Kommentar
Fremde küssen? Igitt! Bremen ist vieles – aber nicht jeck
Wenn im Rheinland am Rosenmontag auf den Tischen getanzt wird, passiert in Bremen (fast) nichts. Das vermisst unsere Autorin. Ein karnevalistischer Kommentar.
Seit fast fünfzehn Jahren lebe ich jetzt im Norden und fühle mich in Bremen pudelwohl. Ich liebe den Bremer Schnack, den trockenen Humor der Menschen hier und das schier unendlich große Werder-Herz, das in der Stadt schlägt. Es gibt allerdings eine Zeit im Jahr, in der ich Heimweh ins Rheinland habe. In meiner Heimat Köln startet jedes Jahr am 11.11. um 11:11 Uhr die neue Session. Im Prinzip ist dann für etwa drei Monate Karneval, mit seinem Höhepunkt am heutigen Rosenmontag. Zu Weihnachten, Silvester oder an Geburtstagen kann man es sich auch in Bremen schön machen. An Karneval allerdings nicht.
Ein Bützjer für Fremde – nicht in Bremen
Ich habe schnell gemerkt, dass man in Bremen ziemlich wenig von Verkleidungen, Konfetti und Bützjer hält. Ein Bützjer, das ist ein Kuss auf die Wange, den man im Rheinland gerne und oft an Karneval verteilt. An Menschen, die man kennt, oder an Menschen, die zufällig gerade neben einem stehen. Igitt, denkt sich da der Bremer. Warum sollte man so etwas tun? Auch spontanes Schunkeln kommt hier auf Partys eher schlecht an. Zu eng. Dazu auch noch dumme Kostüme anziehen? Ungern.
Der 11.11 oder Rosenmontag – ein Tag wie jeder andere
In der Nähe von Köln bin ich mit dem Karneval und all seinen Traditionen aufgewachsen. Kölsche Lieder lernt dort jedes Kind, egal ob zu Hause, in Kindergärten, Schulen oder Büros – überall fiebert man den jecken Tagen entgegen. Am 11.11 und an Weiberfastnacht endet die Schule um 11:11 Uhr, an Rosenmontag macht sie gar nicht erst auf.
Wer an besagten Tagen noch nach 11:11 Uhr in Kölner Büros anruft, hat wahrscheinlich wenig Erfolg: Mitarbeitende haben entweder Urlaub oder sie kommen als Frosch, Prinzessin oder dicke Hummel zur Arbeit. Ein Fässchen Kölsch und der Mettigel tun ihr Übriges.
Am liebsten bin ich als leidenschaftliche Karnevalistin mittendrin: in Köln am Heumarkt, den Dom im Rücken. In diesem Jahr fällt das allerdings aus. Ich bleibe in Bremen. Was kann ich also erleben? Wo finde ich Balsam für die Seele und Orte, an denen ich nicht schräg angeguckt werde, wenn ich um kurz nach 11 Uhr als Flamingo eine Konfetti-Kanone starte?
Rot-Weiß Bremen und Sambakarneval
Es gibt sie, die wenigen Bremer Jecken, die die Narrenkappe hochhalten. Der Karnevalsverein Rot-Weiß Bremen zum Beispiel, der seit Jahrzehnten kleine Sitzungen organisiert, mit dem Schlachtruf "Bremen Ahoi" den Winter vertreibt und sogar seine eigene kleine Tanzgarde hat. Und wo, wenn nicht in der Ständigen Vertretung in der Böttcherstraße, dem Kölsch-Laden schlechthin in Bremen, wird an Rosenmontag gefeiert, denke ich mir. Stimmt – allerdings erst um 18:11 Uhr. Wie bitte? Auch die Bremer Sambakarnevalisten feiern 2023 wieder Karneval: am 22. April.
All das ist natürlich besser als nichts. Doch was bleibt mir unterm Strich übrig? Ein Kölsch um 18:11 Uhr oder lieber Trommeln auf Stelzen Ende April? Vielleicht ist es dann doch eher der WDR-Livestream und die heimische Couch. In diesem Sinne: Bremen, Alaaf.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 19. Februar 2023, 19:30 Uhr