Interview

Weshalb auch Einbrecher durch das Cannabisgesetz freikommen könnten

Ein Mann raucht einen Cannabis-Joint
Bis das Kiffen in Deutschland tatsächlich erlaubt ist, kann es noch ein bisschen dauern. Bild: Imago | ANP

Richter und Staatsanwälte schlagen Alarm. Falls das Cannabisgesetz schon im April kommt, werde es die Justiz überlasten. Die Gründe erklärt der Vorsitzende des Bremischen Richterbunds.

Geht es nach dem Bund, so soll es schon ab dem 1. April greifen: das neue Cannabisgesetz, das der Bundestag im Februar beschlossen hat. Es erlaubt Volljährigen – mit Einschränkungen – den Konsum und den Anbau von Cannabis. Doch immer mehr Länder stellen sich quer. Sie fordern, dass das Gesetz erst später eingeführt wird, etwa im Oktober. Richter und Staatsanwälte bräuchten mehr Zeit, um sich auf die Regelungen vorzubereiten, so das Argument.

Tatsächlich würde das neue Gesetz in seiner jetzigen Form die Justiz dazu zwingen, kurzfristig Hunderttausende alter Fälle neu aufzurollen. Viele Richter und Staatsanwälte hoffen nun, dass der Bundesrat, der am 22. März über das Gesetz berät, für einen Aufschub sorgt. Allerdings ist das Gesetz dort nicht zustimmungspflichtig. Benjamin Bünemann, Vorsitzender des Bremischen Richterbunds erklärt die Zusammenhänge.

Der Deutsche Richterbund warnt wegen des Cannabisgesetzes vor einer Überlastung der Justiz. Was steckt dahinter?

Unsere Justiz ist chronisch unterbesetzt, gerade im Land Bremen und insbesondere bei der Staatsanwaltschaft. Da ist jede vierte Stelle nicht besetzt. Von den 85 Staatsanwaltsstellen, die es auch nach Auffassung der Senatorin sein müssten, sind nur knapp 65 Stellen besetzt. Für eine normale Ausstattung der Staatsanwaltschaft verweigert die Bremische Bürgerschaft die finanziellen Mittel. Auch im Geschäftsstellenbereich ist jede fünfte Stelle nicht besetzt.

Gleichzeitig verzeichnen wir bei der Staatsanwaltschaft einen so hohen Eingang an Verfahren wie noch nie. Letztes Jahr waren es im Land Bremen rund 72.000, etwa 7.000 mehr als im Jahr davor. Und wenn man sich die ersten beiden Monate des laufenden Jahres ansieht, dann spricht viel dafür, dass die Staatsanwaltschaft dieses Jahr noch mehr als 72.000 Fälle bekommen wird.

Das kommt alles auf die Berge aus Akten obendrauf, die noch abgearbeitet werden müssen. Auf Halde liegen außerdem noch etwa 20.000 Fälle bei der Polizei, mit deren Eingang die Staatsanwaltschaft jederzeit rechnen muss. Die Ausgangslage ist also prekär, und das weiß die Politik seit langem.

Aber weshalb sollte sich die Lage durch das neue Cannabisgesetz verschärfen?

Das hat vor allem mit der Amnestie-Regelung zu tun, die das Gesetz in seiner jetzigen Form vorsieht. Diese Regelung besagt, dass Strafen für Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar sind, auch bei den bereits rechtskräftig verurteilten Straftätern nicht weiter vollstreckt werden dürfen. Die Regelung soll bundesweit 100.000 bis 300.000 bereits abgeschlossene Strafverfahren betreffen. Von diesen Zahlen ausgehend könnten es im Land Bremen 1.000 bis 3.000 Verfahren sein, die erneut bearbeitet werden müssen.

Staatsanwaltschaft Bremen unter Druck

nur 65 von 85 Staatsanwaltsstellen besetzt 72.000 Verfahren in 2023Bremer Staatsanwälte überlastetca. 7.000 mehr als 2022 nur 65 von 85 Staatsanwaltsstellen besetzt
Quelle: Bremischer Richterbund

Wie kann man sich das beispielhaft vorstellen?

Wenn jemand beispielsweise wegen des Besitzes von zehn Gramm Cannabis zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, die noch nicht vollstreckt ist, dann darf die Strafe auch nicht mehr vollstreckt werden. Denn nach dem neuen Gesetz darf man bis zu 25 Gramm Cannabis besitzen.

Selbst Straftaten, die längst vollstreckt sind, müssen auf Antrag aus dem Bundeszentralregister getilgt werden, sofern sie nach dem neuen Gesetz nicht strafbar wären. Auf diese Weise gilt der Betroffene unter Umständen nicht mehr als vorbestraft. Das Problem dabei ist jedoch: All das machen keine Maschinen. Das muss alles die chronisch unterbesetzte Staatsanwaltschaft machen mit geschultem Personal, das jeden Fall noch einmal prüft.

Und zwingend war es nicht, diese Rückwirkung zu beschließen. Denn über die Legalisierung bestimmter Mengen Cannabis wurde ja aus guten Gründen nur in einem Gesamtpaket entschieden, das auch verschiedene Schutzvorschriften etwa für Jugendliche und andere Einschränkungen beinhaltet.

