Kommentar

Massenmord als Bühnenereignis – ein Geschmack von Bild-Zeitung

Der ehemalige Krankenpfleger Niels Högel versteckt sein Gesicht hinter einem Aktendeckel, während er am 19.02.2015 auf der Anklagebank des Landgerichts in Oldenburg (Niedersachsen) sitzt.
Am 30. Oktober beginnt der Prozess um weitere mutmaßliche Morde von Niels Högel. Bild: DPA | Hauke-Christian Dittrich

Das Oldenburgische Staatstheater will die Mordserie des Ex-Pflegers Niels Högel inszenieren. Mit diesen Federn sollte sich das Theater nicht beschmutzen, meint unser Redakteur Marcus Behrens.

Erst vor kurzem hat das Oldenburgische Staatstheater die Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden lassen, welches weitere Stück in den Schauspiel-Spielplan der aktuellen Saison aufgenommen wird. "Eine Stadt sucht ein Drama" hieß diese Aktion, für die Dramaturgen des Theaters vier Werke zur Auswahl stellten.

Warum sich das Theater zu diesem Schritt entschieden hat, erschließt sich mir nicht. Vielleicht haben die Dramaturgen keine Ideen mehr – vielleicht konnten sie sich auch nur nicht entscheiden – vielleicht ist es aber auch nur gerade ganz besonders angesagt, dass alle immer überall mitreden wollen und dürfen.

Den Betroffenen hilft das nicht

Nun geht das Theater noch einen Schritt weiter, und ich frage mich nochmals: Warum? Es gibt so viele gute, aktuelle Stücke auf dem Markt – aber statt dem Publikum Neues, Anregendes oder Nachdenkliches zu präsentieren, soll es nun ans Eingemachte gehen: Wenn am 30. Oktober der bundesweit größte Mordprozess der Nachkriegszeit beginnt – gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel –, startet das Theaterkollektiv werkgruppe2 und das Oldenburgische Staatstheater ein Projekt, an dessen Ende ein Dokumentartheaterstück stehen soll, das sich inhaltlich mit dem bereits verurteilten Mann, seinen Opfern, dem Prozess selbst und nicht zuletzt mit den Angehörigen der Opfer auseinandersetzt.

Dafür wollen die Theatermacher 15 Monate lang Angehörige, Zeugen und Experten befragen, über die Ergebnisse ihrer Recherchen diskutieren und mit dem Material eine Inszenierung erarbeiten, die den Arbeitstitel "Der Fall H." hat. Ob dies den Betroffenen hilft, wage ich zu bezweifeln. Die meisten von ihnen haben vermutlich den Schockzustand noch nicht verlassen, in den sie gefallen sind, nachdem sie – vor noch gar nicht allzu langer Zeit erst – erfahren haben, dass ihre Angehörigen keines normalen Todes gestorben sind.

Geschmack von Bild-Zeitung und Doku-Soap

Auch wird so ein Bühnenwerk sicher nicht dazu beitragen, dass potentielle künftige Täter sich abschrecken lassen und von ihren grausamen Vorhaben verabschieden – oder dass die Menschen im Umfeld solcher Täter schneller etwas bemerken – und vor allem, bevor es zu spät, viel zu spät ist.

Was also kann Sinn und Zweck des Projekts sein? Das Publikum mit etwas ins Theater zu locken, was bei allem erhofften Anspruch doch einen Geschmack von Bild-Zeitung und Doku-Soap haben muss?

Ich meine, das Oldenburgische Staatstheater hat es nicht nötig, sich mit diesen Federn zu  beschmutzen. Denn schmücken wird es sich sicherlich nicht damit, wenn es die Scheinwerfer auf die erschütternden Ereignisse richtet, die wahrscheinlich nicht wenige aus dem eigenen Publikum selbst betroffen haben. Dafür ist das alles noch viel zu nah, zu realistisch und zu schrecklich.

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Autor

  • Marcus Behrens
    Marcus Behrens Redakteur

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Tag, 22. Oktober 2018, 23:30 Uhr

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