Fragen & Antworten

Bremer Politik-Experte: Was die Pressefreiheit in Deutschland schwächt

Deutschland ist im neuen Ranking zur Pressefreiheit um drei Plätze abgerutscht. Der Bremer Leiter der Landeszentrale für politische Bildung erklärt die Gründe.

Heute ist "Tag der Pressefreiheit". Die international tätige Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" veröffentlicht daher ein neues Länder-Ranking zur Pressefreiheit. 180 Länder tauchen darin auf. Deutschland erscheint auf Rang 16, rutscht somit um drei Plätze gegenüber dem Vorjahr ab – wie bereits auch im Jahr zuvor. Die "Reporter ohne Grenzen" beschreiben die Pressefreiheit in Deutschland mit dem Wort "zufriedenstellend". Noch vor zwei Jahren charakterisierten sie die Pressefreiheit in Deutschland als "gut". Buten un binnen hat Experten wie den Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, Thomas Köcher, zu den Gründen befragt.

Die demokratische Gesellschaft ist zuletzt immer stärker unter Druck geraten.

Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Bremen

Was hat sich an der Pressefreiheit in Deutschland verschlechtert, wieso ist die Bundesrepublik im Ranking der "Reporter ohne Grenzen" abgerutscht?

Als Hauptgrund hierfür führen die "Reporter ohne Grenzen" (RSF) Gewalt gegen Journalisten an. 80 gewaltsamen Angriffe seien belegt, wo viele wie noch nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013. Bereits im Vorjahr war mit 65 Fällen ein Negativrekord erreicht worden. Die meisten der Angriffe (52 von 80) ereigneten sich laut der "Reporter ohne Grenzen" bei Protesten des "Querdenken"-Spektrums gegen Corona-Maßnahmen, an denen regelmäßig gewaltbereite Neonazis und extrem rechte Gruppen teilgenommen hätten. "Medienschaffende wurden bespuckt, getreten, bewusstlos geschlagen", heißt es in einer Presseerklärung der RSF. In Bremen hat es auch solche Demonstrationen gegeben, Übergriffe wie diese blieben aber aus.

Darüber hinaus sagen die RSF, dass von Gewalt betroffene Journalisten häufig über mangelnde Unterstützung durch die Polizei geklagt hätten. "Zudem wurden zwölf Angriffe der Polizei auf die Presse dokumentiert", so die RSF.

Auf der Ebene der Gesetzgebung kritisieren die RSF den mangelnden Schutz von Journalistinnen und Journalisten sowie ihrer Quellen bei der Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung. Auch beim Auskunftsrecht von Medien gegenüber Bundesbehörden gebe es Defizite. Sorge bereitet den RSF zudem die abnehmende Vielfalt bei den Tageszeitungen in Deutschland.

Ein Leser studiert die Schlagzeilen im Aushangkasten einer Zeitung (Archivbild)
Zwar ist es um die Pressefreiheit in Deutschland vergleichsweise gut bestellt. Die Vielfalt der Presselandschaft aber hat gerade auf dem Land gelitten. Bild: dpa | Christoph Hardt/Geisler-Fotopress

Wie beurteilt die Landeszentrale für politische Bildung Bremen das Abschneiden Deutschlands bei der Pressefreiheit?

"Die demokratische Gesellschaft ist zuletzt immer stärker unter Druck geraten", sagt Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Bremen. Genau dies spiegele sich in der zunehmenden Gewalt gegenüber Journalisten bei Demonstrationen wie jenen der Querdenker-Bewegung.

Die Demokratie werde bei uns weithin als gegeben hingenommen. Dadurch sei der Populismus erstarkt, wohingegen es differenzierte Positionen schwerer hätten als in früheren Jahren. Das spiegele sich auch in der auf lange Sicht betrachtet immer niedrigeren Wahlbeteiligung wider. Um hier gegenzusteuern, helfe letztlich nur konsequente Aufklärung über die Vorzüge der Demokratie: "Demokratie müsste eigentlich immer wieder neu erstritten werden, damit wir sie wirklich wertschätzen", glaubt Köcher. Er legt Wert auf die Feststellung, dass viele andere europäische Länder derzeit ähnliche Probleme hätten wie Deutschland.

Tatsächlich hat es etwa in den Niederlanden, in Frankreich und in Italien 2021 noch mehr gewalttätige Übergriffe auf Journalisten gegeben als bei uns. Frankreich kommt im Pressefreiheits-Ranking der RSF auf Rank 26, die Niederlande auf Rang 28 und Italien auf Platz 58 von insgesamt 180.

Presseweos liegt auf einer Zeitung (Archivbild)
Mit dem Presseausweis weisen sich Journalisten gegenüber Behörden aus. Sie haben ein Recht auf Auskünfte. Das hilft ihnen aber oft nicht weiter, sagen "Reporter ohne Grenzen". Bild: Imago | C. Hardt/Future Image

Wie sähe die Berichterstattung bei uns aus, wenn es gar keine Pressefreiheit gäbe?

