehr. Der letzte Flug einer VFW 614 fand 2012 statt. Er ging nach München, wo die Maschine seither im Deutschen Museum ausgestellt wird. Auf der "Museumswiese" des Hamburger Airbus-Werksgeländes steht zudem seit 2019 ein Modell, das zuvor in Bremen ausgestellt war.

6 Airbus: Flügel für Bremens Luftfahrtstandort

Das Bremer Luftfahrtunternehmen VFW war auch maßgeblich daran beteiligt, dass einer der heute größten Luftfahrtkonzerne der Welt einen Standort mit tausenden Mitarbeitenden in Bremen hat: Airbus. Denn schon Mitte der 1960er Jahre schlossen sich VFW und andere große deutsche Luftfahrtunternehmen zur so genannten "Studiengruppe Airbus" zusammen. Ihr Ziel: Gemeinsam mit französischen Partnern wollten sie ein deutsch-französisches Großraumflugzeug entwickeln.

Ein Mitarbeiter von Airbus arbeitet am Flügel eines A350
Airbus in Bremen hat sich heute auf die Flügelproduktion von Flugzeugen spezialisiert. Bild: dpa | Carmen Jaspersen

Tatsächlich fuhr im September 1972 in Toulouse der erste Airbus-Prototyp aufs Rollfeld. Ein halbes Jahr später landete der A 300B auch zum ersten Mal auf dem Bremer Flughafen. Die Zeiten, in denen große Flugzeuge von einem Unternehmen allein entwickelt und gebaut wurden, endete damit – zumindest in Europa.

Mit anderen Standorten durch die Beluga-Transportflugzeuge verknüpft, geht es am heutigen Airbus-Standort Bremen vor allem um Spezialisierung. So werden hier für die zivile Luftfahrt die Flügel des A 350 und des A 330 ausgerüstet und deren Landeklappen gefertigt. Landeklappen werden an der Weser auch für die inzwischen mehr als 11.000 gebauten Maschinen der A320-Familie angebracht.

Am zweitgrößten Airbus-Standort Deutschlands beschäftigt das Unternehmen heute rund 4.500 Mitarbeiter – dort, wo vor hundert Jahren die Focke-Wulf-Flugzeugbau AG ihren Betrieb aufgenommen hatte.

Crew-Highlight: Europäischer Beluga Airbus mit Boxenstopp in Bremen

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. Januar 2024. 19:30 Uhr