Interview

Warum Putins Propaganda auch auf Russlanddeutsche in Bremen abzielt

Ein pro-russischer Autokorso war in Bremen angemeldet. Zwar wurde er abgesagt, aber auch hier glauben Menschen Putins Propaganda. Eine Osteuropa-Expertin klärt auf.

Mit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar hat Russland auch seine Propaganda massiv verstärkt. Es handele sich nicht um einen Krieg, sondern um eine "Militärische Sonderoperation", so die russische Regierung. Und auch Menschen in Deutschland übernehmen und glauben diesen Darstellungen. Wer in Bremen den pro-russischen Autokorso, der später abgesagt wurde, angemeldet hatte, ist unklar. Es macht aber den Eindruck, dass Menschen offenbar auch in Bremen Russland unterstützen wollen.

Susanne Spahn
Susanne Spahn forscht seit mehren Jahren an russischer Propaganda. Bild: FNF

Man dürfe auf gar keinen Fall den Fehler machen und sagen, dass alle Russischsprachigen in Deutschland und in Bremen die Agenda des Kremls unterstützen, sagt die Politologin und Osteuropa-Expertin Susanne Spahn buten binnen. Sie forscht seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 vermehrt zu russischer Propaganda. Der Einfluss ins Ausland und vor allem auf Russlanddeutsche, sei aber durchaus Strategie der russischen Regierung.

Welches Ziel verfolgt die russische Regierung mit ihrer Propaganda?

Es geht klar darum, vermeintliche Gegner zu schwächen – das ist vor allem die Bundesregierung – und Bündnispartner zu stärken. In Deutschland sind das vor allem die Parteien AfD und die Linke, aber auch die große Gemeinde der Russischsprachigen.

Es gibt die Konzeption der (russischen Stiftung) Russkij Mir, der russischen Welt, die auch von Russlands Führung unterstützt wird. Die besagt, dass Russland eine Schutzmacht aller Russischsprachigen weltweit ist. Und dieser Anspruch rechtfertigt unter anderem die Einflussnahme über Medien und Organisationen.

Werden denn gezielt russischsprachige Menschen in Deutschland beeinflusst?

Generell muss man sagen, dass wir etwa drei Millionen Russischsprachige in Deutschland haben. Und die meisten von ihnen sind gar keine Russen. Die meisten der Russischsprachigen sind Russlanddeutsche, nämlich 2,4 Millionen. Und die zweitgrößte Gruppe mit etwa 220.000 sind die jüdischen Kontingentflüchtlinge. Und dann noch weitere Migranten aus dem postsowjetischen Raum – die meisten kommen übrigens aus Kasachstan.

Deshalb muss man eben wissen, dass die meisten Russischsprachigen ethnische Deutsche sind und in der Regel einen deutschen Pass haben. 2,1 Millionen dieser Russischsprachigen sind in Deutschland wahlberechtigt und damit haben sie eine enorme politische Bedeutung – für Russland auch.

Zusätzlich haben etwa eine Million dieser Russischsprachigen auch noch die russische Staatsbürgerschaft oder eine doppelte Staatsbürgerschaft, und damit auch ein Wahlrecht in Russland. Insofern ist diese Gruppe für Russland für die politische Einflussnahme extrem interessant.

Susanne Spahn, Osteuropa-Expertin

Und wie funktioniert diese russische Einflussnahme konkret?

Es gibt natürlich verschiedene Methoden der russischen Propaganda und organisatorischen Abläufe. Um diese Agenda hier durchzusetzen und zu verbreiten, nutzt man verschiedene Kanäle. Zum einen sind das die Auslandsmedien beziehungsweise auch die Inlandsmedien, die hier konsumiert werden können. Zweitens und ganz wichtig: Social Media. Also gerade für den staatlichen Auslandssender RT (ehemals Russia Today) waren Facebook und YouTube die wichtigsten Verbreitungswege.

Elementar und wichtig ist zu verstehen, dass die russischen Staatsmedien sich selber als Waffe in einem Informationskrieg sehen.

Susanne Spahn, Osteuropa-Expertin

Also die Chefredakteurin des Auslandssenders RT hat selber gesagt, dass RT eine Waffe im Informationskrieg ist.

Drittens: sogenannte Alternativmedien, die die Inhalte von RT und SNA (ehemals Sputnik) ebenfalls verbreiten. Teilweise sind es sogar dieselben Autoren, die für RT und diese Medien tätig sind. Also da sind ganz große Überschneidungen. Und jetzt zu Zeiten der EU-Sanktionen geben die auch unverhohlen Hinweise auf ihren Seiten, wie man RT und Sputnik eben weiterhin nutzen kann. Und ich denke, was auch ganz wichtig ist, warum hier die russische Agenda in manchen Kreisen so populär ist: dass es einen ganzen Kreis an deutschen Akteuren gibt.

Also einflussreiche Journalisten oder Politiker wie Gerhard Schröder, die zwar organisatorisch nicht mit den Staatsmedien verbunden sind, aber inhaltlich diese Agenda unterstützen.

Susanne Spahn, Osteuropa-Expertin
Putin bei einer Rede
Wladimir Putin im März bei einer Rede zum 8. Jahrestag der Krim-Annexion durch Russland. Bild: dpa / picture alliance / POOL | Ramil Sitdikov

Putin scheint in Russland eine Kultfigur zu sein. Kann man abschätzen, wie viele russischsprachige Menschen in Deutschland Putins Krieg unterstützen?

