So spürt eine Forscherin die Geheimnisse verschollener Güter auf
Das Bremerhavener Schifffahrtsmuseum forscht zu den Spuren vor langer Zeit enteigneter Besitztümer. Eine Art wissenschaftlicher Detektivarbeit mit trauriger Aktualität.
Wer war Bernhard Sekles? Heute werden ihn viele nicht mehr kennen. Vor etwa hundert Jahren wäre das vielleicht anders gewesen. Damals war der deutsche Jude Sekles ein renommierter Komponist und bekannter Musikpädagoge. An einem Konservatorium in Frankfurt richtete er die erste Jazz-Klasse Europas ein. Unter den Nationalsozialisten erhielt er Berufsverbot, verstarb und geriet schließlich in Vergessenheit.
Seiner Witwe gelang die Flucht ins Ausland. Sie lagerte ihren Besitz zur Verschiffung im Hamburger Hafen ein. Doch der wurde von der Gestapo beschlagnahmt und versteigert. Die Forscherin Kathrin Kleibl sucht am Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) nach den Spuren solcher Gegenstände – und damit ihrer Besitzer und deren Geschichte. Das DSM überprüft seit 2017 systematisch seine Sammlung auf die Provenienz – also Herkunft – der Kulturgüter. Zum Tag der Provenienzforschung am 13. April gibt Kleibl Einblicke in ihre Arbeit.

Nicht nur Menschen, sondern auch Gegenstände haben eine Lebensgeschichte, sagt Kleibl, wenn man sie bittet zusammenzufassen, was sie als Provenienzforscherin eigentlich genau macht. "Die werden von einem Ort zum anderen getragen, haben vielleicht auch unterschiedliche Besitzer und tragen ihre Spuren durch diese Besitzverhältnisse", erklärt die Forscherin. "So bergen sie Geheimnisse, die man einem Objekt oft gar nicht ansieht." Diesen Geheimnissen geht sie auf die Spur.
Diese Geschichten wollen wir erzählen, auch in den Ausstellungen. Zweitens ist es immer interessant, wenn wir Objekte mit möglicherweise NS-verfolgungsbedingtem Kontext haben. Die wollen wir dann gerne an die Familien zurückgeben.
Kathrin Kleibl, Provenienzforscherin
Kolonien, NS-Zeit, DDR: Woher kommen die Museumsobjekte?
Zur Zeit erforscht Kleibl zusammen mit Kollegen, wo das beschlagnahmte Umzugsgut von jüdischen Emigranten geblieben ist, die vor den Nationalsozialisten über die deutschen Häfen flohen – so wie die Witwe von Sekles. Aber auch mit Blick auf die deutsche Kolonialgeschichte oder die DDR stellen sich immer wieder Fragen nach der Herkunft von Museumsobjekten. Ihre Arbeit erinnert Kleibl an ein Puzzlespiel, sagt sie: Sie trägt Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen, um am Ende ein Gesamtbild zu erhalten.
Über das beschlagnahmte Umzugsgut der jüdischen Emigranten etwa geben die Versteigerungsprotokolle Auskunft. In manchen Fällen hilft eine Suche anhand von Fotos weiter, manchmal die Objekte selbst. Etwa, wenn aufgeklebte Etiketten auf Gemälderückseiten die Besitzerwechsel dokumentieren. Wichtig sei auch, sich mit Kollegen zu vernetzen. Aber nicht immer kann Kathrin Kleibl alle Lücken schließen.
Teilweise kommt man einfach nicht weiter, muss die Arbeit auch mal ruhenlassen und sagen: Ich finde kein neues Puzzleteil. Und dann kommen vielleicht drei Monate später neue Hinweise, die weiterhelfen.
Kathrin Kleibl, Provenienzforscherin
Forscherin findet Urenkelin von Sekles
Im Fall dieser Familie blieben Sekles' Geige, seine Noten und andere Besitztümer – bisher – verschollen. Aber Kleibl fand seine Nachfahren, unter anderem eine Urenkelin. Alle Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt sollen zum Jahresende in eine Datenbank einfließen, die dann für alle Interessierten zugänglich sein soll.
Mir macht an diesem Beruf besonders Spaß, dass ich Dinge erforschen kann, die nicht unbedingt auf der Hand liegen. Und dass es einen guten Zweck hat. Dass wir Familien, besonders im NS-Kontext, mit Gegenständen wieder verbinden können. Möglicherweise Gegenständen, die ihnen sehr viel bedeutet haben.
Kathrin Kleibl, Provenienzforscherin
Provenienzforschung, da ist sich Kleibl sicher, bleibt eine Aufgabe – angesichts der aktuellen Ereignisse erst recht. "Überall da, wo Kriegszustände sind, ist ein Machtgefälle und in Machtgefällen werden Kunstgegenstände und Haushaltsgegenstände umverteilt", sagt die Forscherin. Und das meist illegal. Man sehe dies jetzt auch in der Ukraine. "Ich habe Nachrichten bekommen, dass Kunst-, aber auch Alltagsgegenstände geraubt und umverteilt werden", sagt Keibl. Dies sei zwar noch nicht verifiziert, aber: "Auch das wird es dann wahrscheinlich später wieder zu klären sein."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 13. April 2022, 7:10 Uhr