Infografik
So viel Geld fehlt armen Menschen im Land Bremen wegen der Inflation
Die Preise steigen weiter. Arme Menschen müssen existenziell notwendige Ausgaben zusammenstreichen. Das Entlastungspaket des Bundes helfe kaum, sagen Experten aus Bremen.
7,3 Prozent – so hoch war die Inflation in Deutschland zuletzt 1981. Schuld an der enormen Preissteigerung tragen die Corona-Pandemie und Russlands Krieg gegen die Ukraine.
Zwar sind alle Bremerinnen und Bremer von den Preissteigerungen betroffen. Arme Menschen aber bringt die Inflation in existenzielle Nöte. "Wer ohnehin wenig hat, kann weder sparen noch auf Rücklagen zurückgreifen", beschreibt Wolfgang Luz vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Bremen das Problem. Das kürzlich vom Bund beschlossene Entlastungspaket sei angesichts der Preissteigerung unzureichend. Das Paket sieht unter anderen einmalige Zahlungen von 100 Euro für Sozialhilfeempfänger vor sowie – ebenfalls einmalig – 100 Euro pro Kind für Familien. Luz spricht von einem "Tropfen auf den heißen Stein".
"Der Regelsatz muss hoch"
Noch konkreter wird der Bundeschef des Paritätischen, Ulrich Schneider: "7,3 Prozent Inflation bedeuten für einen Bezieher von Hartz IV oder Altersgrundsicherung mit einem Regelsatz von 449 Euro einen Kaufkraftverlust von 33 Euro", schrieb Schneider auf Twitter. Der Wohlfahrtsverband fordert: "Der Regelsatz muss hoch."
Hartz IV-Regelsatz 2022: 449 Euro
Der Hartz IV-Regelsatz in Höhe von derzeit maximal 449 Euro monatlich für eine alleinstehende Person setzt sich aus elf Posten zusammen. Den größten davon machen mit derzeit 34,7 Prozent Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren aus, das sind 155,82 Euro. Der kleinste Posten bilden mit 0,36 Prozent (derzeit: 1,62 Euro) Ausgaben für Bildung.
Kaufkraftverlust von 33 Euro für Hartz IV-Empfänger
Mehr als zwei Drittel des Geldes für Lebensmittel
Mit seiner Forderung nach einem höheren Regelsatz für Hartz IV-Empfänger steht der Paritätische Wohlfahrtsverband nicht allein da. Auch andere Sozialverbände, die Verbraucherzentrale Bremen, der Bremer Erwerbslosenverband und Sozialforscher der Uni Bremen finden, dass der Regelsatz deutlich zu niedrig sei, um zumindest die wichtigsten Ausgaben tätigen zu können. Das betrifft etwa Nahrungsmittel und Getränke.
So sagt Sonja Pannenbecker, Ernährungsberaterin bei der Verbraucherzentrale Bremen: "Je weniger Geld Menschen zur Verfügung haben, desto mehr müssen sie anteilig für Nahrungsmittel ausgeben, um sich ausreichend versorgen zu können." Sie stützt sich dabei auch auf Zahlen des Statistischen Bundesamts von 2018, die zwar nicht mehr ganz aktuell seien, aber durchaus noch Aussagekraft hätten.
Anteil der Lebensmittelausgaben am Nettoeinkommen
Die Zahlen zeigen, dass Haushalte mit Nettohaushaltseinkommen von über 5.000 Euro im Jahr 2018 weniger als zehn Prozent ihres Geld für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren ausgegeben haben. Je niedriger das Einkommen eines Haushalts ist, desto höher fällt der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel aus. Bei einem heutigen Hartz IV-Empfänger veranschlagt der Bund diesen Anteil mit 34,70 Prozent. Das entspricht im Falle eines Ein-Personen-Haushalts mit dem Hartz IV-Regelsatz in Höhe von 449 Euro Nahrungsmittelausgaben von rund 156 Euro pro Monat.
Mehrwertsteuersenkung für Obst und Gemüse?
Bedenkt man nun, dass speziell bei Nahrungsmitteln die Preissteigerung im März dieses Jahres im Vergleich zum März des Vorjahres bei 6,2 Prozent liegt, hat ein Hartz IV-Empfänger heute effektiv rund 9,60 Euro monatlich weniger als letztes Jahr für Nahrungsmittel zur Verfügung. Neben der Anhebung des Hartz IV-Satzes fordert die Verbraucherzentrale Bremen daher auch, dass die Mehrwertsteuer für bestimmte Lebensmittel wie Obst und Gemüse gesenkt werden müsse: "Das wäre schnell und leicht umzusetzen", sagt Pannenbecker dazu.
Damoklesschwert Stromrechnungen
Doch selbst für den Fall, dass der Bund die Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse senken sollte, dürften die Preissteigerungen noch fatale Folgen haben, sollte der Regelsatz für Hartz IV-Empfänger so niedrig bleiben, wie er derzeit ist. So weist der Sozialwissenschaftler René Böhme vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen darauf hin, dass auch die Stromrechnungen aus dem Regelsatz beglichen werden müssten.
Die Energiekosten aber sind gegenüber dem März 2021 laut Statistischem Bundesamt sogar um 39,5 Prozent gestiegen: "Das werden viele erst mitkriegen, wenn die Nachforderungen kommen", fürchtet Böhme. Zumal es gerade für Familien mit Kinder schwierig sei, beim Strom zu sparen, wie auch die Verbraucherzentrale Bremen immer wieder betont.
"Kein Posten bedarfsgerecht berechnet"
Apropos Familien: Volljährige Partner in einer Bedarfsgemeinschaft aus Hartz IV-Empfängern bekommen nicht 449 Euro als Regelbedarf ausgezahlt, sondern lediglich 404 Euro pro Person. Für Kinder gibt es je nach Alter lediglich 285 bis 360 Euro. "Die Regelsätze sind so knapp kalkuliert, dass man sich zusätzliche Hilfe holen muss, um über die Runden zu kommen", sagt Böhme und fügt hinzu: "Kein Ausgabenposten ist bedarfsgerecht berechnet." Auch deshalb müssten die Regelsätze für Hartz IV-Empfänger dringend deutlich erhöht werden.
Damit spricht Böhme den Sozialverbänden und der Verbraucherzentrale Bremen aus der Seele. So fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze um über 50 Prozent – konkret: auf 678 statt 449 Euro für einen alleinstehenden Erwachsenen. Darüber hinaus müssten die Stromkosten als Teil der Unterkunftskosten in voller Höhe übernommen werden, fordert der Verband.
Bremer Ernährungs-Experte: "Private Haushalte werden mehr belastet"
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. April, 19.30 Uhr