Weltkulturerbe Borschtsch: Wie eine Suppe Menschen in Bremen verbindet

Kartoffeln, Fleisch und rote Beete: Ukrainisches auf dem Bremer Teller

Bild: Radio Bremen

Tiefrot die Farbe, vielfältig der Geschmack: Ukrainische Borschtsch ist zum Kulturerbe erklärt worden. Den erdigen Ton finden viele speziell. Unsere Autorin Anna Chaika macht er glücklich.

Es ist eine schwere Suppe in einem intensiven Rot, so heiß, dass der Dampf aufsteigt vom Teller. Der vielseitige Geschmack ist süß, leicht sauer und würzig zugleich. Und neben dem Teller, traditionell, ein Stück Brot mit dem Namen "Pampushka". So fluffig und weich wie eine Wolke.

Ich weiß nicht, wann genau ich das erste Mal Borschtsch gegessen habe. In gewisser Weise ist Borschtsch im Leben eines Ukrainers und einer Ukrainerin wie das Sprechen der ersten eigenen Wort in der Muttersprache – man wird damit geboren und es gehört sofort zu dir. Das Borschtsch-Rezept wird immer wieder weiter gereicht: von der Großmutter zur Mutter, von der Mutter zur Tochter, und so weiter von Generation zu Generation. Und jede Gastgeberin hat ihren eigenen Borschtsch mit ihren Tricks und Geheimnissen. In meiner Familie zum Beispiel servieren wir Borschtsch mit frischen Pflaumen.

Borschtsch ist Familie

Rote Bete und Möhren liegen auf einer Ablage
Im Borschtsch ist viel Gemüse. Bild: Radio Bremen

Es gibt historische Beschreibungen von Zitronen-Borschtsch und auch könglichem Borschtsch, der mit getrocknetem, geräuchertem oder frischem Fisch und dem Brotgetränk Kwas aus fermentierter Roggenkleie gekocht wird.

Borschtsch hat immer einen ehrenvollen Platz auf dem Tisch: Dieses Gericht, das üblicherweise mittags gegessen wird, kann genauso gut zum Frühstück und Abendessen gereicht werden. Borschtsch kann aus Kühlschrank-Resten zubereitet werden – aber auch für Gäste bei einem Festmahl, sogar bei Hochzeiten. Und Borschtsch steht auf dem Speiseplan der ukrainischen Armee für die bewaffneten Streitkräfte, weil er herzhaft ist und gesund.

Ich verbinde Borschtsch immer mit Familie. Der Geruch des Lieblingsessens führt einen direkt zurück in die Kindheit. Mich führt es ins Dorf meiner Großmutter, ich sehe, wie sie in der Küche einen großen Topf Borschtsch kocht. Nicht nur für uns, sondern fürs ganze Dorf. Alles blubbert, der Ofen knistert. Als Kind wurde ich dann in den Garten geschickt, um frische Kräuter zu pflücken, die dem kulinarischen Meisterstück, zusammen mit Sauerrahm, seinen endgültigen Geschmack verliehen – wie der letzte Pinselstrich eines Künstlers auf seinem Gemälde.

"Wir essen Borschtsch und umarmen uns"

Ein Koch und eine Köchin bei der Zubereitung von Borsch
Die Geschwister Natalie und Yaroslav Shtefunyk haben seit dreieinhalb Jahren erste Ukrainische Streetfood Restaurant in Norddeutschland gegründet. Bild: Radio Bremen

Und jeder kann diesen authentischen Geschnmack auch in Bremen erleben. Dieser Ort ist nach der Großmutter der Betreiber benannt: "Bab' Maria". Er befindet sich in der Markthalle Acht. Die Geschwister Natalie and Yaroslav Shtefunyk kochen dort ukrainische Gerichte seit dreieinhalb Jahren. "Borschtsch ist vor langer Zeit ein Symbol für das ukrainische Volk geworden", sagt Natalie Shtefunyk, Inhaberin von Bab' Maria. "Wir möchten die Borschtsch-Kultur verbreiten. So können wir auch unserer geliebten Großmutter Maria danken, die uns aufgezogen, geliebt und uns immer ihr Bestes gegeben hat", erinnert sich Natalie.

Borschtsch ist Leben. Sogar die Farbe ist rot wie Blut. Wenn ich auf dieses Gericht blicke, singt meine Seele. Man kann Kindheit und Erinnerungen schmecken.

Natalie Shtefunyk, Inhaberin von Bab' Maria

"Was Borschtsch ist? Eine Kunst", schwärmt Natalie weiter. Wenn sie über dieses Gericht spricht, erscheint sofort ein Lächeln auf ihrem Gesicht. "Borschtsch ist Leben. Sogar die Farbe ist rot wie Blut. Wenn ich auf dieses Gericht blicke, singt meine Seele. Man kann Kindheit und Erinnerungen schmecken."

Für mich machen Natalie und Yaroslav ihr "Signature-Borschtsch", ihre ganz eigenes Rezept. Während Yaroslav die Möhren und die Beete reibt, spricht Natalie mit Geflüchteten aus der Ukraine, die regelmäßig zu ihnen kommen, weil sie wissen, hier schmeckt es nach Heimat. Und man kann Landsleute treffen und Hilfe bekommen. "Bab' Maria hilft auch in einem humanitären Sinn", sagt Natalie. "Alle Ukrainerinnen und Ukrainer in Bremen kommen zu uns. Manche weinen, wenn sie Borschtsch essen, andere werden sofort fröhlicher und lachen. Und so essen wir zusammen Borschtsch und umarmen uns."

Für mich ist Borschtsch eine Antwort auf die Frage: Was verbindet Ukrainer?

Besondersch schützenwertes Kulturerbe

Eine Pfanne mit Gemüse
Rote Beete und Möhren sind die Grundlage für die Bortsch bei Baba Maria. Bild: Radio Bremen

In Bab Maria's Borschtsch sind gekochte Bohnen und Koriander mit Rosmarin und – natürlich – Liebe. Yaroslav mischt vorsichtig alle Zutaten, um sie zu braten, damit es schon bald zu dem berühmten Borschtsch wird. Die Suppe war übrigens schon in den Tagen der Kiewer Rus, im Mittelalter, beliebt. Aber vermutlich wurde noch nie so viel Borschtsch gegessen, wie in der vergangenen Woche; denn die Ukrainer hatten was zu feiern: Die UNESCO hat die Kultur des ukrainischen Borschtsch zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt – und damit zu einem besonders schützenswerten Kulturerbe. Die UNESCO hatte das eigentlich erst im nächsten Jahr vor, es aber wegen des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine vorgezogen.

Dabei waren vor drei Jahren noch die Ukrainer empört darüber, dass die Russen Borschtsch für russisch erklärt hatten. Das bezeichneten die Ukrainer damals als einen weiteren Propagandaschritt im hybriden Krieg gegen die Ukraine, vor dem Hintergrund der Besetzung der Krim und des Ostens des Landes.

Und wie schmeckt der ukrainische Borschtsch den Menschen in Bremen? Laut Natalie Shtefunyk kommen viele erste bei ihr mit ukrainischem Essen in Berührung, manche dagegen waren schon einmal in der Ukraine. "Und jetzt sagen sie, wenn sie uns sehen: 'Borschtsch! Ich will Borschtsch. In Norddeutschland kann man ihn nur hier richtig schmecken."

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Autorin

  • Profilbild von Anna Chaika
    Anna Chaika Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. Juli 2022, 19.30 Uhr