Nach 24.000 Jahren im Eis erwacht – AWI-Forscherin über ein Phänomen
Die Bremerhavenerin Amedea Perfumo erforscht Mikroorganismen. Sie können unter extremsten Bedingungen überleben. Gerade erst wurden wieder welche entdeckt.
Eigentlich wäre das ein guter Anfang für einen Science-Fiction-Film: Forscher entdecken in gefrorenen Bodenproben Kleinstlebewesen, die im Labor wieder zum Leben erwachen. Das gibt es aber tatsächlich. Zum Beispiel haben russische Forscher solche Tierchen vor einigen Monaten im sibirischen Dauerfrostboden gefunden, und zwar nach Zehntausenden von Jahren. Wir haben eine Expertin gefragt, was es damit auf sich hat: Amedea Perfumo vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.
Perfumo forscht nämlich über solche Tierchen, sie sind winzig klein, haben manchmal nur eine einzige Körperzelle und kein Gehirn. Und trotzdem können sie offenbar etwas, was wir nicht können: Überleben unter extremen Bedingungen, erklärt die Mikrobiologin. "Ich arbeite vor allem mit extremophilen Mikroorganismen, das heißt: Mikroorganismen, die unter Extrembedingungen leben, im Frost, ohne Sauerstoff, in diesen sehr alten Umgebungen", erklärt Perfumo.
Überwintern, bis bessere Zeiten kommen

Gefangen in gefrorenem Boden – minus zehn Grad sind da gar nichts – ohne Sauerstoff, und das für eine kleine Ewigkeit: Ziemlich lebensfeindlich, oder? Nicht für Amedea Perfumos Mikroorganismen: Ihr Stoffwechsel läuft in der Kälte auf absoluter Sparflamme, sie sind vor Sonneneinstrahlung geschützt, sie kommen klar. "Aus wissenschaftlicher Sicht finde ich das immer sehr interessant, zu verstehen, wie die das tatsächlich machen", sagt Perfumo. "Sie haben eine besondere Biochemie. Zum Beispiel braucht es da schon für die grundlegenden Zellfunktionen besondere Enzyme."
Schließlich müssen die Tierchen die Bildung von Eiskristallen überstehen, die sich beim langsamen Einfrieren bilden. Aber natürlich, sagt Perfumo, müsse man hier darüber sprechen, was genau "Leben" bedeutet: Im Falle der Tiefkühl-Kleinstlebewesen eher: überwintern, bis bessere Zeiten kommen – zum Beispiel in der Wärme eines Labors. Was aber, wenn da mal ein gefährliches Bakterium auftaut?
Stoffwechsel nimmt bei Tauwetter Fahrt auf
Die Frage tauche jedes Mal wieder auf, wenn es einen neuen Bericht gibt, sagt Amedea Perfumo. Bisher sei das aber noch nicht passiert, obwohl Forscher schon seit vielen Jahren Bohrkerne aus dem Eis untersuchen. Kategorisch ausschließen sollte man dies allerdings nicht, denn auch gefährliche Bakterien seien Teil der Biodiversität, so die Mikrobiologin.
Die Mikroorganismen erinnern einen daran, dass der Begriff "Leben" vielleicht viel weiter gespannt ist als unsere menschliche Vorstellung davon. Das gibt einem eine andere Perspektive auf die Biodiversität auf unserem Planeten – abgesehen von uns.
Amedea Perfumo
Auf jeden Fall ist aber klar, dass der Klimawandel zusätzlich angeheizt wird, wenn der Permafrostboden auftaut, der all die Kleinstlebewesen beherbergt. Wenn deren Stoffwechsel wieder Fahrt aufnimmt, produzieren sie Methan und andere Klimagase, wenn auch sehr viel weniger als der Mensch. Möglicherweise könnten wir von den Mikroorganismen lernen, sagt Perfumo – etwa, wie wir uns an Kälte anpassen und dabei Energie sparen. Auf ihrem Forschungsgebiet sei derzeit jedenfalls auf allen Ebenen viel im Fluss.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Sonntag aus dem Studio Bremerhaven, 21. Februar 2022, 12:40 Uhr