"Die Wahrheit bliebe auf der Strecke", glaubt Thomas Köcher von der Landeszentrale für politische Bildung Bremen. Gäbe es keine unabhängigen Medien, so würden sich die Menschen wahrscheinlich an jenen Infos orientieren, die sie ungefilter zuerst bekämen. "Das führt dann zu vielen interessengeleiteten, manipulativen Infos", so Köcher. Er verweist in diesem Zusammenhang auf irreführende Informationen, die Putin streue, um die Bevölkerung über die wahren Motive seines Angriffskriegs hinweg zu täuschen.

Im nächsten Schritt würden kritische Stimmen immer weiter in den Hintergrund gedrängt, bis sie praktisch gar nicht mehr zu hören seien. "Es gibt ohne Pressefreiheit auf lange Sicht keine kritischen Diskussionen", so Köcher. Schließlich müsse man bedenken, dass es sich bei der Pressefreiheit um ein Menschenrecht handele. "Und wo nicht unabhängig berichtet werden darf, da werden auch andere Menschenrechte verletzt", sagt der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Bremen.

Thomas Köcher der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Bremen im Studiogespräch bei buten un binnen.
"Pressefreiheit ist ein Menschenrecht" sagt Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Bremen. Bild: Radio Bremen

Ist es auch in Bremen und umzu heute schlechter um die Pressefreiheit bestellt als noch vor ein paar Jahren?

Zumindest sagt das die Deutsche Journalisten-Union (DJU) Niedersachsen-Bremen. Sie argumentiert mit der zunehmenden Konzentration der Anbieter aufgrund von Kooperationen und Fusionen. Das gefährde die Meinungsvielfalt. Auch die "Reporter ohne Grenzen" beurteilen die schwindende Vielfalt an Tageszeitungen in Deutschland kritisch. Und Thomas Köcher von der Landeszentrale für politische Bildung Bremen stellt fest: "Einige wenige Verlagshäuser haben immer mehr Macht."

Nach Einschätzung der DJU ist von diesem Verlust an Vielfalt das niedersächsische Umland allerdings stärker bedroht als die Städte Bremen und Bremerhaven. Hinzu komme, dass sich immer mehr Menschen immer häufiger überwiegend mithilfe sozialer Medien informierten, sagt Steffen Kappelt, Vorstandssprecher der DJU Niedersachsen-Bremen: "Über soziale Medien lassen sich aber schlecht recherchierte Blaseninfos oder auch Fake News viel leichter verbreiten als über die etablierten Medien", beschreibt er das Problem dahinter. Daher sollten die Schulen den Schülerinnen und Schülern besser vermitteln, wie sie an seriöse Informationen kämen, und wo die Chancen und die Grenzen der Sozialen Medien lägen, sagt Kappelt.

Im Vorfeld der niedersächsischen Landtagswahlen fordert die DJU außerdem, dass der Lokaljournalismus in Niedersachsen stärker gefördert werden müsse, beispielsweise durch Projektfördermittel und strukturelle Hilfen "für einen vielfältigen Journalismus in Niedersachsen". Auch müsse Niedersachsen Bundesmittel zur Förderung der niedersächsischen Verlage abrufen. Ob es aber tatsächlich Aufgabe der öffentlichen Hand ist, unabhängigen Journalismus finaziell zu fördern, ist unter Medienexperten zumindest umstritten.

Welche Länder liegen in dem Ranking vorne?

Auf Platz eins in der neuen Rangliste liegt weiterhin Norwegen, "unter anderem aufgrund eines großen Medienpluralismus, großer Unabhängigkeit der Medien von der Politik, starker Informationsfreiheitsgesetze und eines trotz gelegentlicher Online-Attacken journalistenfreundlichen Klimas", wie es in der Begründung der "Reporter ohne Grenzen" heißt. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Dänemark und Schweden. Mit Estland auf Platz vier schafft es erstmals ein Staat aus der ehemaligen Sowjetunion unter die besten fünf. Zu den Schlusslichtern zählen China, Myanmar und Eritrea. Den letzten Platz belegt Nordkorea.

Aufgrund welcher Kriterien haben die "Reporter ohne Grenzen" ihr Pressefreiheits-Ranking überhaupt erstellt?

Die Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Zur 20. Ausgabe wurde die Rangliste 2022 erstmals mit einer neuen Methode ermittelt, die ein Expertenkomitee aus Medien und Forschung gemeinsam erarbeitet hat.

Die Rangliste stützt sich auf fünf Indikatoren: politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext, soziokultureller Kontext und Sicherheit. Diese Indikatoren werden in jedem der 180 untersuchten Staaten und Territorien ermittelt. Quantitative Erhebungen zu Übergriffen auf Journalistinnen, Journalisten und Medien fließen ebenso in die Bewertung ein wie qualitative Untersuchungen, für die Journalisten, Wissenschaftler und Menschenrechtsorganisationen in den jeweiligen Ländern einen Fragebogen mit 123 Fragen beantworten.

In die Rangliste der Pressefreiheit 2022 sind Daten von Anfang 2021 bis Ende Januar 2022 eingeflossen. In Ländern, in denen sich die Lage der Pressefreiheit seit Januar dramatisch verändert hat (Russland, Ukraine und Mali) wurden Entwicklungen bis einschließlich März 2022 berücksichtigt. Zur Orientierung: Die Ukraine kommt auf Platz 106, Mali auf Platz 111, Russland erreicht Rang 155.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 3. Mai 2022, 7:40 Uhr