Wie die systematische Behinderung von Betriebsräten auch Bremen bewegt

Man nennt es auch "Union Busting". Manche Arbeitgeber bekämpfen Betriebsräte systematisch – juristisch und psychologisch. Viele geben auf, aber es gibt Ausnahmen.

Nicole Meyer spricht mit ruhiger Stimme: "Irgendwann denkt man, jetzt ist es endlich zu Ende", sagt sie. "Doch dann merkt man, es hört nie auf." Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeitet die gelernte Krankenschwester für die Residenz-Gruppe, die in Bremen Pflegeheime in Huchting, Hastedt, Hemelingen und Arsten betreibt – und 2015 von einem der größten Pflegekonzerne Europas, der französischen Orpea-Gruppe, übernommen wurde.

Die persönliche Leidensgeschichte, auf die Meyer anspielt, begann für sie im Dezember 2020 – kurz vor Weihnachten. Damals bekam die heute 47-Jährige einen Brief aus der Chefetage. Kurz zuvor hatte der deutsche Gesamtbetriebsrat, dessen Vorsitzende sie ist, einen Beschluss gefasst, bei dem es um die Einführung einer neuen Software im Unternehmen ging. Der Beschluss sah vor, einen Gerichtsprozess gegen die Senioren Wohnpark Weser GmbH einzuleiten.

Hauptquartier des französischen Pflegekonzerns Orpea
Der französische Konzern Orpea betreibt von Portugal bis Polen hunderte Pflegeeinrichtungen – 21 davon in Norddeutschland. Bild: dpa | Michel Euler

Bei der Beschlussfassung fehlte zwar ein Gesamtbetriebsratsmitglied. Nach Auffassung der Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Nicole Meyer war es in diesem Fall aber nicht erforderlich, eine Nachrückerin einzuladen. Der Arbeitgeber sah das anders. Die Argumentation: Der Beschluss hätte daher nie getroffen werden dürfen, weshalb die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Prozessbetrug begangen habe.

Im Raum stand plötzlich eine Verdachtskündigung Meyers auf Grundlage des vermeintlichen Pflichtverstoßes. "Ich musste dann zwischen Weihnachten und Neujahr eine Stellungnahme schreiben", sagt sie. Die Feiertage waren damit gelaufen. "Da war ich erstmal geschockt." Schließlich landete die Sache sogar vor Gericht. Das Ergebnis: Der Betriebsrat und damit Nicole Meyer bekam Recht.

Gerichtsstreit um einen Bindestrich

Doch beendet war die Sache damit nicht. Im Gegenteil. Danach sei es Schlag auf Schlag weitergegangen. Alle paar Wochen habe sie neue Schreiben bekommen.

Man hat keine Luft mehr gekriegt.

Nicole Meyer, Betriebsrätin

War die eine Stellungnahme gerade abgegeben, stand kurz darauf die nächste Anhörung oder das nächste Verfahren an.

Unter anderem ging es darum, dass die Kürzel "WA" für Wirtschaftsausschuss und "GBR" für Gesamtbetriebsrat im Terminkalender des stellvertretenden Gesamtbetriebsratsvorsitzenden durch einen Bindestrich statt durch einen Schrägstrich verbunden gewesen waren. Weshalb der Arbeitgeber behauptete, die Gesamtbetriebsratssitzung habe nie stattgefunden. Erneut wurde so ein vermeintlicher Prozessbetrug begründet. Auch hier verlor der Arbeitgeber das gerichtliche Verfahren.

Im Laufe des Verfahrens hatte der Arbeitgeber darüber hinaus vermeintliche, auf Meyers Arbeit bezogene Log-in-Daten ausgewertet. Die Argumentation: Nur wer eingeloggt sei, würde auch arbeiten. Wiederum entschied das Gericht im Sinne der Betriebsrätin.

15.000 Euro Schmerzensgeld für Betriebsrätin

"Und das waren nur die ersten Wochen", sagt Meyer. Seither habe ihr Arbeitgeber zahlreiche weitere Verfahren angestrengt. So etwas habe auch er noch nicht erlebt, sagt Meyers Anwalt, Michael Nacken. "Am meisten hat mich geschockt, mit welcher Gehässigkeit und vorgeschobenen Verdächtigungen die Betriebsräte verfolgt werden, obwohl jeder weiß, dass sie sich überhaupt nichts haben zu Schulden kommen lassen."

