Interview

Personalmangel in Bremen: Wo es wohl wieder besser wird – und wo nicht

Bild: dpa | Jens Büttner

Von der Kellnerin zur Schnelltesterin und zurück? Für manche Bremer Jobwechsler mag das möglich sein, für viele aber nicht. Eine Expertin erklärt, warum das so ist.

Irene Dingeldey ist Direktorin des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Uni Bremen. Im Gespräch mit buten un binnen spricht sie darüber, wie Corona den Arbeitsmarkt verändert und Menschen in neue Jobs getrieben hat – und weshalb dieser Wandel sich nicht überall zurückdrehen lassen wird.

Frau Dingeldey, wieviele Menschen kennen Sie, die in der Pandemie nicht nur ihren Job, sondern sogar die Branche gewechselt haben?

Meine Studierenden zum Beispiel. Viele von ihnen waren vor Corona in Hotels und Gaststätten in einer Nebenbeschäftigung aktiv. Das war in der Pandemie plötzlich nicht mehr möglich. Zum Teil sind sie dann als Helferinnen und Helfer in den Testzentren untergekommen.

Ein  Nasenabstrich in einem Testzentrum.
Vom Kellner zum Schnelltester: Viele Studenten haben in der Pandemie umgesattelt. (Symbolbild) Bild: dpa | Robin Utrecht

Auch Kulturveranstalter, Verkehrsunternehmen, Freizeit- und Fitnessbetriebe gehören zu den offensichtlichen Corona-Verlierern. Wo sind darüber hinaus Jobs weggefallen?

Es hat zum Beispiel auch Beschäftigungsverluste in der verarbeitenden Industrie gegeben. Sie wurden zum Teil durch Kurzarbeit aufgefangen. Doch auch Zeitarbeitsfirmen haben Mitarbeiter entlassen – sie werden von großen Unternehmen als Flexibilitätspuffer genutzt. Befristet Beschäftigte haben ebenfalls ihre Jobs verloren, nachdem ihre Verträge ausgelaufen waren.

Ihre Studentinnen und Studenten haben zum Teil in Testzentren alternative Jobs gefunden. Andere Menschen sind von der Ladenkasse, dem Friseurgeschäft oder dem Bühnenbau zu Lieferdiensten oder in die Industrie gewechselt. Dreht sich das Rad nach der Pandemie zurück?

Wenn die Folgen der Pandemie abebben, werden zumindest die Studierenden sich wieder andere Beschäftigungen suchen. In der Gastronomie sehen wir ja jetzt schon die Schilder, auf denen "Wir stellen ein" steht. Und gerade in Branchen wie Wellness, Freizeitaktivitäten, Theater oder Kultur dürfte auch eine von innen kommende, intrinsische Motivation dazu führen, dass Stellen wieder besetzt werden.

Wenn die Folgen der Pandemie abebben, werden die Studierenden sich wieder andere Beschäftigungen suchen.

Porträt der Professorin Dr. Irene Dingeldey, die Direktorin vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen
Irene Dingeldey, Direktorin des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW)

Bei vielen Änderungen glaube ich hingegen nicht, dass sie nochmal auf das Niveau vor Covid zurückgedreht werden können. Wir haben uns inzwischen ja daran gewöhnt, dass wir viele unserer Einkäufe online erledigen.

In einigen Branchen, nehmen wir zum Beispiel das Flughafenpersonal oder das Sicherheitspersonal für Festivals, könnte es hingegen so sein, dass der Arbeitskräftemangel zumindest nicht unmittelbar gedeckt werden kann.

"Gestrichen" steht für einen Lufthansa-Flug auf der Abflug-Anzeige eines Flughafens.
Auch an Bremens Flughafen ist der von der Pandemie verursachte Personalmangel derzeit deutlich zu spüren. (Symbolbild) Bild: dpa | Holger Hollemann

Beim Bodenpersonal für Flughäfen will die Bundesregierung daher noch im Sommer gegensteuern. Geplant ist, "Gastarbeiter" aus dem Ausland – vor allem aus der Türkei – anzuwerben. Ist das eine gute Idee?

