Interview

Bremer Organisatorin des ersten CSD: "Endlich ging es mir gut"

CSD-Demo auf dem Marktplatz Bremen am 30. Juni 1979
So sah die CSD-Demo auf dem Marktplatz Bremen am 30. Juni 1979 aus. Bild: Irene Klock

Irene Klock war Mitorganisatorin des ersten deutschen Christopher Street Day in Bremen. Wie es dazu kam und was ihr Outing damals in ihrem Büro auslöste, verrät sie hier.

Irene Klock gehörte zu den ersten Bremerinnen, die sich Ende der 1970er öffentlich als lesbisch outeten. Der Name der 68-Jährigen ist heute eng mit dem ersten deutschen Christopher Street Day am 30. Juni 1979 in Bremen verbunden. Für queere Themen engagiert sie sich noch immer.

Frau Klock, an diesem Samstag findet der Christopher Street Day in Bremen statt. Sind Sie dabei?

Ja, ich bin dabei. Aber nur im Hintergrund, nicht in der ersten Reihe. Das habe ich zuletzt zum 40-jährigen Jubiläum des ersten CSD gemacht.

Den haben Sie 1979 mitorganisiert. Wie kam es dazu?

Das war nicht spektakulär. Die Schwulen, die haben damals ihr Ding gemacht. Und sie haben uns gefragt, ob wir nicht mitlaufen wollen. Und dann haben wir so ein halbes Jahr vorher angefangen, ein Konzept zu erarbeiten, Spruchbänder mit Farbe zu bemalen und uns heimlich im Fifty-Fifty zu treffen...

…damals eine Szene-Kneipe im Bremer Viertel.

Genau.

Einerseits haben Sie sich heimlich getroffen, andererseits mussten Sie auf die Veranstaltung aufmerksam machen. Wie ist das gelungen?

Wir waren beispielsweise in einer Radiosendung von Radio Bremen, damals in der Hansawelle. Die Aufnahmen fanden in einer Wohnung einer Mitstreiterin statt. Das war Teamwork damals, das habe ich nicht allein gemacht. Weil die anderen allerdings Angst hatten, dass ihre Stimmen erkannt werden, habe ich dann, ohne unsere Namen zu nennen, die Lebensläufe der sechs oder sieben Frauen, die damals dabei waren, vorgelesen. Gemeinsam hatten wir, dass wir alle wussten, wir wollen unser Leben mit anderen Frauen verbringen.

Wie war das bei Ihnen?

Ich wusste schon sehr früh, mit 14, wo mein Weg hingeht. Nach dem Tod meines Vaters habe ich mich dann auch bei meiner Mutter sehr früh geoutet. Die sagte natürlich: Du bist krank, du musst zum Psychiater. Ich sagte: Nein, Mama, ich bin nicht krank. Endlich geht es mir gut.

Und wie kam die Radiosendung an?

Naja, danach war es bekannt. Und dadurch, dass meine Stimme, abgesehen von ein paar Musikunterbrechungen, fast eine Stunde im Radio zu hören war, fragte mich am nächsten Morgen eine Kollegin beim Reinkommen ins Büro: Sag mal, das war doch deine Stimme gestern. Ich sagte, ja. Stehste auf Frauen? Ich sagte, ja. Danach war fünf Minuten Ruhe im Büro. Ich weiß noch, eine Kollegin, die wollte gerade in eine Tomate beißen, die flog ihr aus dem Mund und rollte über den ganzen Tisch (Sie lacht).

CSD-Demo auf dem Marktplatz Bremen am 30. Juni 1979
Rund 700 Menschen versammelten sich am 30. Juni 1979 zum ersten Christopher Street Day auf dem Bremer Marktplatz. Bild: Irene Klock

Und dann?

Dann sagte die eine Kollegin: Weißte was, du bist Irene, das ist uns so was von scheißegal. Wenn du Frauen magst, dann ist das so. Aber eins musst du uns versprechen. Jede Freundin, die stellst Du uns vor. Und so habe ich das auch gemacht. Die Frauen, mit denen ich zusammen war, die haben mich dann vom Büro abgeholt. Das war ganz offiziell. Und ich war entspannt, weil ich schon früh geoutet war.

Warum war es 1979 noch so etwas Besonderes, sich zu outen?

Sich zu outen, sich mitzuteilen, war mit Angst besetzt. Es ging schon damit los, mit meiner Freundin Hand in Hand durch die Obernstraße zu gehen. Wenn ich ihre Hand genommen habe, dann guckte sie mich an und sagte: Nein, das kann ich nicht machen. Was, wenn mich jetzt ein Kollege sieht oder eine Kollegin? Ich verliere meinen Job. Ich werde familiär geächtet. Das waren die Ängste vieler.