Eine kleine Cannabis-Pflanze auf einer Hand
Bis zu drei Cannabispflanzen werden Volljährige nach dem neuen Cannabisgesetz für sich persönlich zuhause anbauen dürfen. Bild: Imago | photothek

Werden auch die Gerichte alte Verfahren neu aufrollen müssen?

Ja. Das betrifft die bereits rechtskräftigen Urteile, bei denen einzelne Strafen in eine Gesamtstrafe eingeflossen sind, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar sind. Ein Beispiel: Jemand wurde im gleichen Verfahren wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, wegen Körperverletzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe und wegen unerlaubten Besitzes von 20 Gramm Cannabis zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Das Gericht hat rechtskräftig eine Gesamtfreiheitsstrafe von beispielsweise zwei Jahren und vier Monaten gebildet. Diese sitzt die Person im Gefängnis ab.

Dann muss mit dem jetzt beschlossenen Cannabisgesetz diese Strafe neu festgesetzt werden, weil der Besitz des Cannabis jetzt als Straftat und damit als Teil der Verurteilung wegfällt. Die Gesamtstrafe muss also wegen der verbleibenden Taten und unter Auslassung der Geldstrafe für den Cannabisbesitz neu zusammengesetzt werden.

Über diese neue Strafe muss ein Gericht entscheiden – und der Betroffene kann dann wieder Rechtsmittel einlegen, so dass das Ganze in die nächste Instanz gehen kann. Und bis die neue Strafe rechtskräftig ist, muss der Verurteilte aus der Haft entlassen werden, weil es ja keine rechtskräftige Strafe als Vollstreckungsgrundlage mehr gibt, oder es muss im Einzelfall Untersuchungshaft angeordnet werden, was aber natürlich nur möglich ist, wenn die strengen Voraussetzungen dafür vorliegen.

Der Gesetzgeber sollte Gesetze so beschließen, dass sie praktisch anwendbar sind. Das ist beim neuen Cannabisgesetz meines Erachtens nicht der Fall. Der Bundesrat soll am 22. März über das Gesetz abstimmen und zum 1. April soll es dann bereits in Kraft treten. Die Justiz hat viel zu wenig Zeit, um diese vielen Altverfahren auszuwerten und unter Berücksichtigung der neuen Gesetzeslage abzuschließen.

Werden deshalb neue Fälle noch länger unbearbeitet bei der Staatsanwaltschaft liegen bleiben, als das derzeit der Fall ist?

Darauf wird es wohl hinauslaufen müssen. Natürlich muss darüber der Leiter der Staatsanwaltschaft entscheiden. Aber klar ist: Diejenigen, die in Haft sitzen und deren Strafe nicht mehr vollstreckt werden darf oder deren Strafe neu festgesetzt werden muss, müssen zum 1. April aus der Haft entlassen werden. Das hat oberste Priorität. Sonst machen sich die Amtsträger selbst strafbar, wenn jemand über den 1. April hinaus in Haft sitzt, ohne dass es dafür eine rechtliche Grundlage gibt. Aber diese Fälle müssen erst einmal aus allen Fällen, die geprüft werden müssen, herausgefiltert werden, und zwar händisch.

Das neue Cannabisgesetz ist zwar nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass es noch an einigen Stellen nachgeschärft wird. Was für Änderungen wünschen Sie sich?

Wenn die Amnestie-Regelung tatsächlich so in Kraft tritt, dann wünsche ich mir deutlich mehr Zeit, ehe das neue Gesetz greifen soll – nicht schon zum 1. April. Die Staatsanwaltschaften und die Gerichte brauchen wenigstens einige Monate zusätzlich, um all die Akten zu sichten, zu sortieren, zu priorisieren, zu entscheiden – und die Entscheidung über Rechtsmittel dazu abwarten zu können. Es darf nicht sein, dass Straftäter aus der Haft entlassen werden müssen, nur weil der Gesetzgeber eine voreilige Frist vorgegeben hat.

Wobei ich aber auch klarstellen will: Über die Frage der Rückwirkung dieser Regelung kann man natürlich streiten, es gibt ja nicht nur Gründe dagegen, sondern auch dafür. Welche überwiegen haben die gewählten Abgeordneten zu beurteilen. Aber man sollte doch bitte im Blick haben, welche Folgen das, was man beschließt, für die Praxis hat.

Und noch etwas: Zwar hat der Gesetzgeber die Warnungen des Deutschen Richterbundes und anderer Experten erhört und die Strafprozessordnung dahingehend geändert, dass im Falle von schweren Verstößen gegen das Cannabisgesetz auch Telefonüberwachung und Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr möglich sein soll. Aber der Gesetzgeber ermöglicht nicht, dass auch wie bisher die Standortdaten der Mobiltelefone von Beschuldigten ausgewertet werden dürfen: Wer hat sich wann wo aufgehalten? Das ist aber eine wichtige Ermittlungsmaßnahme, die Polizei und Staatsanwaltschaft jetzt genommen wird, um schwere Straftaten aufzuklären. Ich kann mir das nur so erklären, dass der Gesetzgeber diesen Punkt schlicht übersehen hat.

Cannabis wird legalisiert: Was Bremer Stimmen dazu sagen

Bild: Radio Bremen
  • "Wichtiger Schritt": Bremer Bundestagsabgeordnete über Cannabis-Gesetz

    Der Bundestag hat ein Gesetz zur Legalisierung von Cannabis beschlossen. Die Bremer Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) spricht von einem "Meilenstein".

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 23. Februar 2024, 19.30 Uhr