Pleiten, Pech und Pannen: Die langwierige Sanierung der "Gorch Fock"
Was mit einem kleinen Bagatellschaden begann, wuchs sich aus zu einem handfesten Skandal. Eine Chronologie des Scheiterns im Fall des Segelschulschiffs "Gorch Fock".
Kleiner Schaden – große Wirkung
November 2015: Beim Einlaufen nach Wilhelmshaven rammt die Gorch Fock die Pier. Damit steht fest: Das Segelschulschiff muss zur Reparatur.
Dezember 2015: Die Elsflether Werft soll turnusgemäß gleich die Überholung des Schiffs durchführen. Diagnose bei der ersten stichprobenartigen Untersuchung: Die Masten sind marode.
Januar 2016: Im Schwimmdock bei der Bremerhavener Bredo-Werft werden die Mängel immer offensichtlicher. Erste Prognose für die Sanierungskosten: zehn Millionen Euro.
Kostenexplosion und Baustopps
Oktober 2016: Inzwischen ist auch klar, dass unter anderem das Oberdeck morsch ist und die Kabelkanäle erneuert werden müssen. Die Kalkulation liegt bei rund 35 Millionen Euro. Der Bund der Steuerzahler erwähnt die Gorch Fock in seinem jährlichen Schwarzbuch.
26. Januar 2017: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Gorch Fock 2030 wieder in Dienst stellen. Die Reparaturkosten summieren sich auf kalkulierte 75 Millionen Euro. Parallel werden bereits Pläne für einen Neubau erstellt.
Mit der Gorch Fock ist es wie mit einem alten, sanierungsbedürftigen Haus: Wir wollten erst Weniges reparieren, dann haben wir hinter die Planken geguckt, und dann stellt man fest, dass sie grundsaniert werden muss. Bis auf den Kiel muss fast alles ersetzt werden.
Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin
August 2017: Der rumänische Großsegler "Mircea" dient übergangsweise als Ausbildungsschiff für die angehenden Offiziere der Deutschen Marine. Es ist ein fast baugleiches Schwesterschiff der Gorch Fock.
Anfang 2018: Die Kostenexplosion verursacht einen Baustopp. Der wird jedoch wieder aufgehoben. Die Kosten für die Instandsetzung der Gorch Fock werden inzwischen mit bis zu 135 Millionen Euro kalkuliert. Am Ende ist die Rede von einem faktischen Neubau – 95 Prozent des Schiffs soll erneuert werden. Laut einer Studie des Beschaffungsamts lägen die Kosten eines tatsächlichen Neubaus bei rund 170 Millionen Euro.
Die Tauglichkeit der Studie wird im Nachhinein in Frage gestellt. Ein späterer Prüfbericht belegt zudem, dass schon damals im Ministerium ein Abbruch der Sanierung thematisiert und die Werft als "bereits jetzt überfordert" bezeichnet wurde. Verteidigungsministerin von der Leyen sollen diese Informationen jedoch vorenthalten worden sein.
Korruption, Vorteilnahme, Schlampigkeit
Ende 2018: Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt wegen möglicher Vorteilsnahme und Bestechlichkeit gegen einen Marine-Mitarbeiter. Das Verteidigungsministerium stellt die Zahlungen für die Sanierung daraufhin vorerst ein. Der 60. Geburtstag des Schiffs wird nicht wie geplant groß gefeiert.
Januar 2019: Das Bundesverteidigungsministerium soll mitverantwortlich für die explodierten Kosten gewesen sein. Das besagt ein Prüfbericht des Bundesrechnungshofes. Ein Bericht aus dem Jahr 2011 über den schlechten Zustand des Segelschulschiffs sei ignoriert worden.
Derweil soll die Sanierung der Gorch Fock weitergehen und das Schiff von der Werft bis 2020 seetauglich gemacht werden. Ende Januar wird der Vorstand der Elsflether Werft entlassen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdacht auf Untreue.
Insolvenz mit weitreichenden Folgen
20. Februar 2019: Die Elsflether Werft AG ist insolvent. Offenbar sollen in der Vergangenheit Millionen an externe Firmen geflossen sein. Doch hohe Summen, die die Bundeswehr für die Reparatur des Schiffes bereits bezahlt hatte, wurden anscheinend nicht an die Auftragnehmer weitergeleitet.
März 2019: Der Zahlungsstopp wird aufgehoben und die Arbeiten zügig wieder aufgenommen. Bis zum Sommer soll das Schiff schwimmfähig gemacht werden.
Es gibt eine gute Chance, dass das Schiff wieder segeln wird.
Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin
April 2019: Die Staatsanwaltschaft weitet ihre Ermittlungen im Fall der Sanierung der Gorch Fock aus. Nun geht es auch um den Vorwurf des Betrugs – zu Lasten der Marine. Der Bundesrechnungshof zweifelt außerdem daran, dass die Werft der Aufgabe gewachsen ist. Reichen die 135 Millionen Euro nicht aus, stellt von der Leyen in Aussicht, aus der Gorch Fock ein Museumsschiff zu machen.
Die Gorch Fock als Pfand
Mai 2019: Die Sanierung kommt nur stockend voran. Inzwischen prüft die Staatsanwaltschaft auch die Rolle des Bundesministeriums. Der Grund: Der Verteidigungsministerin sollen geschönte Zahlen vorgelegt worden sein.
21. Mai 2019: Die Gorch Fock liegt mittlerweile seit drei Jahren im Auftrag der Elsflether Werft bei der Bredo-Werft in Bremerhaven. Diese fordert jetzt etwa 11 Millionen Euro für die an der Gorch Fock vorgenommenen Reparaturen. Die Elsflether Werft ist jedoch weiterhin insolvent. Bis ein Teil der Rechnungen beglichen ist, möchte die Bremerhavener Werft die Gorch Fock als Pfand behalten.
18. Juni 2019: Das Bremer Landgericht hat einen Eilantrag des Bundes gegen die Bredo-Werft abgelehnt. Der Bund wollte damit die Ausdockung des Schiffs am 21.Juni erzwingen. Die Werft besteht darauf, fünf der insgesamt elf Millionen Euro zu erhalten, bevor sie die Gorch Fock herausgibt. Die Marine hat sich bislang geweigert und argumentiert, dass die Summen der Elsflether Werft bereits bezahlt wurden.
19. Juni 2019: Das Verteidigungsministerium gibt bekannt, dass es die Entscheidung des Landgerichts anfechten will. Ein Sprecher kündigt an, man wolle eine sofortige Beschwerde einlegen.
Rechtliche Auseinandersetzungen dauern an
20. Juni 2019: Das Landgericht Bremen hat die Beschwerde des Verteidigungsministeriums zurückgewiesen. Die Bredo-Werft und der Bund treffen sich für eine weitere Gesprächsrunde, um eine eventuelle, außergerichtliche Lösung zu finden. Beide Seiten einigen sich schließlich und finden einen Kompromiss. Offenbar lässt sich die Werft das Pfandrecht an dem Schiff sichern. Zusätzliches Geld soll aber nicht fließen. Das Gerichtsverfahren zwischen der Bredo-Werft und dem Ministerium wird fortgesetzt.
21. Juni 2019: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kommt nach Bremerhaven und nennt das Ausdocken der "Gorch Fock" einen ersten wichtigen Zwischenschritt der Sanierung. Nach mehr als drei Jahren wird das Schiff wieder ins Wasser gelassen – wenn auch zunächst nur der Schiffskörper ohne Aufbauten und Ausstattung.
Heute ist ein ganz wichtiger Tag für die Marine und natürlich für unser Schulsegelschiff "Gorch Fock."
Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin
25. Juni 2019: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat entschieden, dass die "Gorch Fock" weitergebaut wird. Das Schiff soll bis zum Herbst 2020 fertiggestellt sein, ohne den aktuellen Kostenrahmen zu sprengen. Als Obergrenze wurden 128 Millionen Euro vereinbart, zu denen weitere 7 Millionen für Ausrüstung kommen. Dass die Bredo-Werft in Bremerhaven den Auftrag bekommt, ist unwahrscheinlich.
9. Juli 2019: Die "Gorch Fock" soll nun bei der Fassmer-Werft in Berne an der Unterweser weiter instand gesetzt werden. Dort soll sie weiß gestrichen und die Innenausstattung eingebaut werden.
9. Oktober 2019: Das Bremerhavener Segelschulschiff "Alexander von Humboldt II" soll übergangsweise Ersatz für die "Gorch Fock" der Marine sein. Die Bundeswehr will an Bord des Schiffes insgesamt rund 200 Kadetten ausbilden.
Lürssen übernimmt insolvente Elsflether Werft
25. Oktober 2019: Das Bundeskartellamt hat einer Übernahme der Elsflether Werft durch die Bremer Lürssen-Gruppe zugestimmt. Die Elsflether Werft musste im Zuge von Unregelmäßigkeiten rund um die Sanierung des Segelschulschiffs "Gorch Fock" Insolvenz anmelden. Auch die Fassmer-Werft in Berne hatte ein Angebot abgegeben.
