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1 Jahr nach dem Lürssen-Brand: Das "Wie" bleibt ein Rätsel

Am 14. September 2018 brennt ein Dock der Lürssen-Werft und verursacht den größten Feuerwehreinsatz der Bremer Nachkriegszeit. Doch immer noch ist unklar: Wie kam es dazu?

Die Yacht "Sassi" nach dem Brand im Lürssen-Dock
Die Yacht "Sassi" nach dem Brand im Lürssen-Dock Bild: Frank Behling

Was war passiert?

Es war ein Einsatz von einem Ausmaß, das die Bremer Feuerwehr seit Ende des zweiten Weltkriegs nicht mehr gesehen hatte: In der Nacht auf Freitag, den 14. September, erreicht die Feuerwehr um 2 Uhr eine Brandmeldung aus Bremen-Vegesack. Die Brandstelle: Ein Schwimmdock der Lürssen-Werft. 219 Meter lang, 30 Meter breit, an die 40 Meter hoch. Und darin: Eine Luxusyacht im Bau, die "Sassi." Sie misst fast 150 Meter und ist ein mehrere hundert Millionen Euro schweres Projekt. Beide, sowohl Dock als auch Jacht, brennen. Flammen züngeln aus dem Dach des Docks, durch Bremen-Nord zieht beißender schwarzer Rauch. Von dem wahren Ausmaß des Brandes ahnen die ersten Einsatzkräfte wenig. Mehr als zwei Tage wird es dauern, bis die letzten Feuer gelöscht sind. Während des Einsatzes sind zu jeder Zeit an die 200 Feuerwehrleute gleichzeitig im Einsatz. Insgesamt sind es 900 von ihnen.

Rauch steigt in den Nachthimmel über der Lürssen-Werf in Bremen auf.
Tag und Nacht dauerten die Löscharbeiten von Land und vom Wasser. Personell habe die Feuerwehr "so etwas noch nicht zuvor gesehen", so ein Einsatzleiter. Bild: dpa | Mohssen Assanimoghaddam

Was machte den Brand so einzigartig?

Aus Hamburg kommen der Bremer Feuerwehr Einsatzkräfte zur Hilfe, die speziell auf Schiffsbrände geschult sind. Denn die sind nicht leicht zu löschen; vor allem nicht dieser. Bis zu 100 Meter lang sind einige der Brandstellen an Dock und Schiff. Doch das ist nicht alles, was den Einsatzkräften zu schaffen macht. Das tiefe Innere des Schiffes brennt – also Fußböden, Decken, Verkleidungen und Möbel, mit denen das fast fertige Schiff bereits ausgestattet ist. Leicht brennbares Material, was bedeutet, dass jede Kabine einzeln abgelöscht werden muss. Problem dabei: In der engen Jacht kann die Hitze nicht weg. Die Wärme staut sich, das Feuer brennt nicht schnell, sondern langsam, beständig – und erhitzt die Oberflächen so sehr, dass sich bereits gelöschte Bereiche schnell wieder entzünden können.

800 bis 1000 Grad wird der Rumpf des Schiffes an manchen Stellen heiß. Länger als 30 Minuten halten die Einsatzkräfte im Innern es nicht aus. Jeder Geräteträger muss einen Liter Wasser trinken, bevor er sich mit seiner 35-Kilo-Ausrüstung an den Innenangriff macht. Sie sind mit Leinen gesichert, für den Rückweg, denn die Übersicht in der Riesenyacht ist gering, einige Treppensysteme schmelzen und stürzen ein. Für die Bereiche, die selbst für die Feuerwehrmänner zu heiß sind, kommt eigens ein Schneidlöschsystem von der Feuerwehr aus Brunsbüttel, dass sich durch Wände schneiden und automatisiert im Innenraum dahinter löschen kann. Während all dieser Schwierigkeiten wissen die Einsatzleiter zudem: Dock und Jacht könnten in Schieflage geraten, im schlimmsten Fall sogar sinken. Auch 90 Tonnen Diesel an Bord der Jacht könnten Feuer fangen. Nach einem Tag kommt jedoch erste Entwarnung, nach 65 Stunden die langersehnte Meldung: "Feuer aus!" Es kam niemand zu Schaden, vier Feuerwehrleute wurden lediglich leicht verletzt. Doch der entstandene Sachschaden ist immens.

Wie groß ist der Schaden an Dock und Jacht?

Um das Dock bangt die 1.200 Mann starke Belegschaft von Lürssen in Bremen lange. Denn: Von der Reparatur des Docks hänge nichts Geringeres als die Existenz Lürssens ab, sagt damals der Vorsitzende der Bremer IG Metall, Volker Stahmann. Die Werft habe sonst kein Dock, in dem Schiffe einer derartigen Größe gefertigt werden könnten. Das Dock samt Yacht wird Anfang Dezember nach Hamburg zur Blohm und Voss-Werft geschleppt, die zu Lürssen gehört. Aus Hamburg kommt Mitte Dezember eine gute Nachricht – das Dock kann repariert werden. "Das beschädigte Schwimmdock wurde instand gesetzt und ist seit dem Frühjahr wieder einsatzbereit", so Lürssen-Pressesprecher Oliver Grün auf Anfrage von buten un binnen. Der Schaden ist also behoben; wie groß er wirklich war, wird man wohl nie erfahren.

