So überlebte dieser Bremer Fußballer die Schrecken des Ukraine-Krieges

Der Ex-Werderaner Abdullah Dogan geriet mitten in die Wirren des Ukraine-Krieges. Erst nach acht Tagen der Angst gelang ihm die Flucht zurück nach Deutschland.
Eines Tages ein Profifußballer zu werden, das war seit jeher Abdullah Dogans größter Traum. Schon früh zeigte der Bremer, was er am Ball alles kann. Erst bei kleineren Vereinen, dann beim großen SV Werder. Fünf Jahre lang lief er für die Grün-Weißen auf, immer den großen Traum vor Augen. Doch als es um die Profikarriere ging, blieb ihm der Durchbruch verwehrt. Sein Glück suchte der Rechtsaußen fortan in den Amateur-Niederungen, wirbelte und ackerte in der Regional- und Oberliga. Anfang des Jahres aber schien es, als könnte sich sein Kindheitstraum doch noch erfüllen: Der ukrainische Klub Metalist Charkiw hatte den 25-Jährigen auf dem Zettel. "Das war eine riesige Chance für mich", sagt Dogan im Gespräch mit dem Sportblitz.
Bald bei einem Profiverein zu spielen und wieder auf der großen Bühne stehen zu können, war ein sehr gutes Gefühl.
Abdullah Dogan
Als Dogan sich zur Vertragsunterzeichnung auf den Weg in die Ukraine machte, konnte er nicht ahnen, dass acht furchtbare Tage vor ihm lagen. Tage voll von Hunger, Schlaflosigkeit und Angst. Dies ist das Protokoll einer Reise, zu der Dogan mit großen Hoffnungen aufbrach – und auf der er sich plötzlich in den Wirren eines schrecklichen Krieges wiederfand.
Dogan fliegt trotz Bedenken in die Ukraine
Obwohl er angesichts der ungewissen Lage in der Ukraine einige Bedenken hat, sich auf den Weg nach Charkiw zu machen, steigt Dogan in den Flieger. Auch weil mit dem Ausbruch eines Krieges zu dem Zeitpunkt kaum einer rechnet. Zumindest weder er, noch sein Berater oder die Verantwortlichen in Charkiw. Doch dann geschieht das Undenkbare: Am selben Tag, an dem Dogan sein Ziel erreicht, lässt der russische Präsident Wladimir Putin seine Truppen ins westliche Nachbarland einmarschieren. "Mein Trikot war schon fertig, die Fans wussten Bescheid und der Klubpräsident hat sogar beim Flughafen gewartet, um mich zu empfangen", so Dogan.
Als der Fußballer den Flughafen in Charkiw verlässt, bricht um ihn herum die Hölle aus. Panzer rollen wenige Meter von ihm entfernt über die Straße, bewaffnete Soldaten stürmen an ihm vorbei. Menschen fliehen in Panik und suchen Schutz, das Krachen einschlagender Bomben dringt durch die Luft. "Das war wirklich sehr, sehr schlimm und ein großer Schock für mich", erzählt Dogan.
Was geschah, als Sie im ukrainischen Charkiw ankamen?
Dogan sucht unter der Erde nach Schutz

Ohne wirklich begreifen zu können, in was für eine Situation er geraten ist, flieht Dogan mit seinem Berater in eine U-Bahn-Station. Dort, tief unter der Erde, findet er Schutz vor dem, was über ihm geschieht. Zumindest vorerst. Denn knapp 24 Stunden später bricht auf einmal Unruhe aus. "Ukrainische Soldaten kamen und meinten, dass wir so schnell wie möglich nach draußen müssten", sagt Dogan. Kaum ist er wieder unter freiem Himmel, dringen aus dem Tunnel die ersten Schüsse nach draußen.
Dogan flüchtet weiter und kommt im Keller eines Hochhauses unter, in dem sich bereits zahlreiche Menschen, darunter viele Kinder, tummeln. Zwar befindet er sich in Sicherheit, doch die Umstände machen ihm zu schaffen: Dogan muss auf dem Boden schlafen – sofern er denn in den Schlaf findet. Ihre Notdurft verrichten die Menschen teils an Ort und Stelle. "Wir standen wirklich in einem Haufen Scheiße", so Dogan.
Essen und Getränke sind Mangelware. In den ersten beiden Tagen ernährt Dogan sich von einem Ei, einem Brotkanten und einer Chilischote. Seine Lebensmittel teilt er sich sorgsam auf, um sein Hungergefühl zumindest vorübergehend zu stillen. "Ich hab einfach nur zu Gott gebetet und versucht, mich mit den Kindern zu beschäftigen, damit sie nicht mehr auf die Bombengeräusche reagieren", erzählt der 25-Jährige. Mit Ticken, 'Mensch ärgere dich nicht' und Kartenspielen macht Dogan das Beste aus seiner Situation. Das Beste für sich, aber auch für die Menschen, die mit ihm um ihr Leben bangen.
