Ex-Kollegin von Patientenmörder Högel spricht von "Maulkorb"

  • Ehemalige Kollegen sagten als Zeugen aus.
  • Högel habe hervorragend reanimiert.
  • Vorgesetzte sollen Verdachtsmomente heruntergespielt haben.
Der Patientenmörder Niels Högel vor Gericht.
Ex-Kollegen hielten ihn für kompetent, den Patientenmörder Niels Högel. Bild: DPA | Mohssen Assanimoghaddam

Im Mordprozess gegen den früheren Krankenpfleger Niels Högel verdichten sich die Hinweise, dass etliche Kollegen und Vorgesetzte etwas geahnt haben müssen. Zumindest hätten viele das "komische Gefühl" gehabt, dass irgendetwas nicht stimmt, sagte eine frühere Kollegin vor dem Landgericht Oldenburg. Die erfahrene Intensivschwester des Krankenhauses Delmenhorst betonte, sie habe weder vor noch nach Högels Zeit so viele Reanimationen und Todesfälle erlebt wie in diesen Jahren.

Bereits an vergangenen Verhandlungstagen hatten Ex-Kollegen von frühen Ahnungen berichtet. Im Prozess gegen Högel war heute so etwas wie die Halbzeit. Zum letzten Mal wurden am Oldenburger Landgericht ehemalige Kollegen aus den Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg vernommen. Insgesamt sagten in dem Verfahren 26 Pfleger, Ärzte und Verwaltungsangestellte aus, heute die letzten vier.

Kollegen sollen der Zeugin zufolge ihre Vermutungen bei der Stationsleitung und anderen Vorgesetzten gemeldet haben. Ein Kollege habe sogar einmal vier leere Ampullen des Medikaments Gilurytmal dem Stationsleiter gebracht, berichtete die Zeugin. Mit diesem Medikament hatte Högel nachweislich gemordet. Obwohl es auf der Station nie von Ärzten verordnet wurde, sei der Kollege abgewiegelt worden. Er habe erzählt, ihm sei ein "Maulkorb" verpasst worden. Nie habe sie den Kollegen so wütend erlebt, wie an diesem Tag, sagte die Zeugin.

Kollegen sprachen vom "Rettungs-Rambo" oder "Sensen-Högel"

Laut Anklageschrift hat Högel von 2000 bis 2005 in der Klinik Oldenburg 36 Patienten und im Delmenhorster Krankenhaus 64 Patienten getötet. Er soll seine Opfer mit Medikamenten vergiftet haben, die zum Herzstillstand oder Kammerflimmern führten. Anschließend habe er versuchte, sie wiederzubeleben, um als rettender Held dazustehen.

Die letzten Zeugen aus den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst schilderten Högel erneut als laut und lustig, zupackend und – zumindest was die technische Seite seines Berufes angeht – extrem kompetent. Eine Einschätzung, die von nahezu allen Zeugen geteilt wurde. Sie sprachen mit einer gewissen Anerkennung vom "Rettungs-Rambo", aber auch vom "Pechvogel" oder "Sensen-Högel". Wann immer ein Alarm losging, sei Högel einer der ersten am Patientenbett gewesen. Darin waren sich alle einig. Doch darüber hinaus äußerten sie sich sehr unterschiedlich.

Er war bei Reanimationen immer einer der ersten und hat andere weggedrängt, die eigentlich zuständig waren.

Ein ehemaliger Kollege von Niels Högel vor Gericht

Eine Ärztin, die 2002 im Delmenhorster Klinikum mit dem Krankenpfleger zusammen gearbeitet hatte, lobte seine Kompetenz. Es sei beruhigend gewesen, wenn Högel auf der Station war, weil er gut reanimieren konnte, so die Medizinerin. An konkrete Verdachtsmomente, dass der Pfleger auch für Todesfällen verantwortlich gewesen sein könnte, erinnerte sich die Zeugin nicht. "Gerede kam erst auf, als Högel nicht mehr an dem Krankenhaus arbeitete", sagte sie.

Besonders Zeugen aus dem Klinikum Oldenburg beriefen sich auf große Erinnerungslücken oder sagten, sie hätten von alledem nichts mitbekommen. Auch am Donnerstag hatte ein Krankenpfleger aus dem Klinikum Oldenburg große Probleme, sich zu erinnern. Er könne nicht mehr klar unterscheiden, was er selbst erlebt habe und was er aus Medien und von Kollegen erfahren habe, sagte er. Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann reagierte gereizt: Überhaupt seien die Aussagen der Zeugen aus dem Klinikum Oldenburg geradezu "uniform". Er betonte, dass er die Äußerungen des Pflegers für nicht glaubwürdig halte und vereidigte ihn. Damit erhöhte sich die Zahl der vereidigten Zeugen auf acht. Sie alle waren oder sind noch im Klinikum Oldenburg beschäftigt. Die Staatsanwaltschaft muss gegen sie ermitteln und Anklage erheben. Im Falle einer Verurteilung wegen Meineids drohen Haftstrafen von sechs Monaten bis zu mehreren Jahren.

Interne Strichliste über Reanimationen

Weitere Zeugen berichteten vom Hörensagen, dass einige Schwestern und Pfleger Högel untersagt hätten, an ihre Patienten zu gehen. Der pflegerische Stationsleiter hatte zudem offenbar im Auftrag seines Vorgesetzten eine Strichliste über Reanimationen und Todesfälle auf der Intensivstation geführt. Die Strichliste wurde im Gerichtssaal an die Wand projiziert: Högel führt diese Liste mit 18 Wiederbelebungen an, der nächste Kollege auf der Liste kann lediglich zehn Reanimationen aufweisen. Am Ende steht ein handschriftlicher Vermerk, demzufolge die Beweislage nicht ausreicht, um die Staatsanwaltschaft zu informieren. Der Autor der Liste beruft sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, weil auch gegen ihn ermittelt wird.

An diesem Freitag werden erstmals zwei Rechtsmediziner aussagen. Sie hatten von 134 exhumierten möglichen Opfern Proben entnommen und Beweise, wie Medikamentenrückstände, gesichert. Auf ihre Befunde stützt sich die Anklage. In dem seit Ende Oktober laufenden Prozess hat der frühere Krankenpfleger bisher 43 Mordfälle eingeräumt. Fünfmal wies er die Anschuldigungen zurück. An die anderen Patienten könne er sich nicht erinnern, sagte er. Wegen weiterer Taten verbüßt Högel bereits eine lebenslange Haftstrafe.

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 7. März 2019, 9 Uhr

Archivinhalt