Die Jacht jedenfalls erwischt ein weniger glimpfliches Schicksal: Während das Dock zurück nach Bremen kommt, bleibt sie in Hamburg und wird verschrottet. Sie ist ein wirtschaftlicher Totalschaden. Wenige Teile des fast fertigen Schiffes sind noch zu verwerten, wie etwa der Maschinenraum, doch der Rest ist vollständig ausgebrannt. "Der Rückbau des Schiffes wurde im Juli diesen Jahres erfolgreich abgeschlossen", so Grün. Anspruchsvoll sei er gewesen; denn automatisiert funktioniert kaum etwas, fast jeder Schritt muss händisch ausgeführt werden.

Die Yacht "Sassi" nach dem Brand im Lürssen-Dock
Völlig ausgebrannt liegt die Sassi in Hamburg. Fast die gesamte Zeit hält Lürssen sie abgedeckt, in Hamburg gelingt einigen jedoch ein Schnappschuss. Bild: Frank Behling

Kennt man mittlerweile die Brandursache?

Hier ist die Antwort auch nach 12 Monaten noch immer die gleiche: Kein Kommentar, die Ermittlungen laufen, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft auf die Anfrage von buten un binnen. Diesmal aber immerhin mit einem Zusatz: "Innerhalb der nächsten 14 Tage werden wir den Abschlussbericht der Ermittlungen vorlegen", so der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Frank Passade. Vorwegnehmen werde man aber nichts, keine Informationen, keine Erklärungen, warum die Ermittlungen so "kompliziert" waren, wie die Staatsanwaltschaft immer wieder betonte. "Da haben ein Riesendock und ein 150 Meter langes Schiff gebrannt – da ist es klar, dass die Ermittlungen nicht von heute auf morgen gehen", so Passade. Lürssen scheint indes schon mehr zu wissen: "Trotz aller Expertise und Sorgfalt, mit der der Schadensfall seitens der Staatsanwaltschaft als auch unter dem Versicherungsvertrag untersucht wurde, ist davon auszugehen, dass die Ursache nicht mehr geklärt werden kann", erklärt Pressesprecher Grün. Um zu sehen, wie viel vom Brand letztlich ein Mysterium bleibt, hilft aber wohl nur: Warten auf den Abschlussbericht.

Lürssen-Pressesprecher Oliver Grün im Interview
Lürssen-Pressesprecher Oliver Grün im Interview mit buten un binnen, während der Brand noch bekämpft wird. Bild: Radio Bremen

Und die Schadenshöhe?

Wie viel Schaden der Werft letztlich entstanden ist, darüber hüllt sich die Werft schon seit Beginn in Schweigen. Daran ändert sich auch jetzt nichts. "Fragen, die Schadenshöhe und Schadensausmaß betreffen, beantworten wir nicht – aus dem schlichten Grund, dass wir es nicht dürfen", so Grün. Das sei mit den Versicherungen vertraglich so vereinbart. Das Unternehmen sei in dieser Hinsicht auch sonst einfach grundsätzlich sehr diskret, erklärt der Pressesprecher. Als Familienunternehmen sei man ja beispielsweise auch nicht verpflichtet, Umsatzzahlen bekannt zu geben. "Grade bei einem solchen Schaden geht es natürlich auch um Wettbewerbsfaktoren. Eine genaue Schadenssumme erlaubt der Konkurrenz ein Stück weit ja Spekulationen", so ein Experte einer Jachten-Versicherung, der jedoch nicht namentlich genannt werden möchte.

Apropos Spekulation: In Expertenkreisen kursieren zunächst Vermutungen von 500 Millionen Euro Schadenshöhe durch den Brand, dann ist die Rede von mehr als 600 Millionen. Darüber berichtet das Börsenmagazin "Tradewinds." Das Magazin berichtet auch, dass es sich bei dem Brand laut Kreisen der Versicherungsbörse Lloyd's in London wohl um den bislang größten Versicherungsfall bei einer Luxusjacht handelt. Laut "Tradewinds" laufe auch die Versicherung der "Sassi" über Lloyd´s. Bei der größten Versicherungsbörse der Welt zahlt bei derartigen Schadenshöhen kein einzelner Zuständiger; stattdessen sind mehrere sogenannte Syndikate mit an Bord, die den Schaden unterschiedlich aufteilen. Bei Lürssen sind das laut "Tradewinds" 30 Syndikate, sowie fünf beteiligte Unternehmen außerhalb von Lloyd's. Lürssen bestätigt in dieser Hinsicht nichts, Pressesprecher Grün verrät nur so viel: Bislang habe man "in vielfältiger Art und Weise Unterstützung durch die Versicherer erfahren."

Welches Fazit bleibt?

Bei allen Antworten und allen Fragen ist eines sicher: Der Brand des Docks in Vegesack markiert einen historischen Punkt, für die Bremer Feuerwehr wie für die Lürssen-Werft. "Der Brandschaden hat uns natürlich alle schockiert – die Branche, die Versicherungswirtschaft, Anwohner, allen voran aber unsere gesamte Unternehmensgruppe", erklärt Grün abschließend. Rückblickend habe der Vorfall Lürssen noch einmal in besonderem Maße für das Risiko sensibilisiert, heißt es. "Auch wenn die Ursache nicht ermittelt werden konnte, sind wir bestrebt, zu überprüfen, wo wir uns verbessern und unsere Werften noch sicherer machen können, um einen solchen Vorfall in Zukunft zu vermeiden."

Autor

  • Jochen Duwe
    Jochen Duwe Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 14. September 2019, 19:30 Uhr

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