Bilanz der Werder-Saison: Erweist sich Bremens Abstieg als Glücksfall?

So lief Werders turbulentes Jahr in der 2. Liga

Bild: dpa | Carmen Jaspersen

Erst Tristesse, dann Euphorie und Aufstieg: Sport-Reporter Karsten Lübben blickt zurück auf die vergangene Spielzeit. Seine Schlussfolgerung lässt für die Zukunft hoffen.

Es war eine Frage, die im Frühjahr von Werder-Fans häufiger zu hören war: "Wäre es nicht viel schöner, wenn wir in der 2. Liga bleiben?" Als es dann am Ende tatsächlich ganz knapp wurde, weil Werder gegen den SV Sandhausen, FC St. Pauli und 1. FC Nürnberg nur ein Unentschieden holte und gegen Holstein Kiel gar verlor, kam diese schon häufig seltener über die Lippen. Sie beschrieb allerdings sehr gut ein Gefühl, das viele Fans teilten. Irgendwie waren in der 2. Liga einige Dinge einfach angenehmer und der Fußball wieder ein Stück weit ehrlicher. Doch was bleibt von diesem Jahr in der Zweitklassigkeit? Und wie wird im Nachhinein darauf geblickt werden?

Die "Green White Wonderwall" in der Ostkurve
Die "Green White Wonderwall" der Werder-Fans begeisterte im Saisonendspurt 2016 viele Fußball-Fans in Deutschland. Die "11Freunde" kürte sie gar zur "Fanaktion des Jahres". Bild: Imago | Jan Huebner

Am Sonntag vor einem Jahr stieg Werder nach 40 Jahren aus der Bundesliga ab. Natürlich trauerten die Fans in Bremen, aber gewissermaßen hatten die Jahre zuvor sie auch mürbe gemacht. 2016 mobilisierte sich noch eine ganze Stadt und die "Green White Wonderwall" schob Werder sinnbildlich über die Ziellinie. Auch 2021 waren die Emotionen nochmal groß, als Werder sich mit Ach und Krach in der Relegation in Heidenheim rettete. Doch spätestens im Frühjahr 2021 setzte die Resignation ein. Die Bremer spielten fürchterlich, verloren Spiel um Spiel und die Fans besaßen aufgrund der Geisterspiele noch nicht einmal die Chance, ihr Team im Stadion nach vorne zu peitschen. Es schien nicht mehr die Frage zu sein, ob Werder absteigt, sondern nur noch, ob es dann in diesem Jahr geschieht. Ein grauer Schleier lag über dem Klub und der Stadt.

Bundesliga fehlt der faire Wettbewerb

Werder, so schien es, war ein wenig aus der Zeit gefallen. Und die Bundesliga als Abbild des modernen Fußballs besaß aus Sicht vieler Fans auch kaum noch Attraktivität. Wer mag es ihnen verübeln? Die Bayern sind in diesem Jahr zum zehnten Mal in Folge Meister geworden und am Samstag hat mit RB Leipzig ein Konstrukt den DFB-Pokal gewonnen, das der Vermarktung eines Energydrinks dient und sich zur Verstärkung des Teams regelmäßig die besten Spieler vom Schwesterklub aus Salzburg schnappt. Geld spielt keine Rolle mehr. Strategische Fehler werden durch noch mehr Zaster einfach ausgeglichen. Bei anderen Klubs münden sie hingegen in einem Abstieg.

Das Werder-Team bejubelt den DFB-Pokal-Sieg 2009. Claudio Pizarro hält den Titel gen Himmel.
Werder gewann zum bisher letzten Mal am 30. Mai 2009 den DFB-Pokal. Elf Tage zuvor wurde RB Leipzig gegründet. Bild: Imago | MIS

Duelle in der Bundesliga wie die TSG Hoffenheim gegen den FC Augsburg sind zudem die beste Einladung, vielleicht doch mehr Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Doch selbst ein Klub wie Augsburg ist Werder meilenweit enteilt und konnte dank Investorengeld im Winter für kolportierte 14 Millionen Euro den 18-jährigen US-Amerikaner Ricardo Pepi verpflichten. Nicht als Garanten für den Klassenerhalt, sondern als Perspektivspieler für die Zukunft. In der Rückrunde hat Pepi nicht ein einziges Tor erzielt. "Lieber 0:3 in Wolfsburg als eure falschen Millionen" heißt es im Bremer Fansong "Mein Herz schägt" von Joka, MontanaMax und Shiml. Aber aus Werder-Sicht stellt sich die Frage: Wie soll dieser Klub allein mit guter Arbeit so viele "ehrliche Millionen" verdienen, dass er irgendwann wieder an einstige Erfolge anknüpfen kann?

Endlich wieder Ekstase um Werder

Schöne Gefühle beim Fußball stellten sich an der Weser erst in der 2. Liga, und das auch erst nach einiger Zeit, wieder ein. Doch schnell besteht die Gefahr, dieses Jahr im Nachhinein ähnlich zu romantisieren wie die eigene Schulzeit. Bei dieser erinnert man sich im Nachhinein meist auch nur noch an die guten Partys, aber nicht mehr an die Wochen, in denen drei Klausuren geschrieben werden mussten. Und auch für Werder gab es in der Hinrunde harte Momente wie das 1:4 gegen den SC Paderborn oder die 0:3-Pleiten gegen Dynamo Dresden und Darmstadt 98. Tiefschläge, bei denen sich die Frage stellte, ob der freie Fall an der Weser nochmal ein Ende nimmt.

