Interview

Radprofi Kämna: "Das Projekt Podium ist wohl gestorben"

So läuft die Tour bisher für Lennard Kämna aus Fischerhude

Bild: Imago | Sirotti

Es ist Halbzeit bei der Tour de France und Lennard Kämna aus Fischerhude ist als 21. bester Deutscher. Im ARD-Interview zieht der 25-Jährige Zwischenbilanz.

Dass es bisher so gut beim wichtigsten Radrennen der Saison laufen würde, hätte Lennard Kämna selbst kaum erwartet. Dem 25-Jährigen aus Fischerhude steckt eigentlich noch der Giro d'Italia in den Knochen – dennoch ist Kämna zur Tour-Halbzeit der bestplatzierte deutsche Fahrer (21.).

Beinahe hätte es sogar mit dem 2. Etappensieg seiner Karriere geklappt, auf den letzten 100 Metern wurde Kämna auf der 7. Etappe noch von der Konkurrenz abgefangen – bitterer ging es kaum.

Warum sich Kämna trotzdem nichts vorwirft, was er von der zweiten Tour-Hälfte erwartet und wieso ihm die Corona-Tests keine Angst machen, erzählt er am Ruhetag im ARD-Interview.

Herr Kämna, es war eine super-intensive und lange erste Tour-Woche. Wie gut tut der Ruhetag?

Ich freue mich sehr über den Ruhetag. Es war hart und anstrengend. Ich bin glücklich, dass wir heute ein bisschen easy machen können. Ich lege mich einfach ins Bett, gucke vielleicht ein paar Serien und telefoniere etwas herum. Ansonsten lege ich einfach die Beine hoch und entspanne mich.

Radprofi Lennard Kämna auf der 7. Etappe der Tour de France führend in einer Staubwolke.
Geführt und knapp verloren: Lennard Kämna ist auf der 7. Etappe frustriert vom "Drecksberg". Bild: Imago | Belga

Sie fahren bislang eine super Tour. Am auffälligsten war der Solo-Ritt bei der 7. Etappe. Wie oft gingen Ihnen diese Szenen noch durch den Kopf?

Nicht mehr allzu häufig. Natürlich habe ich noch ein, zwei Mal darüber nachgedacht, ob ich irgendwo doch hätte schneller fahren können oder wie man es noch hätte drehen können, um doch noch zu gewinnen. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass da nicht viel Spielraum war. Von daher bleiben da keine schlechten Gefühle.

Ihnen steckt eigentlich noch der Giro in den Knochen. Wie überrascht sind Sie selbst, dass es so gut läuft?

An sich fühle ich mich ganz gut. Ich hatte aber auch viele Tage dabei, an denen ich mich nicht ganz so gut gefühlt habe und es eher etwas zäh ging. Aber im Großen und Ganzen stimmt die Form, die Fitness ist da. Manchmal ist das Feeling ein bisschen schwer auf dem Rad. Aber ich kann mich so reinekeln und dann geht's irgendwie. Von daher habe ich eigentlich ein gutes Gefühl für die nächsten zwei Wochen.

Die Marschroute für Ihr Team lautete aggressiv und offensiv und vor allem für Ihren Kapitän Aleksandr Vlasov zu fahren – der liegt nun über drei Minuten zurück. Wie fällt Ihr Team-Fazit bisher aus?

Wir würden schon gerne woanders stehen, ganz klar. Der Sturz war super-ärgerlich und hat Alex sehr viel Kraft gekostet. Und wenn man dann diese fünf bis zehn Prozent verliert, und fährt gegen Fahrer wie Pogacar, Vingegaard, Roglic, die alle auf einem sehr hohen Level sind, dann hat man wenig Chancen, konkurrenzfähig zu sein. Das war ein bisschen das Problem und wir müssen hoffen, dass es jetzt besser wird.

Was heißt das für das Gesamt-Ziel?

Das heißt, wahrscheinlich ist das Projekt Podium gestorben. Es wird sehr, sehr schwer da noch irgendwie heranzukommen. Alex wird versuchen, in die Top 10, die Top 5 zu fahren, wenn es richtig gut läuft. Aber im Großen und Ganzen geht es darum, den Aufwärtstrend zu schaffen.

Wenn das Podium weg ist, sind Sie dann in den nächsten Tagen mehr eingespannt für den Kapitän oder freier?

Ich denke, dass wir ohnehin viele Freiheiten hatten. Wir sind relativ breit aufgestellt mit Fahrern, die etwa auf einem Level sind. Daher hatten wir immer die Möglichkeit, dass ein, zwei in die Spitzengruppe gehen. Ich hätte gestern dabei sein können, aber da war es Patrick (Konrad), der Vollgas hinterher fuhr. Und da muss man anderen Fahrern auch die Chance lassen. Er hatte sich das auch verdient und ist sehr stark gefahren.

Ähnlich wird es auch in der nächsten Woche aussehen, dass wir mit ein, zwei Leuten vorne versuchen, um den Etappensieg mitzukämpfen. Dennoch brauchen wir auch Fahrer, die bei Alex sind, um ihm zu helfen. Ich denke, man muss ihm auf jeden Fall noch ein, zwei Tage geben, damit er die Chance bewahren kann, vorne reinzufahren.

Fällt auf der nächsten Etappe schon eine Vorentscheidung?

Der Anstieg morgen ist sehr schwer, der ist sehr unrhythmisch zu fahren. Wenn man da wieder einen schlechten Tag erwischt, ist es wahrscheinlich vorbei. Aber wenn man sich sehr gut fühlt, kann man bei den Besten dabei bleiben und den Abstand vielleicht verkürzen. Wir werden sehen, wie es läuft.

Die Corona-Gefahr fährt mit. Wie groß ist bei Ihnen die Angst, dass Sie mit einem positiven Test raus sind?

Ich will hier gar nicht immer von Angst sprechen. Natürlich hat man das im Kopf. Es gibt Corona und man hat ein Riesen-Problem, wenn man einen positiven Test hat. Aber ich kann es ja nicht ändern. Ich kann nur die Maske aufsetzen und näheren Kontakt so gut es geht vermeiden. Aber ich habe überhaupt keine Angst davor. Wenn der Test positiv und man raus ist, dann ist es so. Soll ich jetzt in Angst leben? Auf gar keinen Fall.

In Bremen fiebern viele Fans mit Ihnen mit. Kriegen Sie das mit?

Ich bin schon sehr im Tunnel, aber ich kriege doch eine Menge mit. Ich habe sehr viele nette Nachrichten, besonders nach der 7. Etappe, bekommen und das nehme ich natürlich voll wahr und das hat mich sehr gefreut.

(Das Interview wurde aufgezeichnet von Petra Philippsen.)

Radprofi Kämna bei der Tour: "Bekam viele Nachrichten aus Bremen"

Bild: Radio Bremen

Mehr zum Thema:

Dieses Thema im Programm: Sportblitz, 11. Juli 2022, 18:06 Uhr