Interview

Bremer Rassismus-Experte: "Alles außer wegschauen hilft!"

Bild: dpa | Boris Roessler

Eine Studie hat erstmals Erfahrungen mit rassistischen Straftaten in Bremen erfasst. Mehmet Çaçan vom Rat für Integration erklärt, welche Hoffnung er damit verbindet.

"Was ihr nicht seht" ist der Titel einer Podiumsdiskussion, bei der an diesem Dienstag Hasskriminalität und Alltagsrassismus in Bremen thematisiert werden. Anlass der Veranstaltung ist eine Befragung der Uni Bremen, die für die Stadt erstmals Daten über rassistische Straftaten erhoben und zusammengetragen hat.

Zu den Teilnehmern zählt auch der Rechtswissenschaftler Mehmet Çaçan, der als Referent für Vielfalt und Antidiskriminierung für den Bremer Rat für Integration arbeitet.

Herr Çaçan, wie macht sich Rassismus im Alltag bemerkbar? Wo erleben Sie ihn?

Ich erlebe ihn zum Beispiel immer wieder dann, wenn ich direkt als Muslim gelesen werde – ohne dass jemand weiß, ob ich tatsächlich ein Muslim bin. Oder es werden Witze gemacht. Da fragt einer: Isst du Schweinefleisch? Dann folgt ein Moment der Ruhe. Dann wird gesagt: Ach, du isst ja ohnehin kein Schweinefleisch. Und dann wird gelacht. Mich betrifft, dass ich auch ohne eigenes Handeln in eine Schublade gesteckt werde, oft ohne mit diesen Menschen überhaupt gesprochen zu haben. Ich komme damit klar. Es gibt aber auch Personen, die sich davon viel stärker betroffen fühlen.

Melden sich auch Betroffene beim Rat für Integration?

Eigentlich melden sich Menschen bei uns, weil sie zum Beispiel ein Problem mit dem Migrationsamt haben. Während der Beratung berichten sie dann allerdings von ihren Erlebnissen bei den Behörden. Da gibt es dann zum Beispiel eine Person, die hier geboren ist, die aber aus irgendwelchen Gründen keine Staatsbürgerschaft hat. Ohne dass jemand mit dieser Person gesprochen hat, wird dann davon ausgegangen, dass sie kein Deutsch spricht. Und wenn der Irrtum dann aufgeklärt ist, bekommen solche Leute dann zu hören, wie super ihr Deutsch sei. Das wird dann einem Muttersprachler gesagt.

Wo endet Alltagsrassismus und wo beginnt strafrechtliches Verhalten?

Auf der Straße zum Beispiel werden Menschen immer wieder beleidigt. Das fängt dann mit einem Witz über jemanden an, der als "fremd" wahrgenommen wird. Wenn man der anderen Person dann mitteilt, dass man den Witz nicht gut findet, dann kann es zu Bedrohungen übergehen. Da geht es dann vom Alltagsrassismus zu einem strafrechtlichen Verhalten über.

Bestätigt die neue Studie zum Rassismus in Bremen, was sie aufgrund solcher Berichte vermutet haben?

Ja. Unserer Erfahrungen sind auch ein Grund, warum wir das Projekt überhaupt umsetzen wollten. Vor allem die Vorurteilskriminalität wollten wir greifbar machen. Wir hatten bislang einfach keine Zahlen und Statistiken dazu.

Die gibt es jetzt. 70 Prozent der rassistischen Straftaten finden demnach an öffentlichen Orten wie Haltestellen, Busse und Bahnhöfe statt. Wie erklären Sie sich das?

Es zeigt, dass Rassismus überall erlebt wird. Es gibt dafür keinen bestimmten Raum. Rassismus existiert in der Mitte der Gesellschaft. Es zeigt auch, dass die Menschen keine Angst vor Konsequenzen haben. Sonst würde sie es mehr im Verborgenen tun.

Eine weitere Erkenntnis der Studie: Die wenigsten Straftaten werden angezeigt – oft aus Unwissen, aber auch aufgrund schlechter Erfahrung mit der Polizei. Was lässt sich daraus lernen?

Viele Menschen kennen die Schutzmöglichkeiten, die sie haben, nicht.

Wie ließe sich das ändern?