Was erlebten Sie, während Sie in Charkiw in einem Keller ausharrten?
Auch Werder steht mit Dogan in Kontakt
So oft es geht, steht er mit seiner Familie und seiner Verlobten in Kontakt. Auch Werder, sein Ex-Verein, schickt ihm aufmunternde Nachrichten. Immer wieder fordern ihn seine Bekannten auf, er müsse aus dem Kriegsgebiet verschwinden und raus aus der Ukraine – schließlich bietet sich ihm die Chance: Dogan, der türkische Wurzeln hat, erhält einen Anruf aus Ankara. "Mir wurde gesagt, dass man mich in ein, zwei Tagen mit dem Zug herausholt", so der 25-Jährige.
Doch außerhalb seines Versteckes herrscht Krieg. Zu einem Bahnhof zu gelangen, erscheint absurd, fast selbstmörderisch. "Mein Berater meinte: 'Du bist wahnsinnig, du riskierst dein Leben'." Doch Dogan versucht sein Glück und trifft auf einen unerwarteten Schutzengel: Ein Soldat, der Fan von Metalist Charkiw ist und von seinem Schicksal gehört hat, organisiert ihm eine Mitfahrgelegenheit, die ihn zum besagten Bahnhof bringt. Eine Tat, die Dogan dem unbekannten Helfer niemals vergessen wird: "Auch wenn ich seinen Namen nicht weiß, hoffe ich, dass er noch lebt und ich ihn eines Tages wiedersehe."
Per Zug kreuz und quer durch die Ukraine
Als der rettende Zug losrollt, beginnt die nächste Odyssee. Nach fast zehnstündiger Fahrt geht es auf einmal nicht mehr weiter. Die Gleise wurden bombardiert, der Zug muss umgeleitet werden. Weil die Versorgung schlecht und der Durst groß ist, trinken einige der Fliehenden das Wasser aus den Toiletten. "Ich konnte nicht mehr", erinnert sich Dogan. "Du bist einfach nur schlapp, kannst nicht mehr schlafen, kannst nicht mehr vernünftig reden."
Gefühlte Ewigkeiten lang fährt Dogan kreuz und quer durch die Ukraine. Nach 32 Stunden endet die Irrfahrt in Lwiw. Aus der Stadt im Westen der Ukraine bringt ihn ein Bus an die rumänische Grenze. Dort holt ihn ein Bekannter mit dem Auto ab. Erster Anlaufpunkt: ein Restaurant. "Als Erstes habe ich ganz viel Wasser getrunken und dann ganz, ganz langsam gegessen", sagt Dogan, der anschließend per Flugzeug über Warschau nach Hamburg gelangt. Nach acht Tagen der Angst nimmt ihm seine Familie noch am Flughafen in Empfang. "Das war etwas wirklich sehr, sehr Schönes", erzählt Dogan und kämpft mit den Tränen.
Wie nahm Ihre Familie Sie nach Ihrer Rückkehr in Empfang?
Auch wenn er wieder zu Hause ist, so ganz angekommen ist der 25-Jährige noch nicht. "Die ersten drei Tage bin ich immer mit Bombengeräuschen aufgewacht, als ob ich immer noch im Krieg und in diesem Keller wäre", erzählt Dogan. Schlaf findet er nachts kaum, höchstens am Mittag kommt er für ein paar Stunden zur Ruhe. "Ich habe mir aber geschworen, dass ich aus dieser Situation wieder stark hervorgehen werde."
Ich muss das alles erst einmal verarbeiten können und brauche Zeit für mich.
Abdullah Dogan
Zugleich tut er alles dafür, um den Menschen, mit denen er mit im Keller so viele Stunden der Angst erlitten hat, zu helfen. Etwa, in dem er ihnen schreibt und Mut zuspricht, aber auch für sie spendet und Geld für sie sammelt.
Die einstige Liebe verkommt zur Nebensache
Der Fußball, sein einstiges Ein und Alles, spielt hingegen gerade gar keine Rolle mehr in seinem Leben. "Seitdem ich zurück bin, habe ich nicht mehr an Fußball gedacht. Fußball wird immer meine Liebe bleiben, ist aber erst einmal nur eine Nebensache für mich geworden", erzählt Dogan, der seinen Traum von der Profikarriere in der Ukraine erst einmal beendet hat. Der Albtraum des Krieges aber, er bleibt.
Dieses Thema im Programm: Sportblitz, 16. März 2022, 18:06 Uhr