Größte Mordserie der Nachkriegszeit? Niels Högel erneut vor Gericht

100 Morde, 126 Nebenkläger, 15 Umzugskartons voller Ermittlungsakten — der Mammutprozess gegen den Patientenmörder Niels Högel beginnt heute in Oldenburg.

Bild: DPA | Hauke-Christian Dittrich

Der bereits verurteilte Patientenmörder Niels Högel steht jetzt erneut vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm 100 weitere Morde vor. Damit könnte der ehemalige Krankenpfleger für die größte Mordserie in der deutschen Nachkriegsgeschichte verantwortlich sein.

Wegen sechs Taten sitzt der 41-Jährige bereits lebenslang in Haft. Den Prozessbeginn werden 126 Nebenkläger, zahlreiche Zuschauer und Journalisten verfolgen. Das Landgericht Oldenburg hat die Verhandlung wegen des großen Andrangs in die Weser-Ems-Hallen verlegt. Högel soll seinen Opfern Medikamente gespritzt haben, die tödliche Komplikationen auslösten. Anschließend versuchte er, die Patienten wiederzubeleben. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft tat er das aus Langeweile und um Kollegen mit seinen Reanimationskünsten zu beeindrucken.

23 Verhandlungstage angesetzt

Die Richter haben in dem Mammutprozess 23 Verhandlungstage bis Ende Mai angesetzt, davon sind mehrere für die mögliche Aussage des Angeklagten reserviert. Die Kammer will im Laufe des Prozesses zahlreiche Zeugen und Gutachter befragen.

Der Fall Högel hält Öffentlichkeit und Ermittler bereits seit Jahren in Atem. Der Umfang der Verbrechensserie kam nur stückweise ans Licht. Högel war von 1999 bis 2005 auf Intensivstationen an Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst tätig. 2005 wurde er entlassen und wegen des konkreten Verdachts, einen Patienten getötet zu haben, festgenommen. Für diese Tat verurteilte ihn das Oldenburger Landgericht bereits 2008. Danach blieb es erst einmal ruhig.

Nach weiteren Hinweisen und Ermittlungen folgte 2014 und 2015 ein Prozess wegen weiterer fünf Taten, in dem der völlig verschlossene Högel gegenüber einem Gutachter überraschend 30 Morde einräumte. Erst daraufhin wurden die Ermittlungen ausgeweitet und systematisch vorangetrieben. Eine eigens eingerichtete Sonderkommission "Kardio" untersuchte alle Sterbefälle an früheren Arbeitsstätten des Pflegers.

Im Zuge der rund dreijährigen Ermittlungen wurden auch die Leichen von mehr als 130 verstorbenen Patienten exhumiert und auf Reste der verschiedenen von Högel eingesetzten Medikamente untersucht. Das Ergebnis dieser Ermittlungen ist der nun beginnende neue Prozess.

Angehörige sind wütend über Untätigkeit

Bei den Angehörigen ist die Wut über die jahrelange Untätigkeit der Kliniken und der Justiz groß. So kam bei den Ermittlungen heraus, dass Kollegen Verdacht schöpften, aber niemand die Polizei einschaltete. Inzwischen sind auch ehemalige Klinikverantwortliche angeklagt. Die Staatsanwaltschaft sah zumindest bis zu Högels Geständnis keinen Anlass für weiterführende Untersuchungen.

Die Ermittlungen in dem Mordfall wurden aktiv von der Staatsanwaltschaft verweigert, verhindert, verschleppt, verschlampt.

Christian Marbach, Enkel eines von Högel ermordeten Patienten

Der Fall Högel löste auch Debatten über die Sicherheit in Kliniken aus, Patientenschützer forderten Verbesserungen. Niedersachsen verschärfte sein Krankenhausgesetz. Kliniken im Land müssen künftig anonyme Meldesysteme einführen und Stationsapotheker beschäftigen, um eine bessere Kontrolle über die Ausgabe von Medikamenten zu haben. Högel etwa bediente sich für seine Taten problemlos an unterschiedlichen hochwirksamen Arzneien.

Ganzes Ausmaß von Högels Taten immer noch unklar

Unklar bleibt, ob der neue Prozess das ganze Ausmaß der Taten von Högel abbildet oder seine Mordserie am Ende noch umfangreicher sein könnte. Trotz intensivster Ermittlungen gelang es auch der Soko "Kardio" nicht, ein verlässliches Gesamtbild zu erstellen. Viele Patienten wurden feuerbestattet, Obduktionen waren unmöglich.

Und auf die Ausführungen von Högel ist nur bedingt Verlass, wie die bisherigen Ermittlungen und Prozesse zeigten. Zu seinen Motiven äußerte er sich nie wirklich, von vollständigen Geständnissen war er weit entfernt.

Die tatsächliche Anzahl der Opfer kann man nicht wirklich beziffern.

Arne Schmidt, Leiter der Soko "Kardio"

Die Staatsanwaltschaft will weitere Überraschungen im Fall H. nicht ausschließen. "Mit ihm weiß man nie", heißt es dort.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. Oktober 2018, 19:30 Uhr

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