Fragen & Antworten

Wovon die Pflege bezahlen? Das sollten Bremer zur Pflegelücke wissen

Eine Pflegerin reicht einem älteren Mann das Essen.
Die Pflege im Heim ist aufwändig und teuer, oft aber unvermeidlich. Bild: dpa | Holger Hollemann

Viele Bremer wissen nicht, wovon sie ihre Pflege im Alter bezahlen sollen. Gerade die Kosten im Heim explodieren. Wer kein Geld hat, wird aber nicht schlechter gepflegt.

Rund 4,1 Millionen Menschen Deutschland sind pflegebedürftig. Und schon jetzt ist klar: Es werden in den kommenden Jahren noch mehr werden, da die Bevölkerung im Durchschnitt immer älter wird. Doch es herrscht nicht nur ein Mangel an Pflegekräften. Auch die steigenden Kosten der Pflege, insbesondere im Heim, werden zu einem immer größeren Problem.

Bereits heute ist etwa ein Drittel der Heimbewohner auf Hilfe des Sozialamts angewiesen, um die Kosten der eigenen Pflege zu bestreiten. Lediglich ein Drittel schafft es aus laufenden Einkünften, die Übrigen opfern Erspartes. Die "Pflegelücke" ist daher längst zum geflügelten Wort geworden. Doch es gibt auch Lichtblicke, sagt etwa der Alterswissenschaftler Thomas Kalwitzki vom Socium Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Uni Bremen. So müsse in unserer Gesellschaft niemand befürchten, dass er nicht gepflegt werde, weil er kein Geld habe. Was Bremerinnen und Bremer darüber hinaus zur aktuellen Lage in der Altenhilfe wissen sollten:

Was passiert mit Pflegebedürftigen, die die Kosten ihrer Pflege in einem Heim nicht bezahlen können?

Für diese Menschen übernimmt das Sozialamt die "Hilfe zur Pflege", erklärt der Bremer Gerontologe Thomas Kalwitzki. Unter Umständen seien allerdings auch die Angehörigen unterhaltspflichtig. Dank des seit Januar 2020 greifenden Angehörigen-Entlastungsgesetzes gelte das allerdings nur dann, wenn der betreffende Angehörige 100.000 Euro oder mehr pro Jahr verdient.

Eigenanteil an Heimpflege nach Bundesländern ohne Zuschüsse aus der Pflegeversicherung

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Kommen diejenigen, die ihre Pflege nicht selbst bezahlen können, in ein schlechteres Pflegeheim als Selbstzahler?

Nein, sagt Kalwitzki. Da werde kein Unterschied gemacht. "In diesem Punkt kann man wirklich nicht von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bei uns sprechen. Das läuft gut bei uns", stellt der Wissenschaftler fest.

Dunkelhaariger Mann mit leicht grauem Vollbart und Hornbrille guckt für Portrait in die Kamera
Der Gerontologe Thomas Kalwitzki vom Socium der Uni Bremen hält nicht viel von Pflegetagegeld-Versicherungen. Bild: Thomas Kalwitzki

Und wie sieht es mit der ambulanten Pflege aus? Wer bezahlt die ambulante Pflege für diejenigen, denen dazu das Geld fehlt?

Während bei der stationären Pflege jeder Heimbewohner den gleichen Eigenanteil bezahlt, zahlen Pflegebedürftige in der ambulanten Pflege nur für die Leistungen, die sie über einen ambulanten Pflegedienst in Anspruch nehmen. Dadurch habe, wer ambulant gepflegt werde, mehr Steuerungsmöglichkeiten als die Bewohner eines Pflegeheims, sagt Kalwitzki: "Man hat ein festes Budget, das man ausgeben kann von der Pflegeversicherung", erklärt er das Prinzip.

Die Höhe dieses Budgets hänge vom Pflegegrad ab. Dem Portal "pflege.de" zufolge umfasst das Budget bei Pflegegrad 1 derzeit bis zu 125 Euro im Monat und bei Pflegegrad 5 bis zu 2.095 Euro monatlich – für den Fall der professionellen häuslichen Versorgung durch einen ambulanten Pflegedienst im häuslichen Umfeld inklusive Pflege, Betreuung und Hilfen in der Haushaltsführung. Die Pflegegrade werden vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen im Auftrag der Pflegekassen festgestellt.

