Erst Encrochat, jetzt "Sky-ECC": Überlastet der Hack Bremens Justiz?

Bild: DPA | Arne Dedert

Auf Bremen rollen neue Kryptohandy-Prozesse zu. Denn nach "Encrochat" wurde auch der kanadische Krypto-Dienst "Sky-ECC" geknackt. Experten befürchten jetzt eine Datenflut.

Im Augenblick vergeht am Landgericht Bremen keine Woche ohne "Encrochat"-Verfahren. Es geht vor allem um Drogenhandel im großen Stil und die damit verbundene Haftstrafen. Die Belastung ist für das Gericht schon jetzt so groß, dass eine zusätzliche Strafkammer eingerichtet werden musste. Jetzt spricht vieles dafür, dass es demnächst sogar noch mehr Verfahren werden.

Der Grund: Europol hat nach dem Anbieter "Encrochat" im vergangenen Jahr auch den kanadischen Krypto-Dienst "Sky-ECC" geknackt. Beide Dienste wurden vor allem von Kriminellen genutzt, da sie wegen ihrer aufwendigen Verschlüsselung als nicht zu knacken galten. Laut Richterzeitung sollen beim Auffliegen von "Sky ECC" viermal mehr Daten als bei "Encrochat" sichergestellt worden sein. Bremens Justizstaatsrat Björn Tschöpe (SPD) macht das nachdenklich: "Wir haben ja mehr Personal einsetzen müssen, um die Encrochat-Verfahren abarbeiten zu können", sagt er. Sowohl in der Rechtsprechung als auch bei der Staatsanwaltschaft.

Wenn jetzt noch mehr dazukommen, wird es natürlich auch eine weitere Belastung für die Justiz geben.

Justizstaatsrat Björn Tschöpe (SPD)

Allerdings wisse noch niemand, wie viele der einstmals verschlüsselten "Sky-ECC"-Daten tatsächlich einen Bremen-Bezug hätten. Zum Vergleich: "Encrochat" hat deutschlandweit bislang rund 2.700 Ermittlungsverfahren nach sich gezogen. Wie viele jetzt durch die Daten von "Sky-ECC" hinzukommen, ist noch nicht absehbar. Die Richterzeitung rechnet mit "Tausenden neuen Strafverfahren". Wegen seiner Häfen ist Bremen bereits überproportional stark von den "Encrochat"-Ermittlungen betroffen. Hier laufen 150 Verfahren. Denn insbesondere Drogen kommen häufig versteckt in Containern per Schiff.

Bremer Staatsanwaltschaft fordert Daten an

Auf Anfrage wollte sich das Bundeskriminalamt nicht zum tatsächlichen Umfang der "Sky-ECC"-Daten äußern. Auch nicht dazu, ob bereits Daten an Bremen weitergeleitet worden sind. BKA-Pressesprecherin Nina Jürgens erklärt per Mail: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aufgrund des laufenden Ermittlungskomplexes keine Angaben zu Umfang und Inhalt der Daten machen."

Auch Anfragen bei der Bremer Polizei und beim Innenressort bleiben unter Hinweis auf ermittlungstaktische Gründe unbeantwortet. Lediglich die Staatsanwaltschaft gibt ein paar Antworten. Sprecher Frank Passade will sich zwar nicht direkt zu "Sky-ECC" äußern, erklärt aber: "In Einzelfällen, wo wir aus Encrochat-Verfahren heraus Hinweise hatten, dass auch "Sky-ECC" eine Rolle spielt, haben wir entsprechende Daten angefordert."

Knapp 900 "Sky-ECC"-Verhaftungen in Belgien

Pressekonferenz der belgischen Ermittlungsbehörden zum "Sky-ECC"-Hack.
Belgische Ermittler, hier Mitte März bei einer Pressekonferenz in Brüssel, berichten von knapp 900 Verhaftungen im Zusammenhang mit "Sky ECC". Bild: DPA | picture alliance/dpa/BELGA | Eric Lalmand

Andere Länder sind da bereits weiter. Laut Medienberichten gab es in Belgien bereits knapp 900 Verhaftungen im Zusammenhang mit "Sky-ECC". Wie bei "Encrochat" stehen viele von ihnen im Zusammenhang mit dem organisierten Drogenhandel.

Auch wenn der Umfang der Deutschen und damit auch der Bremer "Sky-ECC"-Daten noch unbekannt ist: Klar ist, dass es im kleinsten Bundesland zumindest schon ein Verfahren gibt. Das sagt jedenfalls Strafverteidiger Carsten Scheuchzer. Besagtes Verfahren liege nämlich bei ihm auf dem Tisch. "Dieses Verfahren beruht maßgeblich auf 'Sky'-Daten und in anderen 'Encrochat-Verfahren' kommen 'Sky'-Daten langsam auch mit dazu", sagt Scheuchzer. Er geht davon aus, dass neben der Justiz bald auch die Anwaltschaft überlastet sein könnte. Einfach deshalb, weil so viele "Sky-ECC"-Verfahren auf Bremen zukommen würden.

Wir haben zwar relativ viele Fachanwälte für Strafrecht in Bremen, aber das wird nicht leistbar sein.

Carsten Scheuchzer, Strafverteidiger aus Bremen

Als Konsequenz sei zu befürchten, dass fachfremde Anwälte Strafverteidigungen übernähmen. Das sei nicht gut, sagt Scheuchzer. "Ich würde mich ja zum Beispiel auch nicht in kompliziertes Vertragsrecht wagen."

Am Ende muss sich natürlich auch die Justizvollzugsanstalt fragen, ob sie zukünftig mit den Folgen der "Sky-ECC"-Ermittlungen zurechtkommen kann. Schließlich führen viele Gerichtsverfahren mit mutmaßlichen Schwerkriminellen auch zu vielen mutmaßlichen Schwerkriminellen in der Untersuchungshaft. Staatsrat Björn Tschöpe sagt, die Lage dort sei zwar angespannt, aber managebar. "Zurzeit müssen wir eine Zelle doppelt belegen. Ansonsten haben alle eine Einzelzelle."

Über die Auswirkungen von zukünftigen "Sky-ECC"-Verfahren auf die U-Haft will Tschöpe nicht spekulieren, solange nicht klar sei, wie viele Verfahren es tatsächlich werden. Nur so viel: "Je mehr verhaftet werden, umso mehr sitzen auch im Knast. Und natürlich ist das auch eine Belastung für die JVA. Das ist klar."

Autor

  • Hauke Hirsinger
    Hauke Hirsinger Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. April 2022, 19:30 Uhr