Generell ist das Problem, dass es zu wenig empirische Daten gibt. Aber wir haben zum Beispiel die Untersuchung der Boris-Nemzow-Stiftung aus dem Jahr 2016, und da konnte man feststellen, dass es schon einen Zusammenhang gibt: je besser die Russischsprachigen integriert sind, desto weniger anfällig sind sie für die Agenda des Kremls. Also diesen Zusammenhang gibt es. Und da kann man sehen, dass jetzt zum Beispiel auch beim Ukraine-Krieg ein Riss manchmal quer durch die Familien geht.

Die Älteren sind manchmal nicht so gut integriert und sind für Putin und bei Jüngeren ist eigentlich kaum zu bemerken, dass sie einen postsowjetischen Migrationshintergrund haben, weil sie entweder als kleine Kinder hergekommen oder hier geboren worden sind. Die sind dann eben deutsch sozialisiert, nutzen auch überwiegend deutsche Medien und vertreten oft auch die entgegengesetzte Position, was zu Streit in der Familie führen kann.

Man kann aber auch nicht so pauschal sagen, dass jetzt alle Älteren für Putin sind und alle Jüngeren für Demokratie. Es gibt auch ältere Zuwanderer, die durchaus kritisch gegenüber Putin sind, einfach weil sie die Erfahrung der Diskriminierung in Russland und in der ehemaligen Sowjetunion gemacht haben.

Viele sind deshalb nicht gut integriert, weil hier ihre Bildungsabschlüsse nicht anerkannt worden sind. Also viele Akademiker, die eigentlich hochqualifiziert sind, arbeiten hier dann in wenig qualifizierten Berufen und das steigert natürlich auch den Frust.

Teile sind also nicht so gut integriert und fühlen sich dann möglicherweise durch diese russische Propaganda eher angesprochen – aus Nostalgie oder Enttäuschung.

Susanne Spahn, Osteuropa-Expertin

Unabhängig ob gut oder nicht gut integriert, jung oder alt: warum glauben einige russischsprachige Menschen den russischen Staatsmedien eher als allen anderen, vor allem auch westlichen Quellen?

Das ist ja genau die Strategie, die RT und SNA hier verfolgen. Sie haben ja den Anspruch, betonen auch immer wieder: Wir zeigen die Wahrheit, die die anderen angeblich verschweigen. Und bei Teilen ist das Vertrauen in die Mainstreammedien gering. Und das nutzt dann eben Russland, um die eigene Agenda durchzusetzen. Das kommt leider in manchen Kreisen gut an.

Und aktuell wird natürlich auch die Unzufriedenheit mit dem Ukraine-Krieg geschürt. Also das Thema der angeblichen Diskriminierung von Russen und Russischsprachigen in Deutschland. Man muss da generell unterscheiden zwischen real existierenden Anfeindungen in Deutschland und einer Kampagne, die das nutzt und aufbaut, um das wiederum für die politischen Ziele zu nutzen.

Seit Ende Februar kommt es vermehrt zu pro-russischen Demonstrationen. Viele von ihnen sind als sogenannte Friedensdemos angemeldet. Wird sich das zukünftig verstärken?

Ich denke, die weitere Entwicklung hängt von mehreren Faktoren ab. Erst einmal, wie viele Personen werden durch die Propaganda mobilisiert? Wie reagieren die Behörden darauf? Und natürlich auch der Verlauf des Krieges. Wir wissen jetzt auch nicht, wie lange das noch dauern wird.

Das hängt also davon ab, wie viele tatsächlich für die russische Position des Krieges mobilisiert worden sind. Es gibt eine Umfrage der Universitäten Köln und Duisburg aus dem Jahr 2018. Da haben 60 Prozent der Russischsprachigen in Deutschland gesagt, dass sie die Annexion der Krim unterstützen. Und Putin war in der Umfrage auch populärer als Merkel.

Und wie ist es heute?

Das wissen wir nicht. Im Migrationsbarometer des Sachverständigenrates für Integration und Migration wurde kürzlich den Spätaussiedlern und damit den Russlanddeutschen die Frage gestellt: "Wie sehr vertrauen Sie der Politik in Deutschland?". Und da sagten immerhin 37 Prozent: "eher nicht" oder "gar nicht". Das heißt natürlich nicht, dass sie jetzt unbedingt die Kreml-Agenda unterstützen, aber es wäre natürlich möglich.

Wir sehen zumindest eine große Gruppe, die hier der Politik distanziert gegenübersteht.

Susanne Spahn, Osteuropa-Expertin

Jetzt sind aber nicht alle so. Das ist ja auch nur ein kleiner Teil, der Community, der diese Autokorsos veranstaltet. Und es gibt viele Russischsprachige, die auch Solidarität mit den ukrainischen Flüchtlingen zeigen und sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Man darf auf gar keinen Fall den Fehler machen und sagen, dass alle Russischsprachigen die Agenda des Kremls unterstützen. Ich denke, das ist ein kleiner Teil der Community, der sich aber lautstark äußert.

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Autor

  • Orestis Skenderis
    Orestis Skenderis Redakteur

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 21. April, Der Nachmittag, 17:10 Uhr