Interview

Vogt zum Bremer Fachkräftemangel: "Wir wollen die Minijobs abschaffen"

Bild: Imago | photothek

Bremen fehlen rund 36.000 Fachkräfte – und daran wird sich in Zukunft nicht viel ändern. Arbeitssenatorin Kristina Vogt (Linke) erklärt, wie Bremen gegensteuern möchte.

Frau Vogt, der Fachkräftemangel zeigt sich aktuell deutlich – überall wird Personal gesucht. Ist das alles Corona geschuldet?

Wir haben zwei Phänomene – tatsächlich haben wir seit zehn Jahren einen zunehmenden Fachkräfte- und Arbeitskräftebedarf. Das war mal anders prognostiziert, da alle dachten, dass man mit der Digitalisierung und Automatisierung eher weniger Arbeitskräfte braucht. Das stimmt aber nicht.

Der zusätzliche Fachkräftebedarf liegt bei ungefähr 36.000 Personen im Bundesland Bremen. Aber wir haben natürlich in einigen Branchen ein Corona-Problem. Während Corona war der Fachkräftebedarf deutlich geringer in Bremen. Der lag ungefähr bei 22.000 Menschen. Und man kann da schon sagen, insbesondere in der Gastronomie – aber auch alles was mit Luftverkehr zu tun hat – ist ein Corona-Phänomen. Und alles andere ist tatsächlich der gestiegene Bedarf an Arbeitskräften.

Gibt es denn noch Hoffnung, dass sich der Fachkräftemangel von alleine löst?

Tatsächlich ist das ja keine neue Entwicklung. Da haben viele, wir auch, bereits vor Jahren drauf hingewiesen. Die Baby-Boomer gehen in Rente. Das heißt: Wir haben ein demographisches Problem. Und das ist interessant. Ich war zum Beispiel vor fünf, sechs, sieben Jahren mal auf einer Veranstaltung, wo es um das Thema Transformation ging. Da haben alle nur über die Themen Dekarbonisierung und Digitalisierung geredet. Und wenn ich dann gesagt habe, wir haben aber auch die Demographie, haben alle so getan, als wäre das kein Problem.

Für mich übrigens auch nicht überraschend ist das Problem in der Gastronomie und im Luftverkehr. Das waren oft Minijobs oder schlecht bezahlte Jobs. Die Leute haben sich was anderes gesucht. Die hatten auch keine Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn es prekäre Jobs waren. Und jetzt sind sie in anderen Branchen untergekommen, wo sie bessere Arbeitszeiten, bessere Arbeitsbedingungen haben und deutlich mehr verdienen. Die kommen jetzt nicht sofort zurück in Jobs, die eigentlich schlechter sind.

Aber wo sind die Arbeitskräfte denn dann alle hingewechselt?

Gerade diejenigen, die in der Pandemie schlecht abgesichert waren, weil sie eben nur Minjobs hatten und damit keine Ansprüche auf Kurzarbeitergeld, sind in der Logistik untergekommen – aber auch im Einzelhandel. Und haben schnell festgestellt: 'Oh, ich habe ganz andere Arbeitszeiten, ich komme nicht mitten in der Nacht nach Hause und habe eine deutlich bessere Absicherung und mehr Geld.'

Was für Frachkräfte fehlen uns eigentlich?

Was neu und in dem Ausmaß überraschend ist, ist, dass die Anzahl der Helferberufe zunimmt. Also Menschen, die als Umgelernte oder Angelernte irgendwie arbeiten. Auch das hatten viele anders eingeschätzt. Man dachte: 'Wir brauchen hochqualifizierte Arbeitskräfte – wir haben mehr Digitalisierung, mehr IT-Unterstützung.'

Was man als positives Signal sehen muss: Wir haben in Bremen einen enormen Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das sind fast 25 Prozent mehr als vor 10 Jahren. Wir haben die Demographie, aber auch tatsächlich mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze – also mehr gute Arbeitsplätze. Trotzdem haben wir immer noch Branchen, die sind eher nicht nachgefragt, weil die Arbeitsbedingungen nicht so toll sind. Dort gibt es keine Tarifbindung und die Löhne sind woanders besser. Der Pool wird insgesamt kleiner und andere Branchen bieten mehr – und da gehts nicht immer nur ums Geld. Viele merken: 'Wir müssen nicht nur ordentlich zahlen, sondern darauf achten, dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich möglich ist.' Das Leute auch mehr Teilzeit arbeiten können oder reduzierte Vollzeit haben. Das sind alles so Themen, denen sich jetzt so viele Branchen annähern, weil sie merken, dass sie im Wettbewerb sind.

Und was tut das Land Bremen gegen den Fachkräftemangel?

Wir setzen jetzt unsere Fachkräftestrategie 2022 noch einmal neu auf. [...] Man kann nicht auf 20 Jahre planen, weil die Prognosen offensichtlich nie so stimmten und was wir ganz klar sagen ist: Wir qualifizieren nach, wir haben die Landesagentur für berufliche Weiterbildung aufgesetzt, damit die Menschen, deren Tätigkeit verloren gegangen ist, nicht in der Arbeitslosigkeit landen, sondern früher so qualifiziert werden, dass sie sofort wieder einen Job haben.

Wir versuchen, die duale Ausbildung aufzuwerten. In den letzten 20 Jahren hat leider tatsächlich der Hang zum Abitur und zum Studium zugenommen. Wie ich finde, zu Unrecht. Eine duale Ausbildung bedeutet am Ende des Tages nicht, dass man weniger Geld oder weniger Aufstiegsmöglichkeiten hat. Ganz im Gegenteil, man fängt früher an Geld zu verdienen.

Und wir versuchen, Branchen für Frauen attraktiver zu machen, die überwiegend männerdominiert sind. Das ist enorm wichtig und letztendlich ist es auch eine ressortsübergreifende Aufgabe und auch eine Frage der Sozialpartner. Es ist nicht nur Politik. Auch die Unternehmen müssen sich für Frauen öffnen und zum Beispiel Teilzeitausbildungen ermöglichen oder andere Arbeitszeitmodelle bieten.

Ordnet sich der Arbeitsmarkt gerade neu?

Aus Sicht einer Wirtschafts- und Arbeitssenatorin würde ich mir das wünschen. Wir versuchen deswegen politisch, ein paar Sachen zu stärken. Wir setzen uns ganz klar ein für die Stärkung der Tarifbindung, für Allgemeinverbindlichkeit, da wo es keine Tarifparteien gibt – und auch für die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse.

Wir wollen, im Gegensatz zur Bundesregierung, die Minijobs abschaffen. Übrigens interessanterweise: In der Arbeitsministerkonfererenz durchaus auch mit Unterstützung einiger CDU-regierter Länder. Dass prekäre Arbeitsbedingungen ein Problem sind, haben durchaus einige begriffen.

Aber letztendlich müssen auch die Branchen selbst auf den Arbeitskräftemangel reagieren. Wenn die Gastronomie weiterhin auf Minjobs setzt, dann hat sie auf lange Sicht ein Problem, weil Menschen jetzt einfach auch einen anderen Arbeitsplatz finden können, wo sie sozialversichert sind.

Geführt wurde das Interview von Cathrine Wenk. Transkribiert wurde es von Sevim Özkan.

Stelle frei! Was nun? Wie findet man in Bremen Fachkräfte?

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 20. August 2022, 19:30 Uhr