In anderen Branchen wird so etwas ja Ähnliches ja bereits gemacht. Zum Beispiel auf Baustellen oder in der Landwirtschaft bei der Spargelernte. Anders als bei der jetzt geplanten Anwerbung von Flughafenpersonal geschieht das dort auf Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, das allen in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den üblichen Branchenmindestlohn zusichert, auch wenn der Arbeitgeber im Ausland sitzt.

Für die Menschen, die so für eine gewisse Zeit nach Deutschland kommen, ist das dennoch oft ein schwieriges Arbeitsverhältnis, das mit hohen sozialen Kosten verbunden sein kann.

Was meinen Sie damit?

Formell müssen aus dem Ausland entsendete Arbeitnehmer nach unseren Mindestlöhnen bezahlt werden. Dann werden ihnen aber meist die Unterkunftskosten abgezogen – manchmal auch zu überhöhten Preisen. Sozialleistungen müssten eigentlich auch gezahlt werden. Überprüft wird das aber kaum.

Hinzu kommen die Sprachbarrieren. So können Arbeiter zwar bei Stellen, bei denen sie nur angelernt werden müssen, den Arbeitsmarkt entlasten. Bei höherwertigen Berufen, zum Beispiel in der Pflege, wird es aber schon komplizierter. Da ist nicht nur die Sprachbarriere ein wichtiger Punkt. Da geht es auch um die Anerkennung von im Ausland abgeschlossenen Ausbildungen. Und wenn Menschen dann dauerhaft in Deutschland bleiben, dann kann das auch zu Problemen führen, wenn nicht Sprachkurse und verantwortungsvolle Unterstützungsstrukturen geschaffen werden.

In Bremen hat die jetzt für den Arbeitsmarkt erfolgte Registrierung der aus der Ukraine geflüchteten Menschen zuletzt zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosenquote geführt. Können Ukrainerinnen und Ukrainer helfen, die Verschiebungen am Arbeitsmarkt auszugleichen?

Ukrainerinnen und Ukrainer können auf jeden Fall viele Jobs übernehmen, die jetzt frei werden. Auch wenn es noch die Sprachbarriere gibt. Aber Sie haben einen normalen Aufenthaltsstatus. Und auch das Reservoir ist durchaus groß. Wobei viele von Ihnen natürlich auch schnell wieder zurück in ihre Heimat wollen.

Der Ukraine-Krieg ist eine weitere Herausforderung für viele Branchen. Verschärft das die Situation am Arbeitsmarkt noch?

Ja. Gerade in den Bereichen Gastronomie und Touristik kommen derzeit ganz neue Entwicklungen dazu. Wenn die Inflation hoch bleibt und die Kaufkraft abnimmt, sparen die Bürgerinnen und Bürger am ehesten an diesen Dingen. Die höheren Mindestlöhne verbessern zwar die Bezahlung in solchen Niedriglohnbranchen. Man kann aber davon ausgehen, dass die Mindestlohnerhöhung sich zugleich in Preiserhöhungen niederschlägt. Und das könnte wiederum Folgen auf die Nachfrage in diesen Branchen haben.

Wie ist die Arbeitssituation in den Branchen, in die Jobsuchende im Zuge der Pandemie abgewandert sind – zum Beispiel im Online-Handel und der Logistik?

Niedriglöhne und befristete Beschäftigung waren schon vor Corona wichtige Themen in diesen Branchen. Während der Pandemie haben Online-Handel und Lieferdienste dann expandiert. Unmittelbar verbessert hat das die Arbeitsbedingungen aber leider nicht. Es ist jetzt eher so, dass der Anteil der Beschäftigten mit schlechten Arbeitsbedingungen im selben Maße zugenommen hat.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 5. Juli 2022, 19:30 Uhr