Kommentar

"Bargeld ist Symbol für technologischen Stillstand"

Ein Mann bezahlt kontaktlos per Smartphone
Bargeld- und kontaktloses Bezahlen: Aus Sicht von buten un binnen Autor Niklas Hons ist das in Deutschland noch viel zu selten möglich. Bild: dpa | Robert Kneschke

In Bremen und Deutschland führt immer noch kein Weg am Bargeld vorbei. Ein Armutszeugnis, findet buten un binnen-Autor Niklas Hons.

Wie war das damals noch gleich, als man immer Bargeld mit sich rumschleppen musste? Erinnern Sie sich noch? Die Zeit, in der wir alle immer ein Portemonnaie dabei hatten, wenn wir irgendwo hingegangen sind. Dieses endlose Gewarte, wenn mal wieder Jemand in der Schlange vor Ihnen das Kleingeld gezählt hat. Oder der Kassierer: "Haben Sie vielleicht noch 20 Cent klein?" Allgemein: Wofür war bitte dieses Kupfergeld da, außer, um das Portemonnaie aufzublähen?

Heutzutage haben wir da zum Glück eine ganz einfache Lösung: Die Karte. Wer sie nicht in der Hosentasche mitschleppen will, hat sogar schon vielfach die Möglichkeit, sie in digitaler Form sicher auf dem Smartphone zu speichern. Einfach das Handy an das Lesegerät halten – eine Sekunde warten – *Piiieeep* – fertig.

Durch diese technische Errungenschaft haben wir Bargeld weitgehend aus unserem Alltag verdrängt … ach, Moment. Wir leben ja gar nicht in den USA, Schweden oder den Niederlanden, sondern in Deutschland. Einem Land, das sich mit neuen Ideen leider traditionell genauso schwertut, wie mit dem Bau von Großprojekten. Und so bleibt das Bargeld hier das Zahlungsmittel, das quasi überall akzeptiert wird – im Gegensatz zur Karte.

Vorreiter Schweden: Obdachlosenzeitung bargeldlos kaufen

Es nervt, zu sehen, wie es anderswo besser läuft. Schweden ist der Vorreiter auf dem Weg in die bargeldlose Gesellschaft. Hier lässt sich selbst die Kollekte oder die Obdachlosenzeitung bargeldlos bezahlen. Und wenn jemand in Schweden irgendwo zu viel Bargeld einzahlen will, rufen Bankangestellte gerne mal die Polizei – aus Verdacht vor Geldwäsche.

Wo wir schon bei dem Stichwort sind: Natürlich ist auch die Anfälligkeit für Geldwäsche ein Argument gegen Bargeld. Geld auf dem Konto ist sicherer: Wer die Karte verliert, kann sie umgehend sperren lassen. Es ist viel schwieriger, eine Karte zu klauen und damit etwas anzufangen – verglichen mit Bargeld, bei dem sich der rechtmäßige Besitzer oder die Besitzerin kaum nachverfolgen lässt. Außerdem gibt das Online-Banking eine bessere Übersicht. Mit einem Blick auf die Banking-App habe ich immer den Kontostand im Auge. Bargeld hingegen habe ich persönlich im Kopf schon abgeschrieben, wenn es noch in meinem Portemonnaie liegt.

In Deutschland führt kein Weg am Bargeld vorbei

Dass Menschen in Deutschland offenbar stärker an Bargeld hängen, wäre dabei für mich persönlich gar kein Thema, wenn es da nicht dieses eine Problem gäbe: Ich komme nicht dran vorbei. Am Kiosk, in der Bar, in vielen Restaurants oder am Snack- und Kaffeeautomaten brauche ich immer noch regelmäßig Bargeld.

Und genau darin liegt das Problem für die Gesellschaft: Bargeld ist längst zum Symbol für eine verschlafene Digitalisierung und für technologischen Stillstand in Deutschland geworden. Die Art, wie wir bezahlen können, gehört genauso zu der alltäglichen Infrastruktur, wie auch eine gute Internetbandbreite. Welche Gründerinnen und Gründer wollen in einem Land ihr Geschäft starten, wenn sie wissen, dass auch die praktischsten Ideen hier erstmal Jahrzehnte länger brauchen, bis sie sich durchsetzen?

Bremer Banken setzen auf Digitalisierung – und reduzieren Filialen

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 4. Juli 2022, 6 Uhr