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Abgelaufene Fristen: Was passiert, wenn Prozesse abgebrochen werden

Das Landgericht Bremen.
Bild: DPA | Carmen Jaspersen

Im Land Bremen mussten Gerichtsverfahren neu verhandelt werden, weil Fristen wegen Corona verstrichen waren. Nun drohen weitere Prozessabbrüche. Aber was passiert da eigentlich genau?

Aus welchen Gründen wird ein Prozess abgebrochen?

Ein Gerichtsverfahren kann abgebrochen werden, wenn zu viel Zeit zwischen den Verhandlungsterminen vergeht. Eine Hauptverhandlung, die mehrere Tage dauert, kann bis zu einer Dauer von drei Wochen unterbrochen werden. Das teilt Jan Stegemann, Richter und Sprecher am Landgericht Bremen, auf Anfrage von buten un binnen mit. Spätestens dann muss der nächste Termin stattfinden, sonst werde das Verfahren ausgesetzt – oder umgangssprachlich ausgedrückt: Das Verfahren ist geplatzt.
Während der ersten Welle der Corona-Pandemie galt dabei eine Ausnahmeregelung. Prozesse durften dann für drei Monate unterbrochen werden. Eine Rückkehr zu dieser Regelung fordert nun Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD), da durch Corona-Infektionen mehrere Prozesse zu platzen drohen.
Weitere Gründe für den Abbruch eines Prozesses sind Befangenheit des Richters oder Formfehler, sagt Matthias Koch, Sprecher der Bremer Justizbehörde. In München habe eine vorsitzende Richterin etwa versäumt, ein Urteil zu unterschreiben – und der Prozess musste von vorn beginnen.

Wie geht es nach einem Prozessabbruch weiter?

Wird ein Verfahren ausgesetzt, muss die Hauptverhandlung von vorne beginnen. "Der Prozess startet also von Neuem mit der Verlesung der Anklageschrift", sagt Stegemann.

Wie häufig werden Prozesse in Bremen abgebrochen?

Abgesehen von erfolgreichen Befangenheitsanträgen komme es sehr selten zu Prozessabbrüchen, sagt Behördensprecher Koch. "Gerade daher sind die durch Corona verusachten Prozessabbrüche für uns arlamierend."

Wie viele Prozesse mussten wegen Corona-Erkrankungen während und nach der Ausnahmeregelung abgebrochen werden?

Als die Ausnahmeregelung galt, musste kein Prozess wegen Frist-Überschreitung neu aufgerollt werden, sagt Behördensprecher Koch.
Nachdem die Regelung ausgelaufen war, waren laut Landgerichtssprecher Stegemann vier Prozesse geplatzt. Aber auch in anderen Prozessen hätten die Fristen nur sehr knapp eingehalten werden können.
Ein geplatztes Verfahren, das in den Bereich der Encrochat-Ermittlungen fiel, dauerte zwei Verhandlungstage. Die Angeklagten seien in Untersuchungshaft gewesen, die Frist von sechs Monaten dafür sei abgelaufen. Daher müsse nun das Oberlandesgericht über eine weitere Untersuchungshaft urteilen. In einem anderen Encrochat-Fall wurde die Verhandlung nach fünf Verhandlungstagen abgebrochen, eine Entlassung aus der Untersuchungshaft drohe in diesem Fall allerdings nicht.
Das dritte Verfahren wurde wegen gefährlicher Körperverletzung geführt und sei nach zwei Verhandlungstagen ausgesetzt worden. Verfahren Nummer vier sei ein sogenanntens Altverfahren aus 2018 gewesen, verhandelt wurde wegen Vergewaltuigung. Es habe nach mittlerweile fünf Verhandlungstagen ausgesetzt werden müssen.
In allen Fällen sollen Corona-Erkrankungen und Quarantäne von Beteiligten an dem Verfahren gewesen sein, teilt Koch mit.

Was passiert mit Aussagen und Beweisen aus einem abgebrochenen Prozess?

Erkenntnisse aus einer ausgesetzten Verhandlung könnten laut Stegemann nicht in die neue Verhandlung übertragen werden. Alle Beweise müssten noch einmal erhoben werden. So müssten auch geschädigte Zeugen erneut aussagen. Dabei bestehe auch die Gefahr, dass Zeugen später nicht mehr erreichbar sind.

Wie hoch sind die Kosten eines abgebrochenen Prozesses?

Das hängt vor allem vom Umfang der Beweisaufnahme des jeweiligen Prozesses ab, sagt Koch. Wenn Zeugen weit anreisen müssten, entstünden viel höhere Kosten als bei der Verlesung von Urkunden. In jedem Fall bedeute ein Neustart eines Prozesses viel Arbeit für die Justiz. Dies beginne bei der Terminfindung für die neuen Verhandlungstage.

Was ist mit der Verjährung einer Straftat bei einem Prozessabbruch?

Für unterschiedliche Strafmaße gibt es laut Strafgesetzbuch unterschiedliche Verjährungsfristen, wobei Mord nicht verjährt. Die Verjährung werde allerdings für die Dauer der Hauptverhandlung unterbrochen, sagt Stegemann. Bei einem Prozessabbruch beginne die Verjährungsfrist bei Null. Es muss die doppelte Verjährungsfrist vergehen, bevor ein geplatzter Prozess zu einer Verjährung führen kann.

Was geschieht mit Menschen in Untersuchungshaft beim Prozessabbruch?

Solange die Gründe wie Fluchtgefahr weiter vorliegen, bleibe der Mensch in Untersuchungshaft, sagt Koch. Dabei dürften aber nicht mehr als sechs Monate zwischen der Inhaftierung und der Hauptverhandlung liegen. Wenn die Untersuchungshaft mehr als sechs Monate dauert, muss das Oberlandesgericht entscheiden, ob die U-Haft bestehen bleibt.

Die Wissenschaftssenatorin Claudia Schilling im Interview.

Prozespausen wegen Corona: Bremer Senatorin warnt vor Folgen

Bild: Radio Bremen

Dieses Thema im Programm: Bremen Vier, Nachrichten, 28. Juli 2022, 6 Uhr