Riesenschiffe vor Bremerhaven: "Wir reiten auf einem Pulverfass"

Bild: DPA | Sina Schuldt

400 Meter lange Schiffe bewegen sich täglich auf Weser und Elbe. Mehrere Havarien weltweit werfen ein neues Licht auf die Risiken, die mit den Riesen einhergehen.

"Heute besteht ein Windfahrverbot für Schiffe von über 330 Metern auf der gesamten Elbe!" Als uns diese Nachricht erreicht, sind wir mit dem Kamera-Team gerade auf dem Weg zum Verband Deutscher Reeder in der Hamburger City. Ein Abstecher in den Hafen zeigt Erstaunliches: Der komplette Parkhafen mit den Liegeplätzen von Eurogate und dem Burchardkai ist praktisch verstopft mit Riesenschiffen. Die sind abgefertigt und wollen eigentlich alle wieder raus auf die Nordsee – dürfen aber nicht. Und das schon bei stetigen Windstärken von sechs Beaufort in Cuxhaven. Ein Wind, der an der Küste keine Seltenheit ist, die Schiffe mit den riesigen Windangriffsflächen aber gefährlich macht.

Wir werden später vom Geschäftsführer des Deutschen Reederverbandes ein Achselzucken als Kommentar auf diese Situation bekommen. Fortan aber beschäftigt uns eine Frage besonders: Was passiert, wenn sich eins dieser 400 Meter langen Riesenschiffe in einem deutschen Flussrevier querstellt und die komplette Schifffahrt blockiert?

Im schlimmsten Fall könnte eine Sprengung drohen

Ein großes Containerschiff liegt quer
Schiffe in der Größe der "Eugen Maersk" laufen Bremerhaven regelmäßig an. Bild: Radio Bremen

Um dem nachzugehen, fahren wir mit einem ausgewiesenen Schifffahrtexperten einmal der "Eugen Maersk" kurz vor Bremerhaven entgegen. Ein 400-Meter-Schiff auf Zielfahrt mit der Flutwelle Richtung Liegeplatz am Terminal – mit über zehn Knoten Tempo. Die Außenweser wird hier immer schmaler. Was passiert, wenn doch einmal der Gau eintritt, der größte anzunehmende Unfall?

Der ehemalige Chef der Bremerhavener Hafenlotsen, der nautische Sachverständige und Nautikdozent Matthias Meyer, spielt dieses Szenario durch: "Nehmen wir mal an, das Schiff schlägt hier im Revier quer, keine Maschine mehr. Das Schiff sitzt vorne und achtern auf. Ich kann es nicht mehr freischleppen. Und jetzt gehe ich – Worst Case – einmal davon aus, dass ich eine Beschädigung im Unterboden habe. Dann kann ich anfangen die Ladung herunter zu holen.

Wenn das Schiff strukturelle Schäden hat, kann ich es im schlimmsten Fall nur vor Ort verschrotten oder eine Sprengung durchführen, um den Seeweg wieder freizukriegen.

Matthias Meyer, nautischer Sachverständiger

Eine Sprengung als letzten Ausweg? Bei einem zerbrochenen Schiff, das Tausende Container an Bord hat? Und das mit 18.000 Tonnen Schweröl mit Treibstoff beladen ist wie ein kleiner Tanker?

Für Martin Rode, den Geschäftsführer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Bremen (BUND), ist das ein Horrorszenario, dem wir bisher nur mit Glück entgangen sind: "Wir reiten hier auf einem Pulverfass. Diese riesigen Schiffe, die in unsere Flussmündungen einfahren müssen, gefährden praktisch täglich unsere ökologischen Rahmenbedingungen", sagt er.

Wenn so ein Schiff auf Grund läuft, Leck schlägt oder gar auseinanderbricht, dann haben wir im Wattenmeer eine Katastrophe

Martin Rode, BUND-Geschäftsführer Bremen

Havarie der "Mumbai Maersk" hätte schlimmer sein können

Stephan Berger, der Häfenkapitän von Bremerhaven und Bremen, war bei dem Unfall der "Mumbai Maersk" Anfang Februar vor der Insel Wangerooge heilfroh, dass sich das 400 Meter Schiff nur auf eine Sandbank gesetzt hat – und sich nicht quergelegt und die Zufahrt zur Weser blockiert hat. Der ehemalige Hapag-Lloyd-Kapitän hat Erfahrung auf Schiffen von über 350 Metern und hält diese bei gutem technischem Zustand und richtigem Umgang einer gut geschulten Mannschaft für absolut händelbar.