28. Oktober 2019: Die Bremer Lürssen-Werft hat die insolvente Elsflether Werft gekauft, die das Marineschulschiff "Gorch Fock" saniert. Der Vertrag sei unterzeichnet und beurkundet worden, teilte die Werft in Elsfleth mit. Vor Inkrafttreten müssen einem Sprecher zufolge aber noch der Gläubigerausschuss sowie die Deutsche Marine als öffentlicher Auftraggeber der Sanierung zustimmen. Der Kaufpreis soll bei 3,57 Millionen Euro liegen. Laut IG-Metall sollen alle 130 Beschäftigten übernommen werden.
30. Oktober 2019: Der Gläubigerausschuss und das Bundesverteidigungsministerium haben dem Verkauf der Elsflether Werft zugestimmt. Der Rumpf des Segelschulschiffs "Gorch Fock" wird über die Weser zu einem Gelände der Bremer Lürssen- Werft in Berne geschleppt.
Auslieferung nach hinten verschoben
23. Januar 2020: Neuer Termin: Die Deutsche Marine erwartet die "Gorch Fock" Ende 2020 runderneuert zurück, als genaues Datum nennt ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums den 22. Dezember 2020. Das Training der Marinekadetten auf dem Segelschulschiff solle 2021 wieder aufgenommen werden. In dem Wirtschaftskrimi um die "Gorch Fock" ermittelt die Staatsanwaltschaft Osnabrück indes weiter.
20. November 2020: In dem millionenschweren Streit über Sanierungskosten der "Gorch Fock" weist das Landgericht Bremen alle Ansprüche der Bredo Dockgesellschaft in Bremerhaven ab. Sie hatte vom Bund 10,5 Millionen Euro gefordert, geht mit dem Urteil aber leer aus. Auch eine Gegenklage des Bundes wegen mangelhafter Arbeit wird abgewiesen. Zuvor hatte das Landgericht im Sommer einen Vergleich vorgeschlagen.
Weitere Vorwürfe wegen illegaler Materialien
27. November 2020: Die Naturschutzorganisation WWF fordert einen sofortigen Baustopp für die "Gorch Fock". Der Vorwurf: Bei der Restauration sei höchstwahrscheinlich illegales Tropenholz aus Myanmar verwendet worden. Es seien Exportsteuern vermieden worden. Außerdem werde gegen die Beschaffungsrichtlinien des Bundes verstoßen. Diese sieht vor, dass für Bundesprojekte nur zertifiziertes Holz aus nachhaltigem Anbau verwendet werden darf. Schon 2018 hatte es ähnliche Vorwürfe gegeben. Der WWF bemängelt, dass die zuständigen Behörden den Holzimporteuer damals nur verwarnt hätten. Das Holz sei trotzdem auf der "Gorch Fock" verbaut worden.
4. Dezember 2020: Die "Gorch Fock" darf weiter mit Teakholz aus Myanmar ausgebaut werden. Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht in Köln haben einen Antrag der Umweltschutzorganisation WWF abgewiesen. Begründung: Der Einbau des Holzes sei nicht unumkehrbar, außerdem sei schon ein großer Teil verbaut worden.
10. März 2021: Die "Gorch Fock" wird von der Bremer Lürssen-Werft in Berne zu Wasser gelassen. Schlepper bringen das Schiff anschließend zum Lürssen-Standort in Lemwerder. Dort wird noch an der Inneneinrichtung des Traditionsseglers gearbeitet, bevor das Marine-Schiff übergeben wird. Geplanter Termin: 31. Mai 2021. Die erste Ausbildungsreise nach der Sanierung soll vom Heimathafen Kiel aus starten und ist für Juli 2021 geplant.
Corona verzögert Fertigstellung abermals
29. April 2021: Die für Ende Mai geplante Ablieferung der "Gorch Fock" verzögert sich wegen Corona bis in den Spätsommer. Grund sind Personalausfälle in allen projektbeteiligten Unternehmen und Störungen der Lieferketten. Mit der Verschiebung anfallende Mehrkosten werden laut Lürssen-Geschäftsführer Tim Wagner nicht an den Kunden weitergegeben.
1. September 2021: Die "Gorch Fock" soll die Lürssen-Werft am Standort Lemwerder verlassen und zu einer Probefahrt auf Weser und Nordsee aufbrechen. Am 30. September soll die Marine das Schiff offiziell wieder übernehmen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 1. September 2021, 19:30 Uhr