In der Praxis bedeutet die aktuelle Regelung mit den Budgets nach Pflegegraden allerdings, dass auch bei der ambulanten Pflege die gesetzliche Pflegeversicherung häufig nur einen Teil der tatsächlich anfallenden Kosten übernimmt. Dabei gilt im Grundsatz für die ambulante Pflege das Gleiche wie für jene im Heim: "Auch in der ambulanten Pflege springt die Sozialhilfe über die "Hilfe zur Pflege" ein, wenn das Geld nicht reicht", erklärt Kalwitzki das Prinzip. Allerdings sei es mitunter schwierig und aufwendig, die konkreten Bedarfe und Ansprüche nachzuweisen.

Was passiert mit denjenigen, die ein bisschen Geld haben, aber nicht genug, um die Pflege im Heim zu bezahlen? Müssen diese Leute erst ihr ganzes Vermögen für die Pflege aufbrauchen, ehe das Sozialamt einspringt?

"Im Prinzip schon", sagt Kalwitzki. Es gebe lediglich einen kleinen Betrag von etwa 5.000 Euro, den man in solch’ einer Situation für sich behalten dürfe. Wenn alles, was darüber hinaus geht, aufgebraucht sei, übernehme des Sozialamt die Differenz zwischen der Rente und den Heimkosten. Nur rund ein Drittel der Pflegebedürftigen in Deutschland könne die Pflegekosten aus laufenden Einkünften aufbringen, für ein weiteres Drittel bedeute Heimpflege Vermögensverzehr und das dritte Drittel schließlich sei auf Sozialhilfe angewiesen.

Eigenanteil an Heimpflege nach Aufenthaltsdauer

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Wie setzen sich die hohen Kosten von meist über 2.000 Euro für die Pflege in einem Heim überhaupt zusammen?

Im Wesentlichen aus drei großen Posten. Dazu gehört zum einen der so genannte Einrichtungseinheitliche Eigenanteil (EEE), den alle Heimbewohner der Pflegegrade 2 bis 5 gleichermaßen zahlen. Der EEE lag im Bremer Landesdurchschnitt dem Verband der Ersatzkassen (VDEK) zufolge im Juli 2022 bei 840 Euro. Thomas Kalwitzki charakterisiert diesen Posten als "pflegebedingte Kosten".

Den zweiten großen Posten bilden die Unterkunft und die Verpflegung im Heim. Dieser Posten schlug laut VDEK im Land Bremen im Juli 2022 mit durchschnittlich mit 843 Euro pro Monat zu Buche.

Den dritten Posten bilden die Investitionskosten der Heime, etwa für die Gebäude. Diese lagen im Land Bremen laut VDEK im Juli 2022 durchschnittlich bei 537 Euro im Monat. Die Ersatzkassen fordern, dass das Land diesen Posten übernimmt, um so Pflegebedürftige nachhaltig zu entlasten.

Gäbe es noch eine andere Möglichkeit, um Pflegebedürftige zu entlasten?

Der Gerontologe Thomas Kalwitzki vom Socium der Uni Bremen fordert, dass der Eigenanteil, den Pflegebedürftige zahlen, gedeckelt wird, beispielsweise auf eine Summe von etwa 700 Euro. Die darüber hinausgehenden Kosten solle die Pflegeversicherung übernehmen. Das sei umso wichtiger, als sich schon jetzt absehen lasse, dass nicht nur die Unterkunfts- und Verpflegungskosten in den Heimen weiter steigen werden, sondern mehr noch die für die eigentliche Pflege. "Und wenn mehr Pflegepersonal zukünftig eingesetzt wird – was ja alle wollen – dann werden die pflegebedingten Kosten noch höher werden", so Kalwitzki.

