Kommentar

Inklusion? Schön wär's!

Rebecca Maskos
Rebecca Maskos arbeitet als freie Journalistin und setzt sich für die Rechte Behinderter ein. Bild: Rebecca Maskos

Erstmals dürfen dauerhaft Betreute in Bremen an einer Wahl teilnehmen. Das wurde auch Zeit – findet Rebecca Maskos in ihrem Gastkommentar.

Selbst mir – mit abgeschlossenem Studium und Berufsausbildung – passiert es immer wieder: "Wo ist denn Ihr Betreuer?", wird gefragt. Oder die Person, mit der ich unterwegs bin, wird im Laden über meinen Kopf hinweg angesprochen: "Was möchte sie denn?"

Mein Rollstuhl ist offenbar Grund genug, mir Entscheidungsfähigkeit und Kompetenz abzusprechen. Immerhin: An der Wahlurne darf ich frei entscheiden, welche Partei ich wählen will. Das Bundeswahlgesetz regelt, dass jeder ab 18 frei wählen darf. Wirklich jeder? Nicht ganz.

Rund 85.000 behinderte und schuldunfähige Menschen dürfen nicht wählen

Bis jetzt war bundesweit eine nicht gerade kleine Gruppe von Menschen von den Parlamentswahlen ausgeschlossen – Menschen mit psychischen oder geistigen Behinderungen, die gesetzlich betreut werden. Und Menschen, die wegen einer Straftat und Schuldunfähigkeit in einer Psychiatrie untergebracht sind. Zusammengenommen sind das nach einer aktuellen Studie rund 85.000 Menschen.

Schon in der dritten Legislatur in Folge debattierte der Bundestag gerade erst im Februar über einen Gesetzesentwurf, der Schluss machen sollte mit den Ausschlüssen vom Wahlrecht. Dass die rechtswidrig sind und auch mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar sind, das hatten Experten schon lange festgestellt.

Auch im Koalitionsvertrag stand das Vorhaben. Doch ausgerechnet CDU und Teile der SPD stellten sich quer. Und das nicht zum ersten Mal in dieser Sache. Man müsse erstmal sicherstellen, dass behinderte Menschen nicht manipuliert werden – und können die das überhaupt? Selbst wählen?

Politik sollte für jeden verständlich sein

Es ist ein altes, paternalistisches Behindertenbild, dem die Abgeordneten da anhängen. Auch wenn jemand unter Betreuung steht – also zum Beispiel Hilfe braucht bei Verträgen oder bei medizinischen Entscheidungen – auch dann kann er sich trotzdem eine politische Meinung bilden. Wahlprogramme in leichter Sprache gibt es schon seit einigen Jahren. Und Politik kann man auch so erklären, dass viele sie verstehen können.

Hinter dem Ausschluss behinderter Menschen vom Wahlrecht steht ein Bild, das uns erstmal als defizitär versteht, als unfähig und unmündig. Was dagegen hilft? Eine Gesellschaft, die uns alle ernst nimmt: als Rechtssubjekte. Und die uns frei entscheiden lässt: Zum Beispiel auch an der Wahlurne.

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    Rebecca Maskos

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 15. April 2019, 8:35 Uhr

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