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"Brennendes Thema": Kinderarmut alarmiert Bremer Kinderärzte

Ein Mädchen sitzt vor einem Plattenbau
Arme Kinder aus benachteiligten Stadtteilen haben häufig auch gesundheitliche Probleme, darunter psychische Störungen. Bild: dpa | Thomas Eisenhuth

Arm, depressiv, krank: Das ist der Teufelskreis, in dem viele Bremer Kinder stecken, sagen Kinderärzte. Helfen könnten Kitas, Familienhebammen und Schulkrankenschwestern.

Kinderarmut sei ein "brennendes Thema" im Land Bremen, sagt Stefan Trapp, Vorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bremen. Tatsächlich sprechen neue Zahlen aus dem Bundessozialministerium eine klare Sprache. Die Armutsgefährdung für Kinder liegt demnach im Land Bremen bei 42 Prozent, so hoch wie in keinem anderen Bundesland – ein Umstand, der die Kinderärztinnen und -ärzte auch deswegen auf den Plan ruft, weil sie einen starken Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Gesundheit vieler Kinder sehen.

Welche Krankheiten und gesundheitlichen Probleme sind bei ärmeren Kindern in Bremen öfter zu beobachten als bei anderen Kindern?

Bei vielen Kindern aus benachteiligten Familien fangen die Probleme unter anderen damit an, dass sie seltener als besser situierte Jungen und Mädchen bei den Vorsorgeuntersuchungen erschienen, sagt der Bremer Kinderarzt Marco Heuerding. Als typische Beispiele für konkrete Krankheiten und Probleme, die bei ärmeren Kindern besonders häufig zu beobachten seien, nennt er: Schlechte Zähne, Übergewicht und Sprachentwicklungsstörungen. Der Konsum von Suchtmitteln wie Alkohol oder Zigaretten komme oft hinzu, ebenso eine Abhängigkeit vom Medienkonsum.

Jugendpsychiater sprechen im Zusammenhang von der Abhängigkeit von Fernseher, Computer oder Handy auch von einer "nicht stoffgebundenen Sucht", die aber häufig in Kombination mit Suchtmitteln wie Marihuana (THC) zu beobachten sei, oft als Vorbote einer Depression oder Psychose.

Eine Grafik die anhand von Piktogrammen darstellt, welche Kinderkrankheiten in den letzten Jahren am häufigsten aufgetreten sind. Suchtmittelkonsum Mediensucht Sprachentwicklungsstörung Übergewicht schlechte Zähne ...?..!!? 37% Vol.
Bild: Radio Bremen Quelle: Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bremen e.V.

Was ist aus Sicht der Kinderärzte besonders wichtig, um hier gegenzusteuern?

Der Kinderarzt Jakob Maske, Bundessprecher des BVKJ, hält es für besonders wichtig, Kinder schon sehr früh zu fördern. Gerade in den ärmeren Stadtteilen seien dazu ausreichend viele Kitas erforderlich: "Wir brauchen mehr Kitas, wir brauchen mehr Erzieherinnen und Erzieher, wir brauchen kleine Gruppen, und die Kinder sollten möglichst früh in die Kita kommen", fasst Maske zusammen. Das sei auch deswegen so wichtig, weil Kitas viele Aufgaben bei der Förderung der Kinder übernehmen könnten, mit denen berufstätige Eltern oder gar Alleinerziehende überfordert seien.

Die Kinderärzte fordern zudem seit Jahren auch Familienhebammen für ärmere Stadtteile. Was steckt hinter dieser Idee?

Hinter der Idee der Familienhebammen, die die Kinderärzte schon lange fordern, steckt der Gedanke, dass man eine "Hingehstruktur" etablieren sollte, sagt Maske: "Menschen mit Migrationshintergrund, die die deutsche Sprache nicht richtig beherrschen, sind oft überfordert damit, alles für ihre Kinder gut zu organisieren."

Hier könnten Familienhebammen oder auch Soziallotsen helfen, indem sie die betroffenen Familien ein wenig an die Hand nähmen und ihnen beispielsweise erklärten, wo man wie welche Anträge stelle. Maskes Kollege Stefan Trapp spricht in diesem Zusammenhang auch von "Kinder-Obleuten", die ärmeren Familien etwa auch dabei helfen könnten, Kita-Plätze zu beantragen.

Ebenfalls seit Jahren fordern Kinder- und Jugendärzte "flächendeckend an allen Schulen Schulkrankenschwestern". Wofür?

Schulkrankenschwestern wären wichtig, um die Inklusion behinderter Kinder zu begleiten und um chronisch kranke Kinder zu betreuen. Außerdem könnten sie die Erstversorgung bei Unfällen leisten, sagt Maske. Außerdem könnten Schulkrankenschwestern bei der Präventionsarbeit helfen, könnten dem Drogen- und übertriebenen Mediengebrauch der Schülerinnen und Schüler entgegenwirken oder auch bei der Empfängnisverhütung Aufklärungsarbeit leisten. "Bei der Finanzierung sehen wir sowohl die Krankenkassen als auch die öffentliche Hand in der Pflicht", teilt der Kinderärzte-Verband zu den Schulkrankenschwestern mit.

Die meisten Forderungen der Kinderärzte für den Kampf gegen Kinderarmut liegen schon seit vielen Jahren auf dem Tisch. Geschehen aber ist seitdem nicht viel, sagen Kritiker. Weshalb hat die Politik so wenig unternommen?

Für den Kinderarzt und BVKJ-Sprecher Jakob Maske steht fest: "Es liegt daran, dass Politiker in Vier-Jahres-Rhythmen denken, bis zur nächsten Wahl, aber nicht langfristig."

Maskes Kollege Stefan Trapp dagegen sieht in Bremen zumindest "gute Ansätze". Der Kinderarzt denkt dabei etwa an die acht Gesundheitsfachkräfte, die seit 2018 an derzeit elf Schulen in der Stadt Bremen sowie an zwei in Bremerhaven Schülerinnen und Schülern sowie Eltern gesundes Verhalten vermittelten. Auch sorgten diese Gesundheitsfachkräfte, von denen Bremen demnächst noch mehr einsetzen möchte, für eine gute Vernetzung zu den Kinderärzten, findet Trapp. Dennoch sei klar, dass die Gesundheitsfachkräfte allein die Probleme in Bremen mit der Kinderarmut nicht lösen könnten. Damit betroffene Kinder aus dem Teufelskreis aus Armut, Depression und chronischen Krankheiten heraus fänden, sei eine finanzielle Umverteilung von oben nach unten vonnöten.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 8. April 2022, 19.30 Uhr