Interview

Wieso Fische in der Bremer Weser sicherer leben als in der Oder

In der Oder sterben die Fische in Massen. Kann das auch in der Weser passieren? Unwahrscheinlich, sagt der Bremer Gewässerökologe Michael Schirmer und erklärt Unterschiede.

Das große Fischsterben in der Oder gibt Rätsel auf. Die Ursache ist weiter unbekannt. Umso mehr stellt sich die Frage, ob es demnächst auch die Fische anderer Flüsse treffen könnte, vielleicht die der Unterweser bei Bremen und Bremerhaven. Der Gewässerökologe Michael Schirmer glaubt nicht daran. Dabei kann er sich noch gut an große Mengen toter Fische in der Weser erinnern.

Herr Schirmer, wodurch ist es in der Unterwesen bereits zu großen Fischsterben gekommen?

In der Weser ist es bis Anfang der Achtzigerjahre öfter zu größeren Fischsterben gekommen. Das lag vor allem daran, dass das Bremer Abwasser noch nicht richtig gereinigt wurde. Bremen hat sein Abwasser nach Seehausen geleitet. Da war eine Kläranlage in Bau, die aber lange Jahre nicht richtig fertig wurde. Also wurde das gesamte Abwasser von Bremen mehr oder weniger roh in die Unterweser geleitet. In der Folge gab es gerade in den Sommermonaten viele Kilometer in der Weser, die praktisch sauerstofffrei waren, weil das ganze Abwasser bei hohen Temperaturen den Sauerstoff verbraucht hat. Das hat regelmäßig zu Fischsterben geführt.

Blick auf das Bremer Klärwerk in Seehausen.
Das Klärwerk in Seehausen sorgt heute für sauberes Wasser. Das sah zu Beginn der Achtzigerjahre noch anders aus. Bild: Radio Bremen

Die Ursache für das Fischsterben in der Oder ist weiter ungeklärt. Es hat auch schon die These die Runde gemacht, dass der Sauerstoffgehalt der Oder für die Jahreszeit zu hoch sei und das Massensterben verursacht haben könnte. Wieso können Fische sterben, wenn zu viel Sauerstoff im Wasser ist?

Das ist eine extrem ungewöhnliche Situation. Sie kann aber beispielsweise in einem stark verkrauteten kleinen Bach oder Teich auftreten. Wenn dann die Sonne auf das Wasser scheint, produzieren die Pflanzen sehr große Sauerstoffmengen. Das kann dazu führen, dass Tiere, die diesen Sauerstoff aufnehmen, so etwas Ähnliches wie innere Verbrennungen erleiden und sie gleichzeitig das CO2, das sie eigentlich abgeben müssten, nicht mehr abgeben können. Sie ersticken gewissermaßen an dem Sauerstoffüberschuss.

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass ein zu hoher Sauerstoffgehalt in der Oder das Fischsterben verursacht hat?

Nein. Das kann in einem derartig großen Fluss eigentlich nicht passieren. Es sei denn, es gäbe eine unsägliche Algenblüte. Aber das hätten die Kollegen, die davon Ahnung haben, längst bemerkt. Ich halte das für eine absurde Idee.

Noch einmal zurück zu Bremen und zur Weser: Wie ist das in den Achtzigerjahren weitergegangen? Offenbar ist ja das Problem mit dem Abwasser behoben worden?

Ja. Ein Wort zu mir: Ich hatte damals mit meinen Studenten und einigen anderen Umweltschützern die Weser-Abflussfahrten gegründet. Wir haben Boote gemietet und die Öffentlichkeit eingeladen, mal dorthin zu fahren, wo das Abwasser vor Seehausen in die Weser eingeleitet wird. Wir haben Öffentlichkeitsarbeit gemacht – und das hat sehr gut angeschlagen.

Damals kam noch hinzu, dass die Stahlwerke ihr Kühlwasser mehr oder weniger unbehandelt in die Weser eingeleitet haben. Auf diese Weise hatten wir dort einen richtigen Belastungs-Hotspot. Aber das ist im Laufe der Jahre systematisch besser geworden, dadurch dass Bremen seine Kläranlage in Seehausen nach den modernsten Standards richtig ausgebaut hat. Gleichzeitig haben die Stahlwerke ihr Abwasser zunehmend im Kreislauf gefahren und immer weniger Warmwasser und Kühlwasser eingeleitet. Bis etwa Ende der Achtzigerjahre haben sich die Verhältnisse in der Bremischen Unterweser deutlich verbessert.

Immer wieder hört man zudem, dass beim Kalibergbau an der Werra große Mengen aus Abfallsalzen in die Werra und damit letztlich auch in die Weser geleitet worden seien. Hatte das auch Auswirkungen auf die Fische in der Weser?

Ja. Die Kalisalz-Einleitungen sind auch heute noch ein sehr großes Problem – für die Werra. Auf dem Weg des Wassers bis Bremen wird diese künstliche Versalzung aber zum Glück durch die Fulda und auch durch die Aller deutlich verringert, sodass wir in Bremen schon fast wieder Süßwasser haben. Aber: Der Salzgehalt ist noch immer so hoch, dass wir das Weserwasser nicht einfach so für Trinkwasserzwecke nutzen könnten. Aber für die allermeisten Fische, die auch natürlicherweise bei uns in der Weser vorkommen, ist dieser restliche Salzgehalt nicht das große Problem.