Schon ein zweiminütiges Informationsvideo der Innenbehörde wäre ein erster Schritt. Darin könnte erzählt werden, was Menschen tun können, wenn sie rassistische Gewalt erleben und wie sie der Staat schützt. Da kann es zum Beispiel darum gehen, Zeugen anzusprechen und dazuzuholen, über Beratungsstellen zu informieren oder darüber, wie Betroffene Anzeige erstatten können.

Ein Flüchtling wird in Deutschland von der Polizei verhaftet (Archivbild)
Verhaftung eines Flüchtlings: Von Rassismus betroffene Menschen sind der Polizei gegenüber oft skeptisch. Bild: Imago | lausitznews.de/Toni Lehder

Rund ein Viertel derjenigen, die bereits Opfer oder Zeugen rassistischer Straftaten waren, haben der Befragung zufolge bereits schlechte Erfahrung mit der Polizei gemacht. Wie erklären Sie sich das?

Wir erleben es oft, dass die Betroffenen nach solchen Taten verängstigt oder beschämt zurückbleiben. Sie lassen es dann über sich ergehen, wollen mit dem Thema abschließen und auch nichts mehr mit der Polizei zu tun haben. Sie wollen auch keine Fragen hören wie: Ist das wirklich der Grund gewesen oder hast du vorher etwas gemacht?

Uns wurde im Zuge unserer Beratung auch davon berichtet, dass Menschen, die zur Polizei gegangen sind, das Gefühl hatten, ihnen wurde nicht zugehört und die Sachen seien abgetan worden. Wenn es zum Beispiel um eine Bedrohung ging, dann wurde einfach die rassistische Situation ausgeklammert.

So blieb nur die Bedrohung, die angezeigt wurde?

Ja. Und das macht einen Unterschied. Denn wenn so etwas aus rassistischen Motiven passiert, wird es juristisch anderes eingeordnet. Es kann dann sein, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil es ein öffentliches Interesse an der Aufklärung der Tat gibt.

Wie geht Bremens Polizei aus Sicht des Rates für Integration mit Alltagsrassismus und Hasskriminalität um?

Sie haben uns zum Beispiel bei der Studie unterstützt. Und es gibt seit Kurzem auch eine unabhängige Polizeibeauftragte. Somit gibt es zumindest eine Stelle, wo die Menschen hingehen können. Gerade auch dann, wenn sie das Gefühl haben, sie werden von der Polizei nicht ernst genommen oder sogar rassistisch behandelt und diskriminiert. Die Stelle ist aber so neu, dass wir erst einmal beobachten müssen, wie das in der Praxis läuft.

Auch mit der geplanten Landesantidiskriminierungsstelle in Bremen verbinden wir große Hoffnungen, da sie als unabhängige Beschwerdestelle dienen soll. Wir hoffen, dass sie noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnimmt.

Welche Beratungsstellen existieren denn noch?

Das kommt sehr auf den jeweiligen Fall an. Bei Diskriminierung und Rassismus auf der Straße können sich Betroffene in Bremen und Bremerhaven zum Beispiel an "Soliport" wenden. Dort werden Menschen auch psychologisch unterstützt.

Bei Diskriminierung auf der Arbeit gibt es hingegen komplett andere Mechanismen. Da sollte es zunächst über das Beschwerdemanagement im Unternehmen laufen. In Bremen gibt es hier außerdem die Beratung der ADA, das steht für Antidiskriminierung in der Arbeitswelt.

Was würden Sie denjenigen empfehlen, die dieses Interview lesen und sich fragen, was sie selbst tun können, wenn sie Zeugen rassistischer Gewalt werden?

Wenn es sich um Vorurteilskriminalität handelt, sollte man versuchen, die betroffene Person zu schützen. Wenn in einer solchen Situation zwei, drei Personen die Stimme erheben, dann ist die Situation oft schon erledigt. Die Tat mit dem Handy zu filmen kann auch hilfreich sein. Nicht jeder wird sich das natürlich in einer solchen Situation zutrauen. Und man kann ja auch nicht erwarten, dass Menschen sich selbst gefährden. Sich dem Opfer im Nachhinein als Zeugen anzubieten und der Person Beistand zu leisten, ist aber wichtig. Alles außer wegschauen hilft!

  • Studie zu Hasskriminalität und Alltagsrassismus in Bremen

    In einer nicht-repräsentativen Untersuchung haben Uni Bremen, Bremer Rat für Integration und die Polizei gemeinsam Menschen zu Rassismus-Erfahrungen befragt.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 17. Mai 2022, 19:30 Uhr