Er spricht in diesem Zusammenhang vom Union Busting – also die "systematische Zermürbung und Zerstörung von Betriebsräten". Beleidigungen, Drohungen, das Schüren von Existenzängsten, Verdächtigungen, Mutmaßungen und immer neue Gerichtsverfahren gehörten zu dessen Instrumentarium.

Wegen solcher systematischen Diskriminierungen, Beleidigungen und Angriffe erhob Nicole Meyer schließlich auch selbst Klage beim Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven und verlangte Schmerzensgeld. Kaum war die Klage eingegangen, wurde sie von ihrem Arbeitgeber auf 150.000 Euro Schadensersatz wegen einer angeblichen Rufmord-Kampagne verklagt. Das Ergebnis: Im März verurteilte das Gericht die Senioren Wohnpark Weser GmbH und deren Geschäftsführer zur Zahlung von insgesamt 15.000 Euro Schmerzensgeld. Alle Widerklagen des Arbeitgebers wurden abgewiesen.

Orpea-Tochter führt mehr als 20 Verfahren in Bremen

Seit Mitte 2020 haben vor dem Arbeitsgericht Bremen mehr als 20 Verfahren im Zusammenhang mit der Orpea-Tochter Senioren Wohnpark Weser GmbH stattgefunden. Dabei ging es überwiegend um Mitbestimmungsvorgänge oder Klagen gegen Mitglieder oder von Mitgliedern des Betriebsrates des Unternehmens. Auf Nachfrage von buten un binnen, wie das Unternehmen Mitbestimmung sehe, teilt die Geschäftsführung schriftlich mit, dass Betriebsräte gewählte und wichtige Gremien seien. Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat sei deshalb für alle das Beste.

Darüber hinaus weist das Unternehmen darauf hin, dass in den angesprochenen Verfahren ein Vergleich geschlossen worden sei, der beinhalte, die Themen aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. "Daran halten wir uns als Arbeitgeber", so Geschäftsführer Sebastian Hollatz. "Einen solchen generellen Vergleich gibt es nicht", sagt hingegen Meyers Anwalt Michael Nacken.

Konzerne nur die Spitze des Eisbergs

Fälle, die es öffentlichkeitswirksam in die Medien schaffen, sind zwar auch in Bremen selten, aber sie passieren immer wieder. So verhinderte vor einigen Jahren beispielsweise die Bio-Supermarktkette Alnatura die Gründung eines Betriebsrats in der Filiale in der Faulenstraße.

Expertinnen sehen in solchen Fällen aber nur die Spitze des Eisbergs. "So etwas passiert nicht nur in den großen Konzernen", sagt Anja Feist von der Arbeitnehmerkammer Bremen. Die systematische Zerstörung oder Behinderung von Betriebsratsarbeit geschehe auch in kleineren Betrieben. Von den kleinen Sticheleien bis zu den großen Fällen mit Verhinderung der Betriebsratswahl sei alles dabei, sagt die Beraterin. "Manchmal hat man das Gefühl, es gibt ein Handbuch dafür."

"Wir sind auch Emotionsmanager", sagt Feist. Denn das "Union Busting" wühle die Beteiligten meist sehr auf. Angriffe würden oft nicht nur auf der juristischen, sondern auch auf der persönlichen Ebene geführt. "Es kann dann auch irgendwann der Punkt kommen, an dem wir sagen: Gehe doch besser in den Vorruhestand oder wechsele den Arbeitgeber."

Manche Betriebsräte geben irgendwann auf

Von der Betriebsrätin Nicole Meyer, die auch Vorsitzende des europäischen Betriebsrats der Orpea-Gruppe ist, sei sie beeindruckt, sagt Feist. Doch sie kenne aus ihrer täglichen Arbeit auch andere Fälle. Typisch sei die Behinderung von Betriebsratswahlen, die auch in Bremen derzeit wieder von März bis Mai stattfinden. "Da werden dann zum Beispiel die Daten der Beschäftigten für die Wählerlisten von den Arbeitgebern nicht herausgegeben, obwohl sie dazu verpflichtet sind", sagt Feist.