Werder-Spieler bejubeln den Sieg gegen Schalke.
Ein überragendes Spiel: Den Schalkern ließen die Bremer im Topduell keine Chance. Bild: Imago | Sven simon

Besser lief es erst, als Ole Werner kam und Werder wieder wachküsste. Er gab den Fans neue Hoffnung und vermittelte von Beginn an das Gefühl, dass er sich auf die Stadt und den Verein einlässt. Schnell formte er aus Werder ein Topteam, das begeisterte. Unter Florian Kohfeldt spielten die Bremer nur noch destruktiven Verhinderungsfußball, der mit der einstigen Werder-DNA nichts mehr gemein hatte. Unter Werner hingegen stand der Klub wieder für Spektakel, bog in Paderborn das Spiel nach einem 1:3 noch zum 4:3 um und kletterte in der Tabelle nach oben. Dann das 4:1 auf Schalke, bei dem die Bremer furios aufspielten und im Spitzenspiel die Tabellenführung übernahmen. Endlich ging es nicht mehr darum, etwas zu verhindern, sondern darum, wieder etwas zu erreichen. Endlich sorgte Werder wieder für Ekstase und positive Schlagzeilen.

Werder war der große Fisch im kleinen Teich

Werder war zwar Zweitligist, aber Werder war immerhin wieder Werder. Ein Werder, das zwar nicht mehr für Zornesröte im Gesicht von Uli Hoeneß und magische Europapokalnächte sorgte, doch dafür seit Ivan Klasnic und Miroslav Klose mit Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch mal wieder ein treffsicheres Sturm-Duo hatte, das nicht nur ins gegnerische Tor, sondern mit Amors Pfeil auch treffsicher ins Herz der eigenen Fans traf. Ja, alles war jetzt kleiner in der 2. Liga. Aber alles war jetzt auch viel schöner. Zumindest aus Sicht der Fans.

Marvin Ducksch läuft mit ausgestreckten Armen auf Niclas Füllkrug zu.
Werders Traum-Duo im Sturm: Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug trafen beide beim verrückten 4:3-Sieg in Paderborn. Bild: Gumzmedia | Andreas Gumz

Wäre es daher nicht besser, wenn der Klub einfach in der 2. Liga geblieben wäre? Wohl kaum, denn die Mechanismen des Geschäfts hätten auch vor den Bremern nicht Halt gemacht. Werder musste zwar finanziell abspecken und im Sommer 2021 30 Millionen Euro durch Spielerverkäufe einnehmen, war aber dennoch jetzt der große Fisch im kleinen Teich. Die 3,5 Millionen Euro, die der Klub für Ducksch an Hannover 96 bezahlte, hätte sonst kaum ein Klub in der Liga blechen können. Auch das gehört zur Wahrheit. Bei einem längeren Verbleib in der 2. Liga wären die Bremer Möglichkeiten allerdings immer kleiner geworden. Und mit ihnen auch die Chance, wieder in die Bundesliga zu kommen.

Wohin führt Werders Weg?

Zum Aufstieg gab es also keine Alternative. Und das Jahr in der 2. Liga könnten die Bremer genutzt haben, um neuen Anlauf zu nehmen. War das Jahr für Werder nun also Fluch oder Segen? Das hängt vor allem davon ab, was die Bremer daraus machen. Der wiederhergestellte Zusammenhalt kann dabei ein riesiger Gewinn sein. Zur Zeit der "Green White Wonderwall", also vor sechs Jahren, spielte Werder am 34. Spieltag gegen Eintracht Frankfurt und schickte die Frankfurter im direkten Duell in die Relegation. Am Mittwoch nun holte die Eintracht erstmals seit 42 Jahren wieder den Europapokal. "Man kann Titel gewinnen, indem man viel Geld ausgibt", sagte Frankfurts Coach Oliver Glasner nach dem Finale. "Oder man kann Titel gewinnen, indem man eine Einheit formt."

Die Mannschaft von Union Berlin feiert die Qualifikation für den Europapokal.
Partystimmung in der Hauptstadt: Union Berlin hat sich zum zweiten Mal in Folge für den Europapokal qualifiziert. Bild: Imago | Matthias Koch

Nur mit Geld hätte es die Eintracht niemals geschafft. Sie hatte nicht die besten Spieler, sondern das beste Team. So schaut es auch bei Union Berlin aus. Die Berliner sind vor drei Jahren aufgestiegen und galten im Anschluss als klarer Abstiegskandidat. Stattdessen haben sie sich seitdem zweimal in Folge für den Europapokal qualifiziert. Nicht, weil sie das große Geld, sondern eine große Geschlossenheit besaßen. Diese, so scheint es, hat Werder nun auch in der 2. Liga wiedergefunden. Der Abstieg könnte daher auch das Ende mit Schrecken gewesen sein, das bekanntermaßen besser als der Schrecken ohne Ende ist. Und womöglich der Beginn von wieder besseren Zeiten an der Weser sein.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen mit sportblitz, 15. Mai 2022, 19:30 Uhr