Vom größten anzunehmenden Unfall sei man bei der Strandung der "Mumbai Maersk" zudem weit entfernt gewesen. "Der größte anzunehmende Unfall wäre, wenn noch eine Gewässerverunreinigung dazu kommt", sagt Berger. "Ein Schiff, dass nur aufgelaufen ist, ist ein Unfall, der durchaus noch gut händelbar ist."

Sofern die Einfahrt zu den Häfen verstopft würde, kämen wir in eine Lage, die wir uns nicht wünschen – auf die wir aber gleichwohl vorbereitet sind.

Stephan Berger, Häfenkapitän von Bremerhaven und Bremen

Tatsächlich aber hinkt die Behördenflotte hinterher: Reno Hahn, der Leiter der Revierzentrale Bremerhaven, berichtet von einem 600-Millionen-Euro-Neubauprogramm des Bundes für größere Behördenschiffe – zugeschnitten auf Unfälle mit Riesenschiffen. Bis die ausgeliefert sind, dauert es noch Jahre. Aber schon jetzt begleiten Hahns Leute jedes der 400-Meter-Schiffe auf dem Fluss zur Sicherheit per Radarberatung für den Lotsen und den Kapitän an Bord – hangeln so praktisch von Tonne zu Tonne, so Hahn: "Das ist natürlich ein Aufwand, den wir für 250 Meter lange Schiffe nicht betreiben müssen."

Bundestagsabgeordneter gegen die Riesen, Senatorin sieht eher Vorteile

Uwe Schmidt, der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Bremerhaven, hat über dreißig Jahre im Hafen gearbeitet. Er würde jeden der Riesen umgehend gegen zwei 250-Meter-Schiffe eintauschen, sagt er. Auch weil dann die Abfertigung viel reibungsloser klappe, als wenn ein Kahn mal eben 10.000 Container auf die Pier stelle, so den Hafen überfordere und die Hinterlandverkehre vollkommen verstopfe, sagt Schmidt.

400-Meter-Schiffe passen aus seiner Sicht auch schlicht größentechnisch nicht mehr auf die Weser. "Aus meiner Sicht ist die Betriebssicherheit dieser ultragroßen Containerschiffe dauerhaft nicht gegeben. Und wir müssen auch aufpassen, dass die Leistungsfähigkeit unserer Häfen auch nach einer Havarie gegeben ist", sagt er. Der Chef der sogenannten SPD-Küstengang im Bundestag würde die Riesenschiffe am liebsten per EU-Regelung aus allen Flussrevieren Europas verbannen.

Die Bremer Häfensenatorin Claudia Schilling treffen wir bei einem SPD-Parteitag. Sie ist überhaupt nicht der Meinung ihres Parteifreundes. Sie stellt die Wettbewerbsfähigkeit der Bremerhavener Containerterminals und die Arbeitsplätze dort über alle anderen Überlegungen – obwohl sie das erhöhte Unfallrisiko der Riesenschiffe durchaus sieht. Die Containerschiffe sind in den letzten Jahren sehr, sehr viel größer geworden. Damit müssen wir umgehn", sagt Schilling. Einerseits hätten die größeren Schiffe ökonomische und ökologische Vorteile. "Andererseits bedeutet es aber: Wir müssen die Infrastruktur in unseren Häfen anpassen und auch die Regelwerke." Das passiere nicht immer so schnell, wie man es sich wünschen würde – aber es passiere.

Um die Risiken zu minimieren, setzen die Lotsen und die Nautiker regelmäßig Riesenschiffe auf Grund – zum Beispiel bei den Trainings im Schiffssimulator der Jade Hochschule in Elsfleth. Professor Hans-Jörg Nafzger lässt auf der 400 Meter langen virtuellen "Majestic Maersk" die Sirenen heulen für einem kompletten Ruderausfall. Wer hier trainiert, vergisst schnell, dass er es nur mit einer Simulation zu tun hat.