In einem konkreten Fall in Bremen habe der Arbeitgeber seine Verweigerung damit begründet, dass er daran zweifele, dass die Mitarbeiter einen Betriebsrat haben dürften. Die Kandidaten seien daraufhin vor Gericht gezogen. Das Gericht wiederum habe den Arbeitgeber zur Herausgabe der Beschäftigtendaten verpflichtet – ihm jedoch auch mitgeteilt, dass er die Wahl im Anschluss anfechten dürfe. "Dies hat der Arbeitgeber dann auch sofort nach der Wahl getan", sagt Feist. Zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sei er nicht mehr bereit gewesen. Schulungskosten für die gewählten Betriebsräte seien mit der Begründung abgelehnt worden, dass es den Betriebsrat ja ohnehin bald nicht mehr gebe.

Es musste praktisch alles eingeklagt werden.

Anja Feist, Arbeitnehmerkammer Bremen

"Nachdem das Anfechtungsverfahren ein Jahr lang gedauert hatte, war der Betriebsrat schließlich weichgekocht", sagt die Beraterin. Die Mitglieder hätten dann in einem Vergleich Neuwahlen zugestimmt und ihre Ämter niedergelegt. "Sie wollten mit dem Fall abschließen, sie waren damit durch."

Betroffene hoffen auf neues Gesetz

"Die Arbeitgeber setzen auf Abschreckung", sagt Kerstin Bringmann, Gewerkschaftssekretärin von Verdi in Bremen. Der Gedanke dahinter: Wenn die anderen sehen, was Betriebsratskandidaten und -kandidatinnen drohe, traue sich bei den nächsten Wahlen kaum jemand mehr, selbst anzutreten.

Bei Betriebsräten mache das "Union Busting" dabei nicht Halt. Auch gegenüber Gewerkschaften werde mit Hausverboten gearbeitet. "Da wird jegliche Zusammenarbeit wie zum Beispiel Tarifvereinbarungen verweigert", sagt Bringmann. Gewerkschaften würden schlecht gemacht oder als Grund genannt, weshalb es kein Weihnachtsgeld gebe.

Vieles laufe über Drohungen. Denn Arbeitgeber könnten aus allen möglichen Gründen Kündigungen aussprechen. "Da muss ich als Arbeitnehmer erstmal gegenangehen", sagt die Gewerkschafterin. Wer nicht rechtsschutzversichert sei, den könne die Gewerkschaft unterstützen. Darüber hinaus sorgten Gewerkschaften in solchen Fällen auch für Öffentlichkeit, zum Beispiel durch Aktionen vor Gerichtsgebäuden.

Bringmann hofft nun auch auf ein von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geplantes Gesetz. Der Plan Heils: Das systematische Behindern von Betriebsräten und Co. soll zu einem sogenannten Offizialdelikt werden. Das heißt, die Staatsanwaltschaft müsste von Amts wegen und damit selbstständig ermitteln, wenn sie von entsprechenden Handlungen Kenntnis erhält. Derzeit wird hingegen nur auf Antrag der betroffenen Betriebsräte oder Gewerkschaften ermittelt.

Auch Nicole Meyer hofft, dass das Gesetz verabschiedet wird. "Das würde den Betriebsräten wirklich helfen", sagt sie. Die jüngste Betriebsratswahl, die bereits Ende 2021 in ihrem Unternehmen stattgefunden hat, wurde von ihrem Arbeitgeber schon wieder angefochten. Aus der Ruhe bringe das die Bremerin und ihre Mitstreiterinnen nicht mehr, sagt sie. "Mittlerweile sind wir viel routinierter in diesen Sachen geworden." So dokumentiere sie inzwischen alles doppelt und dreifach. Dann und wann habe sie zwar noch immer mal eine schlaflose Nacht. "Ich habe aber nicht vor aufzuhören", sagt sie mit ruhiger Stimme.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Das Neue Wocheende, 1. Mai 2022, 14:40 Uhr