Interview

Hickel zu Entlastungspaket: "Da muss nachgearbeitet werden"

Entlastung für alle mit dem Entlastungspaket vom Bund?

Bild: Radio Bremen

Rentner, Azubis und Studierende profitieren nicht vom Energiepaket der Bundesregierung, kritisiert der Bremer Wirtschaftswissenschaftler. Das Programm sei nicht ausreichend differenziert.

Die Ampel-Koalition hat ein umfangreiches Paket geschnürt, um die Menschen in Deutschland von den Auswirkungen der stark gestiegenen Energiepreise zu entlasten. Ein Energiezuschuss für Erwerbstätige, 100 Euro mehr Kindergeld und günstige ÖPNV-Tickets zählen zu den Maßnahmen. Aber was wird das alles kosten und kommt das Geld überhaupt bei den Richtigen an? Das erklärt der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel.

Herr Hickel, gibt es schon Schätzungen, was das Entlastungspaket den Staat insgesamt kosten wird?

Das ist schwer zu schätzen. Heute ist viel rumgerechnet worden, ich habe auch gerechnet. Ich gehe davon aus, dass es ungefähr 14 bis 15 Milliarden sind, die dieses zweite Programm zur Abfederung der Energiepreise kostet.

Sind diese 14 bis 15 Milliarden gerecht verteilt? Landet das Geld bei denen, die es auch wirklich brauchen?

Man muss sich die Philosophie des Programms anschauen. Der Ausgangspunkt sind die enorm gestiegenen Energiepreise erstens, zweitens die Tatsache, dass das sozial sehr starke Wunden schlägt, dass viele sehr stark betroffen sind. Das dritte ist, dass man sagt, wir geben jetzt eine Unterstützung und gehen auf die Bürgerinnen und Bürger zu, und da verlangt man eigentlich, dass man sozial stärker differenziert. Warum wird beispielsweise die Energiesteuer beim Pkw, die 30 Cent bringt pro Liter Benzin, warum wird die allen Autofahrern gegeben? Da hat die Regierung nicht stark genug differenziert.

Ein Punkt, den ich gut finde: Bei dem Kindergeld steht klipp und klar drin, dass bei Einkommensstarken das Kindergeld verrechnet wird mit dem Kinderfreibetrag. Da ist eine Sozialkomponente drin. Man spürt einfach die Spannungen in der Koalition, ich kann mir das gut vorstellen, wie das heute Nacht gelaufen ist. Und da war immer der Bremser wenn es um Sozialausgleich geht, wenn es um die Mobilitätsabgabe von Heil (Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil, die Redaktion) geht, die sozialorientiert werden sollte, dann war immer der Bremser die FDP. Das spürt man durch das ganze Programm durch.

Sind denn Bevölkerungsgruppen in dem Programm ganz vergessen worden?

Es sind die Sozialeinkommens-Bezieher mit 100 Euro extra drin, es sind die Familien mit Kindern drin. Nicht drin beziehungsweise ungelöst sind die Rentnerinnen und Rentner, die überhaupt nicht berücksichtigt sind. Wer auch nicht drin ist, sind Azubis und Studierende. Da muss nachgearbeitet werden.

Außerdem, und jetzt muss ich etwas pessimistisch werden: Wir fragen uns, reicht das jetzt alles aus? Gezielte Maßnahmen für die Wirtschaft, nicht für die Bürgerinnen und Bürger direkt, sondern gezielte Ausgaben für die Wirtschaft – beispielsweise für eine Bäckerei, die sehr leidet unter hohen Strom- und Getreidepreisen – ist überhaupt keine Maßnahme vorgesehen. Ich gehe davon aus, dass wir hier auch nochmal ein Paket bekommen, das sich konzentriert auf die Wirtschaft, auch in Bremen.

Wird das aus dem Haushalt finanzierbar sein oder werden neue Schulden gemacht? Ist das mit der Schuldenbremse vereinbar?

Da muss ich ganz klar sagen: Wer behauptet, es wird nicht über Schulden finanziert, dem sage ich jetzt schon auf den Kopf zu, das ist einfach unwahr. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, als es über neue Schulden zu finanzieren, diese 15 Milliarden. Das ist aber auch sinnvoll, was wäre denn die Alternative? Entweder wir machen nichts, dann haben wir eine soziale Spaltung, oder wir finanzieren es durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen. Das wäre in dieser Lage eine absolute Katastrophe.

Die so viel inkriminierte Schuldenbremse zeigt sich mal wieder als völlig untauglich, und ich gehe davon aus, dass durch Artikel 115 zur Notlagesituation die Kriegsfolgen auch beschrieben werden können, die wir ja auch in Bremen spüren, dass so etwas dringend über Schulden finanziert werden muss. Das ist eine Last, die man in künftige Generationen hineinbringen muss. Wir haben im Moment überhaupt keine Probleme, diese Schulden zu aquirieren, weil die Anleger, vor allem die weltweiten Anleger, unglaublich scharf sind auf deutsche Staatsanleihen. Ich sehe da überhaupt kein Problem.

Zurückgezahlt werden muss es natürlich irgendwann...

Wenn die Wirtschaft wieder stark ist, und das ist ja der Sinn des Programms, wenn die Gesellschaft sozial nicht auseinanderfällt, dann ist der Sinn des Programms, dass wir dann wieder anfangen und die Schulden wieder zurückzahlen – so ist die Logik.

Das Energie-Entlastungspaket der Bundesregierung im Überblick

Bild: Radio Bremen

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Autor

  • Felix Krömer
    Felix Krömer

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. März 2022, 19:30 Uhr