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Gutes Gesetz, Praxis mit Mängeln: So soll Bremens Pflege besser werden
In einer neuen Studie hat Pflegeforscher Rothgang das Betreuungsgesetz geprüft. Fazit: Der Anspruch ist höher als die Praxis leisten kann. Er stellt Forderungen, um gut zu werden.
Das Gesetz ist gut. Um es aber auch gut umzusetzen, bräuchte Bremen mehr Personal: sowohl in den Pflegeeinrichtungen als auch in den Aufsicht führenden Behörden. Zu diesem Ergebnis kommen – grob zusammengefasst – drei Sozialforscher von der Uni Bremen bei ihrer "Evaluation des Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetzes (BremWoBeG) sowie der Personalverordnung zum Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetz (BremWoBeGPersV)". Demnächst wird sich die Sozialdeputation der Bremischen Bürgerschaft mit dem Bericht der Wissenschaftler befassen, der buten un binnen bereits vorliegt.
Zum Hintergrund: Das Gesetz soll hilfsbedürftigen und behinderten Menschen in Wohn- und Unterstützungsangeboten wie Pflegeheimen "bei der Wahrnehmung ihrer Interessen und Bedürfnisse unterstützen", wie es im Gesetzestext heißt. Das Gesetz ist in seiner jetzigen Form im Wesentlichen seit Februar 2018 in Kraft und soll bis Ende des Jahres novelliert werden. Der Evaluations-Abschlussbericht der Bremer Sozialforscher Heinz Rothgang, Thomas Kalwitzki und Benedikt Preuß soll als Grundlage der Novelle dienen, die Bremens Politik nun vorantreiben muss.
Abgleich von Anspruch und Wirklichkeit
Eine Herausforderung dabei dürfte darin liegen, die Kluft zwischen dem Anspruch des Gesetzes und seiner praktischen Umsetzbarkeit ein wenig zu verkleinern. Auch klemmt es offenbar an der Aufsicht in den Pflegeeinrichtungen durch die Behörden.
So schreiben die Autoren in ihrem Bericht: "Es zeigt sich an verschiedenen Stellen der Gesetzgebung – etwa dem Anwendungsbereich oder der differenzierten Personalpräsenzregelung –, dass das Bremische Gesetz im Vergleich zu anderen Ländergesetzgebungen modern und progressiv ist."
Die hiermit verfolgten Ziele zur Wahrung der Würde und Förderung der Selbständigkeit Pflegebedürftiger seien angemessen und könnten durch die Gesetzesregelungen weitgehend erreicht werden. Und im Land Bremen gibt es eine Vielzahl von Pflegeeinrichtungen.
Guter Ansatz, aber fehlende Ressourcen
Allerdings bedürfe es großer Ressourcen, um die Gesetzesregelungen zu überwachen und um die Pflegeeinrichtungen angemessen zu beraten.
Diesem Bedarf konnte auf Seiten der ausführenden Behörde in den vergangenen Jahren personell durchgehend nicht entsprochen werden.
Zitat aus Evaluationsbericht
Vielmehr berichteten alle Akteure übereinstimmend von Vollzugsdefiziten bei Prüfungen und Kommunikationsproblemen, stellen die Autoren hierzu fest. Mit anderen Worten: Die Wohn- und Betreuungsaufsicht müsse viel gründlicher, mit mehr Personal untersuchen, ob und inwiefern Bremens und Bremerhavens Pflegeeinrichtungen das Wohn- und Betreuungsgesetz tatsächlich befolgen.
Personalmix ins Visier nehmen
Die Autoren machen in ihrem über 200 Seiten langen Evaluationsbericht allerdings auch deutlich, dass mehr Aufsicht durch die Behörden über die Umsetzung des Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetz kaum ausreichen wird, um die Lage in den Pflegeeinrichtungen für hilfsbedürftige und schwerbehinderte Menschen ernsthaft zu verbessern.
Um tatsächlich sicherzustellen, dass die Würde, die Selbstbestimmung und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dieser Menschen angemessen gefördert wird, müsste das Gesetz künftig Raum für "bedarfsgerechte Personalmixe in Pflege- und Betreuungseinrichtungen" schaffen, schreiben sie.
Mindestfachkräfteanteil in Bremer Pflegeeinrichtungen
"Wir brauchen zusätzlich zu den vorhandenen Fachkräften dringend viele weitere Hilfskräfte mit ein- bis zweijähriger Ausbildung", sagt dazu Benedikt Preuß, einer der Autoren. Derzeit aber schreibe das Ordnungsrecht eine Fachkraftquote von 50 Prozent in Pflegeeinrichtungen vor. Diese Quote sei keinesfalls überall sinnvoll, so Preuß.
Wie Pflegebedürftige bei uns versorgt werden
Um zu ermitteln, wie viele Pflegekräfte welcher Qualifikation tatsächlich in welcher Pflegeeinrichtung gebraucht werden, hat das Forschungszentrum Socium der Uni Bremen vor zwei Jahren ein Personalbemessungsinstrument aus diversen mathematischen Formeln entwickelt.
Rothgang, Kalwitzki und Preuß hoffen nun, dass dieses Instrument im Land Bremen bald zum Einsatz kommen könnte. Mit seiner Hilfe könnten zusätzliche Pflegekräfte unterschiedlicher Qualifikation und Ausrichtung dazu beitragen, den Fachkräftemangel in der Pflege abzufedern: "Wir brauchen viele helfende Hände", fasst Preuß die Lage zusammen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 11. März 2022, 11 Uhr