Simulationen sollen Risiken minimieren

Und tatsächlich vermittelt das Planspiel, um wie vieles träger ein Schiff mit einer derartig riesigen Masse reagiert, sagt Nafzger. "Das heißt, die Nautiker, die das Schiff führen, müssen noch vorausschauender denken und handeln. Wir haben etwa große Stoppstrecken, die es braucht, um die komplette Fahrt aus dem Schiff zu nehmen." Die regelmäßigen Trainings aller Handlungsoptionen sollen zusammen mit der engen Verkehrsüberwachung die Risiken minimieren – ein Restrisiko fährt aber immer mit auf dem Fluss, sagt auch der Nautiklehrer.

Ein Mann steht in einer Schiffsbrücke
Professor Hans-Jörg Nafzger simuliert regelmäßig Havarien. Bild: Radio Bremen

Diese Risiken sind in der Realität aber beherrschbar, findet Martin Kröger, Geschäftsführer beim Verband Deutscher Reeder, den wir in seinem schicken Büro in der Hamburger City besuchen. Echte Notsituationen seien selten. "Wenn wir auf die Statistiken der Seeunfallversicherer gucken, dann sehen wir: Es sind relativ wenige Fälle, wo wir tatsächlich in eine Notsituation kommen. Und dann sind es sehr wenige Fälle, wo wir überhaupt zu einem Schaden kommen", sagt er. Insofern stelle dies für die Schifffahrtsindustrie kein größeres Problem dar.

Wenn wir die letzten Unfälle hier in der Region sehen, dann stellen wir fest: Es gab keine Personenschäden, es gab keine Umweltschäden. Es waren am Ende Sachschäden am Schiff, die sind versichert.

Martin Kröger, Geschäftsführer beim Verband Deutscher Reeder

Tatsächlich aber lassen sich die volkswirtschaftlichen Folgen und die Umweltschäden gar nicht komplett versichern. Und die Gefahr eines Unfalls wächst: Momentan gibt es weltweit rund 500 Schiffe von über 350 Metern Länge. Laut Professor Burkhard Lemper, Geschäftsführer im Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, werden die Riesenschiffe aber immer mehr. "Es werden in den kommenden zweieinhalb Jahren noch einmal bis zu 180 Schiffe von über 350 Metern Länge dazukommen. Dann werden 680 dieser Schiffe auf dem Markt sein, die vor allem auf den Strecken von Asien nach Europa eingesetzt werden", sagt er mit Blick auf den Auftragsbestand der Werften weltweit.

Mehr Schiffe bedeuten mehr Risiken

Matthias Meyer, der ehemalige Chef der Bremerhavener Hafenlotsen sieht mit der schlichten Zahl dieser Schiffe auch die Wahrscheinlichkeit eines schweren Unfalls wachsen. "Aber wahrscheinlich brauchen wir erst einmal ein, zwei Havarien größerer Art, bis da letztlich die Politik umsteuert und diese Schiffsgrößen begrenzt", sagt er.

Noch sträubt sich die Politik, die Größe der Schiffe zu begrenzen. Im Gegenteil: Sie tut alles, damit die deutschen Häfen für jede Schiffsgröße erreichbar bleiben – und das Geschäft der Reeder läuft. Das führt zu grotesken Szenerien in den Häfen. Wir sehen im Hamburger Parkhafen zwei Schleppern zu, die die 400 Meter lange "CMA CGM Rivoli" in Sturmböen der Windstärke neun mit voller Kraft an die Kaje drücken müssen – obwohl das Schiff mit armdicken Leinen befestigt ist.

Die Schlepper an dem mit Methan angetriebenen Riesenschiff stoßen schwarze Dieselrußwolken aus – stundenlang. Mitten in der Hamburger City sorgen sie dafür, dass sich der Containerriese im Sturm nicht losreißt und der größte anzunehmende Unfall nicht gleich direkt gegenüber den St-Pauli-Landungsbrücken stattfindet.

Autor

  • Volker Kölling Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 12. April 2022, 19:30 Uhr