Infografik

Bremer Studie: Nur 13 Prozent rassistischer Straftaten angezeigt

Studie zu Hasskriminalität und Alltagsrassismus in Bremen

Bild: Imago | Westend61

Die Uni Bremen hat 123 Menschen in Bremen nach ihren Erfahrungen mit rassistischen Straftaten befragt. Ein Ergebnis: Die wenigsten Opfer gehen gegen die Täter vor.

Ende Oktober 2020 beschimpften in einem Nachtbus in Huchting mehrere Männer eine junge schwarze Frau. Als sie sich wehrte, schlugen sie sie zusammen. Ein empörender Einzelfall? "Nein", sagt Mehmet Çaçan, Referent für Vielfalt und Antidiskriminierung beim Bremer Rat für Integration (BRI). Bislang fehlten jedoch Datenerhebungen, um die vielen Fälle und Formen rassistischer Gewalt und Alltagsrassismus in Bremen auch wissenschaftlich abbilden zu können.

Aus diesem Grund hat der BRI entschieden, gemeinsam mit der Uni Bremen und der Polizei Bremen eine Befragung durchzuführen. Das Thema: vorurteilsgeleitete Straftaten gegenüber als "fremd" wahrgenommenen Menschen im Bremer Stadtraum. Dazu befragt wurden 123 Menschen. Gut ein Viertel (26 Prozent) von ihnen gaben bei der anonymisierten Befragung an, "deutsch" zu sein. Deutlich mehr als die Hälfte (59 Prozent) ordneten sich als Personen mit "Migrationserfahrung" zu, ein Zehntel verfügten über "Fluchterfahrung".

Hautfarbe meist Grund für Rassismus

Mehr als die Hälfte der befragten Personen gaben an, in der Vergangenheit bereits rassistische Gewalt erlebt zu haben – sei es als direkt Betroffene oder als Zeugen. Nach den Gründen befragt, warum es zu dieser rassistischen Gewalt kam, zeigt sich ein klares Bild.

Was liegt rassistischen Straftaten zugrunde?

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Mehr als 60 Prozent der Vorfälle gingen den Befragten zufolge auf Rassismus mit Bezug auf schwarze, indigene oder so genannte "People of Colour" (BIPoC), was grob übersetzt nicht-weiße Menschen bedeutet, zurück. In mehr als einem Viertel der Fälle sei es auch zu einem mit antimuslimischer Gesinnung verknüpften Rassismus gekommen.

Ebenfalls auffällig: 70 Prozent der von den Befragten als rassistisch eingestuften Straftaten fanden in der Öffentlichkeit statt – zum Beispiel in Bussen, Bahnen und Bahnhöfen. Gefolgt von Rassismus am Arbeitsplatz (10 Prozent), in der Nachbarschaft (6,7 Prozent), in Geschäften (5 Prozent) oder der Schule (3,3 Prozent). "Das deckt sich mit unseren Erfahrungen", sagt Çaçan. Und es zeige, dass es keinen bestimmten Raum für Rassismus gebe.

Rassismus existiert in der Mitte der Gesellschaft.

Mehmet Çaçan, Referent für Vielfalt und Antidiskriminierung beim Bremer Rat für Integration (BRI)

In den weitaus häufigsten Fällen (82 Prozent) zeigt sich Rassismus darüber hinaus mindestens in "verbaler Gewalt", also zum Beispiel in Beleidigungen, Bedrohungen oder Beschimpfungen. In einem Viertel der Fälle (27 Prozent) berichten die Befragten auch von Schlägen, Tritten oder Schubsern. Ein kleiner Teil (6 Prozent) berichtet von Sachbeschädigungen, also zum Beispiel zerkratzten Autos oder beschädigten Denkmälern. Die Täter werden dabei auffallend häufig als "mittelalt bis alt" sowie als "weiß" und "blond" beschrieben.

Nur 13 Prozent der Betroffenen rufen die Polizei

Gefühle wie Wut (28 Prozent), Trauer (21 Prozent), Scham (17 Prozent) und Angst (15 Prozent), die Betroffene mit den rassistischen Straftaten in Verbindung bringen, vermischen sich offenbar auch mit einer gewissen Hilflosigkeit, wenn es um die Reaktion auf entsprechende Taten geht. So geben vier von zehn Befragten an, dass sie nichts tun konnten. Zwei von zehn geben an, sich selbst verteidigt zu haben. Jede und jede Zehnte haben sich hingegen an Freunde und Familie gewendet.

Wie haben Opfer oder Zeugen auf rassistische Straftaten reagiert?

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Besonders auffällig: Lediglich 13 Prozent haben sich an die Polizei gewandt, gar nur ein Prozent eine Beratungsstelle aufgesucht, um die Tat zu melden oder aufzuarbeiten.

Unwissenheit statt gezielter Anzeige

Die Gründe, die die Beteiligten daran gehindert haben, gegen das rassistische Verhalten ihrer Mitmenschen vorzugehen, wurden in der Studie ebenfalls abgefragt. Das Ergebnis: Viele wussten nicht, was beziehungsweise dass sie etwas hätten tun können oder hatten das Gefühl, dass es nichts bringt.

Warum haben Opfer oder Zeugen nichts gegen die rassistische Straftat unternommen?

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"Diese Ergebnisse zeigen auch, dass die Menschen die Schutzmöglichkeiten, die sie haben, oft gar nicht kennen", sagt Antidiskriminierungsexperte Çaçan. Die Studie, die ohne finanzielle Mittel durchgeführt worden ist und nur durch das besondere Engagement der Beteiligten möglich gewesen sei, sollte daher als Einstieg in ein Thema verstanden werden, das mehr Aufmerksamkeit benötige. "Wir hoffen auf weitere, langfristig angelegte Studien", sagt Çaçan.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 17. Mai 2022. 19:30 Uhr