Sie hatten diese Ängste nicht?

Also ich war damals so drauf, ich wäre auch für die Sache gestorben, weil das ging alles gar nicht.

Beim ersten Christopher Street Day liefen Sie mit einem Megafon in der ersten Reihe. Wie war das damals?

Viele Passanten, die an den Straßenrändern standen, haben uns angeguckt, als wären wir von einem anderen Stern. Viele waren pikiert, haben weggeguckt, als wären wir ansteckend. Die schimpften, so etwas müsse verboten werden. Sie riefen, du musst mal den richtigen Kerl treffen. Einige haben mich angespuckt. Andere sagten, bei Adolf hätten sie dich vergast. Es war eben eine andere Zeit. Man muss auch bedenken, 1979 rannten ja auch noch viele Altnazis rum. Das war irgendwie so eine ganz enge Zeit – piefig und miefig und intolerant. Da haben wir natürlich mit sowas nicht reingepasst.

Es herrschte also nicht die gleiche ausgelassene Stimmung, wie wir sie an diesem CSD-Wochenende erwarten können?

Nein, es herrschte damals nicht die große Fröhlichkeit wie heute. Es ging ja um Menschen, die öffentlich auftraten, weil sie für ihr Leben einstehen wollten. Und dafür wurden sie angegafft oder beschimpft. Das geht ja auch richtig rein. Du willst eigentlich nur friedlich dein Leben leben und fragst dich, ob das überhaupt mal irgendwann möglich sein wird. Einige haben damals gesagt, wir erleben das gar nicht mehr. Unsere Generation, die kriegt das gar nicht mehr mit, wenn das so weitergeht (Sie lacht.).

Ein bunter Truck fährt in der Mitte einer großen Demonstration des Christopher Street Days in Bremen neben vielen Menschen.
Heutzutage gleicht der Christopher Street Day, wie hier 2022 in Bremen, mehr einem Event als einer Demonstration. Bild: Radio Bremen

Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung?

Ja, sehr. Es ging und geht ja nicht nur darum, dass Heteros, Schwule und Lesben die gleichen Rechte haben sollen. Wir haben ja zum Beispiel auch diese ganzen Missstände angepackt, dass Frauen gezwungen wurden, in die Illegalität zu gehen, um abtreiben zu lassen. Ein Wendepunkt war auch, dass Schwule und Lesben heiraten durften. Da habe ich gedacht, ja, jetzt ist es soweit. Dann kam die Anpassung dazu, dass man sich auch gegenseitig über die Heirat, über die Rente absichern kann, wenn man lange genug verheiratet ist.

Wo gibt es noch Handlungsbedarf?

Zum Beispiel bei Pärchen, egal ob schwul oder lesbisch, bei denen eine Leihmutter oder eine der Frauen ein Kind bekommt. Die Ehefrau oder der Ehemann müssen dieses Kind bislang erst noch adoptieren, um überhaupt ein Recht zu haben, es zu behalten, wenn dem Partner etwas passiert. Sonst wird es dem Jugendamt übergeben. Das geht nicht.

Und wie beurteilen Sie das jetzt geplante Selbstbestimmungsgesetz, auf dessen Grundlage Transmenschen Geschlecht und Vornamen im Pass leichter ändern können?

Früher war das ein Gang nach Canossa für diese Menschen. Sie mussten, wenn sie das beantragt haben, ja im Grunde sagen, welche Unterhosen sie trugen oder welche Stellung im Bett sie bevorzugten. Das geht doch alles gar nicht. Es ist gut, dass sich da jetzt etwas tut und es einfacher wird.

Eine Frage habe ich noch zu Ihrer Mutter. Hat Sie letztlich akzeptiert, dass ihre Tochter lesbisch ist.

Wir hatten damals den gleichen Arbeitsweg von Huchting in die Innenstadt, und sie hat mich immer mitgenommen. Zehn Tage hat sie nicht mit mir gesprochen. Und am elften Tag sagte sie: Ja, ich hoffe, dass du glücklich wirst. Und wenn du Probleme hast, dann werde ich die genauso behandeln, als wären es Probleme deiner Schwester mit ihrem Freund.

Und hat sie das getan?

Sie hat dann meine Freundin kennengelernt. Und die beiden waren ein Herz und eine Seele. Ja, so ist das ausgegangen.

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Bild: dpa | Sina Schuldt

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 26. August 2023, 19:30 Uhr