Interview

Bremer Schmerzmediziner: "Nicht jeder, der Opioide nimmt, ist Junkie"

Bild: dpa | Stephan Jansen

Zu den stärksten Schmerzmitteln zählen Opioide wie Morphin und Fentanyl. Eine Bremer Studie hat untersucht, ob sie zu leichtfertig verschrieben werden. Mediziner Ulma über die Ergebnisse.

Herr Ulma, eine neue Studie der Universität Bremen geht unter anderem der Frage nach, ob Opioide in Deutschland zu leichtfertig verschrieben werden. In den USA steigt die Zahl der Menschen, die an einer Überdosis sterben, seit Jahren rasant. Die Forscherinnen und Forscher kommen zu dem Schluss, dass sich so eine Entwicklung derzeit in Deutschland nicht abzeichnet. Wie sehen Sie das?

Die Studie kommt zu zwei Schlüssen: Zunächst einmal haben die Forscher festgestellt, dass bei den Opioiden zu hohe Mengen an Fentanyl und zu wenig Morphin verordnet werden. Hausärzte fangen in der Regel mit einer Substanz aus der "Gruppe 1" an, also leichtere Mittel. Wenn sich das nicht bewährt, versuchen sie etwas anderes.

Das kann dann zum Beispiel ein Fentanyl-Pflaster sein, was eine gute Wirkung hat. So ein kleines Pflaster mit zwölf Mikrogramm entspricht 30 Milligramm Morphin. Zudem hat es auch bei den Patienten eine hohe Akzeptanz, weil man es nur alle drei Tage wechseln muss. Damit vermeidet man natürlich auch mögliche Überdosierungen. Das sind für mich Erklärungen, warum mehr Fentanyl als Morphin verordnet wird.

Und wie bewerten Sie den zweiten Schluss der Studie?

Der zweite Schluss, zu dem die Studie kommt, ist, dass Opioide wie Fentanyl und Morphin insgesamt nicht zu leichtfertig verschrieben werden. Dem würde ich zustimmen. Ich habe schon den Eindruck, dass die Hausärzte sehr verantwortungsvoll mit der Vergabe von Opioiden umgehen. Ich sehe das Problem hier nicht so wie in den USA, auch weil die Vergabe in Deutschland durch das Betäubungsmittelgesetz sehr stark reglementiert ist.

Welche Rolle spielen Opioide in der Schmerztherapie?

Wenn jetzt ein Patient mit akuten oder auch chronischen Schmerzen zu uns in die Schmerztherapie kommt, ist es erst einmal notwendig zu schauen, ob der Patient Organbeeinträchtigungen hat, zum Beispiel eine Nieren- oder eine Leberstörung. Wer zum Beispiel unter einer Nierenproblematik leidet, darf keine Medikamente nehmen, die die Niere weiter schädigen. Das tun aber meist genau die Schmerzmittel, die zur Gruppe 1 gehören, Ibuprofen zum Beispiel. Von daher spielen Opiate und Opioide, die zu Gruppe 2 und 3, gehören eine wichtige Rolle in der Schmerzbehandlung, sowohl zur Kurzzeit-Therapie, manchmal aber auch zur Langzeit-Therapie.

Sind Opioide in erster Linie nur für Patienten geeignet, die zum Beispiel an einer schweren Krebserkrankung leiden und sich im letzten Stadium der Krankheit befinden?

Das muss man differenziert sehen. Es ist ja nicht so, dass jeder, der an einer Krebserkrankung leidet, nur noch zwei oder drei Wochen zu leben hat. Gerade heutzutage greifen in der Krebsbehandlung sehr gute andere Therapien, etwa die Chemotherapie oder die Bestrahlung. Nur weil jemand Tumorpatient ist, ist das heutzutage nicht mehr automatisch die Eintrittskarte, um Opiate zu bekommen.

Wir haben auch viele Patienten, die keine Tumorerkrankung haben, sondern andere sehr schmerzhafte Erkrankungen, die wir auch nicht ursächlich behandeln können. Das sind zum Beispiel Patienten mit Rheumaerkrankungen oder mit einer Hüftgelenksarthrose, deren körperlicher Zustand es nicht mehr erlaubt, sie zu operieren. Wir dürfen nicht so tun, als wären Opiate nur für Tumorpatienten. Tumorpatienten sind nicht mehr die Referenzgruppe – nach dem Motto: Die dürfen und die anderen nicht.

Welche Gefahren und Risiken bergen Opioide?

Nicht jeder, der Opioide nimmt, ist ein Junkie. Es gibt ja die Abhängigkeiten von illegalen Drogen und von Medikamenten. Wichtig ist es natürlich, die Medikation bei einem Opioid regelmäßig zu überprüfen und zu schauen, ob die eigentliche Schmerzursache nicht auch anders behandelt werden kann.

Oft ist es so, dass die Patienten nach einem gewissen Zeitraum eine höhere Dosis brauchen. Das liegt aber nicht daran, dass sich der körperliche Zustand verschlechtert hat, sondern dass eine nachlassende Wirkung auch bei diesen Medikamenten besteht. Da muss man dann natürlich eine Dosis-Eskalation vermeiden und stattdessen möglicherweise auf ein anderes Opiat umschwenken. Wir nennen das Opiat-Rotation.

Wie sieht die moderne Schmerztherapie vor dem Hintergrund dieses Wissens heutzutage aus?

Wir haben gerade ein neues Programm aufgelegt und da geht es darum, dass wir die sogenannte Schmerz-Chronifizierung vermeiden wollen. Mit Schmerz-Chronifizierung ist ein schmerzhafter Zustand gemeint, der mindestens länger als sechs Monate andauert und zu Veränderungen im Gehirn führt.

Das schmerzhafte Gebiet dort kann sich vergrößern und auch die Psyche kann sich verändern. Denn die Menschen sind schmerzbelastet, das kann mit einer Depression und mit Angst einhergehen.

Und natürlich kommen soziale Veränderungen dazu, dass jemand zum Beispiel nicht mehr in seinem Beruf arbeiten kann. Deshalb arbeiten wir in der Schmerztherapie mit einem Behandlungsteam, das aus Psychologen, Physiotherapeuten, Sozialarbeitern und natürlich Ärzten besteht. Und dann wird am Anfang immer erst einmal eine Schmerzdiagnostik gemacht. Ohne Diagnose keine Therapie. Das ist früher manchmal ein bisschen untergegangen, weil man bei der Schmerztherapie immer gedacht hat, dass es nur etwas mit der Psyche zu tun habe. Natürlich spielt die Psyche bei Schmerzen eine Rolle, aber man kann das nicht einfach trennen: psychisch und körperlich gehört zusammen.

Bremer Opioid-Report: Werden starke Schmerzmittel zu früh verordnet?

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 26. Juni 2022, 19:30 Uhr