Dies aufzufangen, müsse Aufgabe der Pflegeversicherung sein. Zurzeit aber erfülle die Pflegeversicherung diese Aufgabe nur bedingt. Denn im Unterschied zu den Krankenversicherungen zahle sie nur nach oben begrenzte Pauschalen aus. "Eine Sozialversicherung soll aber die Risiken für die Versicherten kollektivieren", findet Kalwitzki.

Aufenthaltsdauer in Pflegeheimen

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Woher soll die Pflegeversicherung das Geld nehmen, um mehr als die aktuellen Pauschalbeträge für die Pflege zu zahlen?

Kalwitzki hält es für unerlässlich, die Beiträge zur Pflegeversicherung zu erhöhen. "Die Idee ist: Wir zahlen alle ein bisschen mehr, damit die alten, pflegebedürftige Menschen nicht zum Sozialamt müssen".

Die Idee ist: Wir zahlen alle ein bisschen mehr, damit die alten, pflegebedürftigen Menschen nicht zum Sozialamt müssen.

Gerontologe Thomas Kalwitzki

Dass die Pflegeversicherung die Pflege im Heim zum überwiegenden Teil übernimmt, ist aber – wenn überhaupt – Zukunftsmusik. Wäre es daher nicht sinnvoller, beispielsweise eine private Pflegetagegeld-Versicherung abzuschließen?

Hier gehen die Meinungen auseinander. Auf jeden Fall lohne sich eine Pflegetaggeld-Versicherung, sagt der Verband der Privaten Krankenversicherungen, die Pflegetagegeld-Versicherungen verkaufen. Der Verband beruft sich dabei auf eine Marktanalyse der Ratingagentur Assekurata, wonach sich der Eigenanteil an den Pflegekosten viel günstiger absichern lasse, als die meisten Menschen glaubten, im Alter von 35 Jahren beispielsweise bereits ab 49 Euro im Monat.

Der Bremer Gerontologe Thomas Kalwitzki hält dagegen nicht so viel von Pflegetagegeld-Versicherungen. "Das ist eine reine Wette auf die zukünftige Preisentwicklung", sagt der Gerontologe. Denn zwischen dem Vertragsabschluss und dem Auftreten der Pflegebedürftigkeit lägen meist mehrere Jahrzehnte: "Daher haben Sie keine Ahnung, welchen Betrag Sie versichern müssen", so Kalwitzki. Die vielzitierte Lücke lasse sich nicht vorab berechnen. Der Wissenschaftler fände es daher sinnvoller, Geld, sofern vorhanden, auf die hohe Kante zu legen, um sich die Pflege im Zweifelsfall leisten zu können.

Roland Stecher von der Verbraucherzentrale Bremen teilt die Einschätzung des Alterswissenschaftlers Kalwitzki im Wesentlichen. Auch Stecher steht Pflegetagegeld-Versicherungen skeptisch gegenüber. Zumal für den Abschluss einer Pflegetagegeld-Versicherung üblicher Weise zunächst eine Gesundheitsprüfung erforderlich sei. "Wenn man schon vorerkrankt ist und die Versicherung haben will, dann kann es gut sein, dass man sie gar nicht bekommt", sagt Stecher.

Doch selbst für den Fall, dass man sie abschließen könne, sei eine Pflegetagegeld-Versicherung "nicht billig", so Stecher. Wie Kalwitzki, so rät auch er dazu, Geld für den Pflegefall zurückzulegen statt eine Zusatzversicherung abzuschließen. Doch auch für jene, die dazu nicht in der Lage sind, findet der Verbraucherschützer tröstende Worte: "Als Basis ist die gesetzliche Absicherung gut", findet Stecher und verweist auf die "Hilfe zur Pflege" durch das Sozialamt.

Pflege-Situation in Deutschland: Wer pflegt Mama?

Bild: Radio Bremen
  • Hier üben Bremer Studierende den Umgang mit Pflegebedürftigen

    Im ehemaligen Bettenhaus am Brill ist ein Teil der Hochschule eingezogen. Hier lernen Pflegestudierende den Umgang mit Patienten, mit Hilfe von Schauspielern.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 28. Juli 2022, 19.30 Uhr