Interview

Einsatz in der Ukraine? Was kriegserfahrene Bremer Ärzte anderen raten

Zaporizhzhia/Ukraine: Mediziner und Personal versorgen ein verletztes Kind im Krankenhaus
Im Krieg stehen auch medizinische Fachkräfte besonders unter Druck. So wie hier, am 18. März, bei der Versorgung eines Kindes im ukrainischen Zaporizhzhia. Bild: dpa | Photoshot

17 Ärzte aus Bremen wollen in der Ukraine Verletzte versorgen. Ein kriegserfahrener Bremer Chirurg und eine Pflegekraft ahnen, was auf die Kollegen zukommt – und machen ihnen Mut.

Um Kriegsverletzte und Geflüchtete medizinisch versorgen zu können, suchen verschiedene Hilfsorganisationen wie die "Ärzte ohne Grenzen" nach Fachpersonal, das zum Hilfseinsatz in der Ukraine oder in den Grenzgebieten bereit ist. Auch die Bundesärztekammer hatte einen entsprechenden Aufruf gestartet. Bis zum 29. April meldeten sich dafür nach Kammerangaben 1.450 Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland und erklärten damit ihre grundsätzliche Bereitschaft zum Einsatz in der Ukraine. 17 von ihnen kommen aus dem Land Bremen.

Was auf sie in der Ukraine zukommen könnte, das können sich zwei andere Bremer nach eigenem Bekunden zumindest ungefähr vorstellen: Die Krankenschwester Melanie Silbermann, zugleich Vorstandsmitglied der "Ärzte ohne Grenzen", und der Unfallchirurg Björn Ackermann haben bereits in Kriegsgebieten Verletzte behandelt.

Worauf muss sich gefasst machen, wer sich jetzt medizinisch in der Ukraine engagieren möchte?

Melanie Silbermann: Man muss permanent die Sicherheitslage im Auge behalten. Es kann immer wieder vorkommen, dass man Pläne hat, die man dann aber kurzfristig doch nicht umsetzen kann, weil es für einen selbst oder für die Kollegen zu gefährlich wäre. Man muss sich darauf gefasst machen, dass man Explosionen und Schüsse hört, Dinge erlebt, die einem Angst machen und die einen psychisch stark belasten. Es wird viel darum gehen, die Ärzte vor Ort mit Material zu versorgen.

Björn Ackermann: Ich glaube auch, dass man sich auf viele schwere Kriegsverletzungen einstellen muss. Wahrscheinlich auf noch viel mehr, als ich sie im Kosovo und in Bosnien gesehen habe.

Blonde Frau mit Brille lächelt.
Schöpft Befriedigung aus humanitärer Hilfe – auch in Kriegsgebieten: Melanie Silbermann. Bild: Radio Bremen

Wie bereitet man sich auf einen solchen Einsatz vor, kann man sich überhaupt darauf vorbereiten?

Silbermann: Wichtig ist, dass man ganz viele Informationen sammelt, mit Leuten spricht, die so etwas schon einmal gemacht haben. Trotzdem ist es, gerade für Leute, die das das erste Mal machen, kaum möglich, sich wirklich gut auf den Einsatz vorzubereiten. Am Ende des Tages weiß keiner, wie wer das Ganze letztlich vor Ort und danach verarbeiten wird.

Ackermann: Bei der Bundeswehr (die nicht in der Ukraine stationiert ist, die Redaktion) ist es vor solchen Einsätzen so, dass den Soldaten genau vor Augen geführt, was sie wahrscheinlich sehen werden oder sehen könnten. Diese Schulungen sind sehr gut. Aber den Stress, den man vor Ort erleben wird – dafür kann man niemanden schulen: Was man etwa machen soll, wenn mehrere Verwundete zugleich versorgt werden müssen.

Was macht man denn, wenn mehrere Verwundete zugleich kommen?

Ackermann: Ich habe das nur einmal wirklich erlebt. Aber: Das ist enorm belastend, wenn auf einmal – bewusst überspitzt formuliert – drei, vier Patienten mit abgetrennten Gliedmaßen vor einem liegen und man sie nun behandeln muss. Solche Situationen aber wird es in der Ukraine umso wahrscheinlicher geben, je dichter man ans Kriegsgeschehen herankommt. Darauf muss man mental vorbereitet sein. Man kommt zwangsläufig in die Situation, dass man triagieren muss.

Silbermann: Das ganze Personal muss so schnell wie möglich wissen: Welche Versorgung hat Priorität, welche kann noch warten?

Welche Versorgungen haben denn Priorität? Wie triagiert man?

Ackermann: Es gibt im Prinzip vier Kategorien. Leicht Verletzte behandele ich erst einmal gar nicht. Und jemanden, der so schwer verletzt ist, dass er wahrscheinlich sterben wird, den wird man in so einer Situation auch nicht behandeln. Maximal mit Schmerzmitteln und durch Sauerstoffgabe. Man muss sich leider so entscheiden, weil seine Behandlung Kräfte binden würden, die zur Behandlung eines anderen, der bessere Überlebenschancen hat, gebraucht werden.

Man muss sich auf die beiden übrigen Kategorien konzentrieren: auf die Schwerverletzten, die eine sofortige Behandlung benötigen und auf diejenigen, die noch ein bisschen warten können. Aber, wie gesagt: Das ist unheimlich schwer, man kann sich kaum darauf vorbereiten.