Der Fischaufstieg am Weserkraftwerk. (Archivbild)
Ab dem Weserwehr in Hastedt bis zur Mündung in die Nordsee spricht man von der Unterweser. Bild: dpa | Carmen Jaspersen

Allerdings ist der Salzgehalt der Weser bis weit ins Landesinnere zusätzlich durch die andauernde Trockenheit gestiegen. Sehen Sie das als Gefahr für die Fauna?

In Bremen und in Bremerhaven nicht so sehr. Allerdings ist es in der Tat so, dass wir gerade eine extreme Niedrigwasser-Phase beobachten. Man kann das gut am Weserwehr beobachten. Da ist die Weser gestaut. Und es läuft so wenig Wasser über das Wehr, dass es kaum noch für die Stromerzeugung reicht. Durch die Niedrigwasser-Phase ist nicht nur das Salz höher konzentriert, sondern auch das Abwasser höher konzentriert, was über die Aller oder über die Mittelweser rein kommt. Ich glaube aber: Im Moment geht es dabei nicht um unmittelbar toxische Werte.

Unter welchen Umständen wäre ein derartiges Fischsterben wie derzeit in der Oder auch in der Weser denkbar?

Das kann nur durch eine irrsinnige Überlastung mit Abwasser sein. Allerdings müsste das Abwasser dann auch noch in der Weser bleiben und zu Sauerstoffmangel führen. Das ist schwer vorstellbar. Ich glaube nicht, dass so etwas passieren würde. Ein Problem sind aber Starkregen-Ereignisse, bei denen viel Wasser auf einmal vom Himmel kommt – mit allem Dreck von der Oberfläche, der dann in den Fluss fließt. Aber das führt in der Regel nicht zu einem Fischsterben. Das Regenwasser ist normalerweise sauerstoffgesättigt.

Speziell bei der Unterweser, also dem Stück vom Weserwehr bis zur Nordsee, kommt hinzu, dass wir einen Tidenhub von 4,20 Metern haben. Das ist deutscher Rekord. Das Wasser der Unterweser schwappt mit hoher Geschwindigkeit hin und her, ist hochturbulent. Dabei wird auch immer Sauerstoff aus der Luft ins Wasser katapultiert.

Macht der starke Tidenhub den entscheidenden Unterschied zwischen Weser und Oder aus?

Dass es einen solchen Tidenhub in der Oder nicht gibt, ist sicherlich ein zusätzliches Problem. Zumal die Oder jetzt im Sommer auch wenig Wasser führt und träge vor sich hinfließt. Aber: Das Allererste, was jemand, der so ein Fischsterben zu untersuchen hat, macht, ist, dass er ein Sauerstoffmessgerät in die Hand nimmt. Wenn man feststellen würde: Der Sauerstoffgehalt ist runtergegangen auf unter vier oder sogar auf unter zwei Milligramm pro Liter – dann wäre das Fischsterben schnell erklärt. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Es scheint so zu sein, dass die Fische sterben, obwohl es genügend Sauerstoff im Wasser gibt. Es kommt also eigentlich nur eine Vergiftung infrage.

Könnte also tatsächlich eine Quecksilber-Vergiftung, von der auch schon zu lesen war, der Grund für das Fischsterben sein?

Eine Wasserprobe auf Quecksilber zu analysieren, ist schnell gemacht. Ginge es um eine Quecksilber-Vergiftung, hätte sich das längst aufgeklärt. Was sein kann, ist, dass Chemikalien aus der chemischen Industrie eingeleitet werden, die dann insbesondere in der Kombination mit hohen Wassertemperaturen und – wahrscheinlich – schlechten Sauerstoffverhältnissen die Fische umbringen. Es gibt aber sehr viele chemische Verbindungen, die aus der Industrie kommen können. Wenn Sie keinen konkreten Hinweis haben, wonach die Chemiker suchen sollen, wird es schwierig.

Ich finde es wichtig, dass man an allen großen Flüssen – und dazu gehört auf jeden Fall auch die Oder – eine gute, kontinuierliche biologische Wasserkontrolle macht. Bei uns an der Weser gibt es in Hemelingen eine Messstation, in die kontinuierlich Wasser aus der Weser geleitet wird. Das Wasser wird unter anderem auch durch Aquarien mit Wasserflöhen geleitet. Wenn man feststellt, dass die Wasserflöhe plötzlich sterben, dann ist höchste Alarmstufe.

Es wundert mich ein bisschen, dass solche kontinuierlichen Wasserqualitätsüberwachungen an der Oder offenbar nicht stattgefunden haben oder sie zumindest nicht hilfreich gewesen sind. Bei uns bekäme man sehr frühzeitig Hinweise, wenn toxische Stoffe ins Wasser eingeleitet würden. Die Wasserflöhe sterben als Erstes. Und bevor auch die Fische sterben, kann man vielleicht etwas unternehmen.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 15. August 2022, 7 Uhr