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Bremer Forscher machen verblüffenden Fund: Enorme Zuckerlager im Meer

Unterwasseraufnahmen von einem Taucher über Seegras
Über mehrere Jahre erforschten Bremer Wissenschaftler die Seegraswiesen. Bild: Hydra Marine Sciences GmbH | Emily Cooke

Wissenschaftler sind unerwartet auf große Zucker-Vorkommen unter Seegraswiesen gestoßen. Die Entdeckung bringt überraschende Erkenntnisse für die Klimakrise.

Damit hatten die Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie nicht gerechnet: Bei ihren Messungen des "Porenwassers" unter Seegraswiesen sind sie auf verblüffende Mengen an Zucker gestoßen. Was das heißt und warum die Erkenntnis auch für die Klimakrise von großer Bedeutung ist.

Was genau wurde gefunden?

Für die Forschungsgruppe war das Ergebnis ihrer Messungen tatsächlich eine Überraschung: "Wir haben vorher nicht erwartet, solche Zuckermengen im Meer zu finden", sagt Dr. Manuel Liebeke vom Bremer Max-Planck-Institut. Er leitet die Forschungsgruppe Metabolische Interaktionen am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie.

Die Forscher konnten außerdem feststellen, dass dieser Fund keine einmalige Sache, sondern generell unter den Seegraswiesen unserer Welt vorhanden ist. "Zur Einordnung: Wir schätzen, dass weltweit zwischen 0,6 und 1,3 Millionen Tonnen Zucker in der Seegras-Rhizosphäre lagern. Das entspricht ungefähr der Menge an Zucker in 32 Milliarden Dosen Cola."

Manuel Liebeke und Nicole Dubilier am MALDI-Massenspektrometer des Bremer Max-Planck-Instituts
Dr. Manuel Liebeke und Prof. Dr. Nicole Dubilie am MALDI-Massenspektrometer des Bremer Max-Planck-Instituts. Bild: Achim Multhaupt

In welcher Form liegt der Zucker vor?

Aber Moment: Zucker unter Pflanzen? Wie soll man sich das vorstellen? Der Gedanke an Berge von weißem Würfelzucker unter dem Meer ist zwar verführerisch, so sieht das Ganze aber nicht aus. Der Zucker, den die Forscherinnen und Forscher entdeckt haben, liegt in flüssiger Form vor und befindet sich im "Porenwasser". So bezeichnet man das Wasser, das zwischen den Steinen in den Hohlräumen des Bodens zu finden ist.

Wie lief die Forschung ab?

Mehrere Jahre Arbeit stecken hinter der Entdeckung. An den Untersuchungen waren nicht nur das Bremer Forschungsteam, sondern auch internationale Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel aus Italien oder den USA beteiligt. "Die Wasserproben haben wir beispielsweise in den Gebieten bei der Insel Elba, in Mittelamerika, aber auch der Ostsee gewonnen", so der Forschungsleiter. Mit einer Spritze wurden kleine Mengen des Porenwassers entnommen und daraufhin mit neuen Verfahren analysiert. So konnte der hohe Zuckergehalt gemessen werden. Durch die internationale Zusammenarbeit konnte auch festgestellt werden, dass es sich um eine generelle Eigenschaft handelt, die mit dem Seegras zusammenhängt.

Ein Taucher mit Behältern taucht über Seegras am Meeresboden
Die Proben wurden im "Porenwasser" weltweit gesammelt und analysiert. Bild: Hydra Marine Sciences GmbH | Emily Cooke

Welche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bringt der Fund?

Die Zuckervorkommen ermöglichen nun einen neuen Blick auf die Verstoffwechselung – Seegras speichert nämlich eine fast doppelt so große Menge an CO2 wie der Wald an Land, und das sogar 35-mal schneller. Mithilfe von Sonnenlicht wandelt die Pflanze das Kohlendioxid im Meer in Zucker um, durch Photosynthese also. Einen Teil nutzt das Seegras für sich selbst, quasi als Selfmade-Dünger in Zusammenarbeit mit Bakterien, einen anderen Teil gibt es aber auch in den Boden ab. Und dieses Vorkommen bleibt stabil, weil das Seegras nämlich noch einen weiteren Stoff produziert, wie die Wissenschaftler herausgefunden haben: "Zusätzlich werden Bitterstoffe beziehungsweise Phenole abgegeben, die verhindern, dass der Zucker abgebaut wird." Würden die fehlen, könnten Mikroorganismen, sogenannte "Mikroben", den Zucker nämlich verarbeiten und wieder in CO2 umwandeln. So aber lagert das potenzielle CO2 einfach in Form von Zucker unter den Wiesen im Meer.

Drei Grafiken zeigen Seegraswurzeln und die Verarbeitung von Zucker und Bitterstoffen darin
1. Zucker wird über die Wurzeln abgegeben. 2. Zusätzliche Phenole werden vom Seegras ausgeschüttet. 3. Die Phenole schützen den Zucker vor der Verarbeitung durch Mikroben. Bild: MPI Bremen

Was bedeutet die Entdeckung für die Zukunft?

Besonders mit Blick auf die Klimakrise spielt Seegras eine große Rolle. Da in den Seegraswiesen quasi das Treibhausgas CO2 gelagert wird und keinen weiteren Schaden anrichten kann, ist der Erhalt dieser Vorkommen für uns Menschen sehr wichtig. Die Berechnungen der Forschungsgruppe zeigen: Würde die Saccharose, also der Zucker, durch Mikroben abgebaut, dann gelangten so viele Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre, wie 330.000 Autos im Jahr ausstoßen. Nach diesem Schub würde dann das Seegras auch langfristig als Partner beim Kampf gegen den Klimawandel fehlen. Durch die globale Erwärmung, die Wasserverschmutzung oder auch Boote, die beispielsweise an der Insel Elba Wurzeln aus der Erde reißen, sei der Seegrasbestand massiv bedroht, erklärt Liebeke.

Allerdings kann auch andersherum das Bepflanzen von Küstenregionen mit Seegras einen positiven Beitrag leisten und wäre vielleicht eine Chance für die Zukunft. Denn mehr Seegras bedeutet auch mehr Lagerung von Zucker – und weniger CO2-Ausstoß in die Atmosphäre. Liebeke: "Wir konnten mit unserer Forschung auf jeden Fall noch mal zeigen, wie wichtig das Seegras ist."

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