Porträt von Dr. Björn Ackermann
Der Bremer Chirurg Björn Ackermann glaubt, dass nicht nur die Vorbereitung, sondern auch die Nachbereitung bei Einsätzen in Kriegsgebieten äußerst wichtig ist. Bild: Björn Ackermann

Welche Voraussetzungen sollten erfüllen, wer sich in der Ukraine medizinisch engagieren will?

Silbermann: Man sollte psychisch stabil und körperlich fit sein. Man muss in der Lage sein, mit ganz ungewohnten Tagesabläufen fertig zu werden. Und damit, dass das Ganze dauerhaft anstrengend ist. Gut ist, wenn man bereits Erfahrungen im Hochsicherheits-Kontext gesammelt hat. Wenn man weiß, wie man reagiert, wenn man in ein paar hundert Metern Schüsse hört.

Außerdem sollte man in der Lage sein, neutral zu bleiben: Wenn ich als Pflegekraft oder Arzt vor Ort bin, dann sollte ich mich aus der Politik heraushalten. Ich sollte meinen Fokus ganz auf die Versorgung Kranker und Verwundeter richten. Es ist nicht meine Aufgabe, zwischen den Bösen und den Guten zu unterscheiden. Das ist allerdings manchmal eine Herausforderung!

Ackermann: Man muss sich auch schon im Vorfeld des Einsatzes Gedanken über die Zeit danach machen. Man kann nicht einfach sagen: "So, ich habe jetzt vier Wochen Zeit, fahre in die Ukraine und helfe da ein paar Leuten. Dann komme ich zurück und mache wieder meine normale Arbeit."

Es wird viele geben, die das, was sie dort erleben, nicht mal eben so wegstecken. Daher sollte man schon vorher wissen, wo man Arbeitskreise oder Selbsthilfegruppen findet, in denen man über das Erlebte sprechen kann. Man kann sich auch bei den Bundeswehr-Krankenhäusern in Hamburg und Berlin beraten lassen.

Ein Kinderkrankenhaus in Cherniviv, Ukraine, im Fenster liegen Sandsäcke zum Schutz
Die Bedingungen, unter denen Ärztinnen und Ärzte in der Ukraine derzeit arbeiten müssen, sind oft widrig. Unser Foto zeigt ein Kinderkrankenhaus in Cherniviv. Bild: dpa | AA | Andre Luis Alves

Wie schützt man sich vor Ort, damit einen die Ereignisse nicht zu sehr mitnehmen?

Silbermann: Bei "Ärzte ohne Grenzen" haben wir Psychologen, die man jederzeit kontaktieren kann, auch in Kriegsgebieten. Das sind sehr erfahrene Psychologen, die seit vielen Jahren mit uns arbeiten. Unter Umständen kommen die sogar in die Projekte rein. Ich habe das mal in der Zentralafrikanischen Republik erlebt. Nachdem es sehr unruhig im Land geworden war, kam ein Psychologe aus den Niederlanden zu uns und hat die Teams vor Ort unterstützt. Man kann auch jederzeit, wenn man merkt: Ich kann nicht mehr, es geht nicht mehr, raus. Das organisieren wir dann auch.

Welche schlimmen Erlebnisse haben Ihnen bei Ihren Einsätzen seelisch am meisten abverlangt?

Silbermann: Ich habe es schon erlebt, dass Menschen keinen Zugang zu Malaria-Medikamenten bekommen haben, obwohl es so einfach gewesen wäre. Sie sind dann gestorben. Das fand ich schlimm. In Somalia habe ich außerdem erlebt, wie sich die Sicherheitslage immer wieder verändert hat, so dass wir öfter ausgeflogen wurden. Dann mussten wir mit der Unsicherheit fertig werden: Was passiert, während wir draußen sind? Was wird aus unseren Hilfsprojekten? Das war auch schwer zu ertragen.

Ackermann: Der schlimmste Fall, an den ich mich erinnere, betraf ein verletztes Kind. Nach einem absolut vermeidbaren Autounfall mit einem Militärfahrzeug musste dem jungen Mann die Milz entfernt werden, weil er zu verbluten drohte. Solche Verletzungen, die zu starken Blutungen führen können, gibt es in Kriegsgebieten oft auch durch Splitter und durch Schusswunden. Man muss dann oft Organe oder Teile von Organen entfernen. So etwas aber bei einem Kind – das ist besonders schlimm, finde ich. Es hat mich damals sehr mitgenommen.

Was Sie aus den Kriegsgebieten berichten, klingt sehr düster. Gleichzeitig ermuntern Sie medizinische Fachkräfte dazu, sich in der Ukraine zu engagieren. Was war bei Ihren Einsätzen gut?

Silbermann: Humanitäre Hilfe per se empfinde ich als sehr befriedigend. Das heißt: dort Hilfe zu leisten und medizinische Versorgung anzubieten, wo sie benötigt wird. Ich habe ganz schön viel für mein Leben mitgenommen aus all den Einsätzen.

Ackermann: Wer als Arzt in die Ukraine fährt, der kann davon ausgehen, dass er die Hilfe, die benötigt wird, auch geben kann. Das ist etwas sehr Schönes und hat etwas Erfüllendes. Das muss man sich aber auch immer wieder ins Bewusstsein rufen, wenn einen die schrecklichen Bilder aus dem Krieg einholen. Durch meine Niederlassung ist es sehr schwierig für mich, einfach so in die Ukraine zu fahren. Vielleicht würde ich es sonst machen.

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