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Bremer Jugendhilfeträger suchen verzweifelt nach Fachkräften

Freie Stellen in Bremen – Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit

Bild: DPA | Daniel Karmann

In der Sozialarbeit ist der Fachkräftemangel groß. Derzeit sind in Bremen so viele Stellen offen wie seit drei Jahren nicht mehr. Das hat Folgen.

Im sozialen Bereich ist der Nachwuchs knapp – das ist keine Neuigkeit. Doch seit Anfang 2021 steigt die Zahl der gemeldeten, offenen Stellen bei der Agentur für Arbeit rasant – sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven. 125 Jobangebote für erfahrene Sozialpädagogen und -pädagoginnen sowie Sozialarbeiter und -arbeiterinnen gab es im Juni 2021 im Land Bremen, 94 davon in Bremen und 31 in Bremerhaven. Eine klare Steigerung, selbst im Vergleich zu den Vorjahren.

Besonders in Bremerhaven wird dies deutlich. Dort war die Zahl der freien Stellen zuletzt dreimal so hoch wie die der Arbeitssuchenden.

Gemeldete Arbeitssuchende und freie Stellen (Sozialarbeit, Sozialpädagogik) in Bremerhaven

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Mit Blick auf das gesamte Land Bremen wirkt die Lage zwar auf den ersten Blick entspannter. Doch auch hier gibt es einen Trend: Während die Zahl der Arbeitsstellen seit Anfang 2018 um rund 45 Prozent rasant gestiegen ist, wuchs die Zahl der Arbeitssuchenden nur um rund 5 Prozent.

Gemeldete Arbeitssuchende und freie Stellen (Sozialarbeit, Sozialpädagogik) im Land Bremen

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Die Träger der Jugendhilfe melden einstimmig, dass sie nach Fachkräften suchen, aber nur schwer welche finden. "Als großer freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit 39 Standorten in und um Bremen sucht die Hans-Wendt-Stiftung kontinuierlich Fachkräfte. Die offenen Stellen sind nur schwierig zu besetzen", bestätigt die Sprecherin der Hans-Wendt-Stiftung, Heike Worgulla. Es fehle nicht nur an Bewerbungen, sondern auch an geeigneten Bewerbern.

Nicht alle Bewerber für jede Stelle geeignet

Zwar sind derzeit bei der Agentur für Arbeit im Sozialbereich noch immer mehr Arbeitssuchende gemeldet als Stellen. Allerdings ist die Sozialarbeit vielfältig. Das bedeutet, nicht jeder Bewerber passt für jede freie Stelle.

Dass nicht alle Stellen besetzt sind, wenn es mehr Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen als Stellen gibt, liegt daran, dass die Ausübungsformen der sozialen Arbeit sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Es gib sehr viele Spezialisierungen.

Jörg Nowag, Sprecher der Bremer Agentur für Arbeit

Und gewisse Bereiche sind schwieriger zu besetzen als andere, das bestätigen mehrere Träger in verschiedenen Feldern. "Bei uns sind es eher Stellen mit Leitungsverantwortung oder mit ungünstigen Arbeitszeiten, zum Beispiel an Feiertagen oder Wochenenden", erläutert der Arche-Bereichsleiter in Bremerhaven, Michael Tietje.

Der Fachkräftemangel als langjähriger Prozess

Der Fachkräftemangel hat jedoch viele Ursachen. Es sei eine längerfristige Entwicklung, die sich dieses Jahr zugespitzt habe, sagt Tietje. "Zum einen hat es mit der Alterspyramide zu tun: Viele Sozialarbeiter sind bereits im Rentenalter." Man habe zu spät eine "attraktive Gegensteuerung" angeboten. Viele reduzierten zudem im Alter ihre Arbeitszeiten, aus eigenem Wunsch oder aus der Notwendigkeit heraus, weil die Arbeit zu belastend wird.

Hinzu komme die hohe psychische Belastung. Das merke man an der hohen Anzahl erkrankter Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Branchen, so Tietje.

Die psychische Belastung macht sich in unserer Branche deutlich mehr bemerkbar. Man ist privat deutlich mehr belastet, man kann nicht so einfach abschalten.

Michael Tietje, Bereichsleiter bei Arche-Sozialpsychiatrische Hilfen in Bremerhaven

Ursachen für Kräftemangel sind vielfältig

Auch sei der Bedarf an Sozialarbeiter und -arbeiterinnen in den vergangenen Jahren durch neue Gesetze gestiegen. "Zum Beispiel durch das Teilhabegesetz müssen die Menschen deutlich mehr begleitet werden und dadurch entstehen neue Stellen", erläutert er.

Andere Träger merken dabei andere Faktoren an. "Die zunehmende Diversität an Bildungsabschlüssen ist sicherlich ein Hauptgrund für den Mangel. Die Vielfalt führt unter anderem dazu, dass es nicht immer die 'passgenauen' Bewerber und Bewerberinnen für eine Stelle gibt", sagt dazu die Fachbereichsleitung der Hans-Wendt-Stiftung, Birgit Kramer. Doch auch das Gehalt und "die teilweise geringe Anerkennung" spielten eine Rolle, sowie der Wunsch nach einer besseren Life-Work-Balance.

Sozialressort: Mangel entsteht durch Ausbau von Angeboten

Das Bremer Sozialressort bestätigt die Beobachtungen der Einrichtungen: Sowohl bei den Trägern als bei staatlichen Stellen wie Jugendämter oder Schulsozialarbeit bestehe eine hohe Nachfrage an entsprechenden Fachkräften, sagt der Sprecher des Sozialressorts, David Lukaßen. Die Ursachen seien vielfältig.

Durch die Ausweitung von Ganztagsangeboten und Schulsozialarbeit ist dort etwa ein Bedarf entstanden, den es so vorher nicht gab. In Bremen gab es zudem eine Personalbemessung im Jugendamt, und auch die hohen Zugänge im Bereich von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Familien haben Bedarfe ausgelöst. In Summe führt dies dazu, dass es eine hohe Nachfrage gibt und der Arbeitsmarkt 'leer gefegt' ist.

David Lukaßen, Sprecher des Sozialressorts

Für Träger steigt der Aufwand, für Fachkräfte die Arbeit

Das hat Folgen für die sozialen Einrichtungen. "Für uns als Träger steigt mit dem Fachkräftemangel der Aufwand", sagt Kramer. Man müsse stärker auf die individuellen Qualifikationen der Bewerber schauen und gegebenenfalls fortbilden. Zudem bedeutet die Bewerberknappheit mehr Arbeit für die Angestellten.

Gleichzeitig bedeutet die Personalknappheit natürlich auch, dass die Fachkräfte in den Einrichtungen, in denen eine Stelle frei ist, umso mehr gefordert sind und entsprechend kompensieren müssen.

Birgit Kramer, Fachbereichsleitung der Hans-Wendt-Stiftung

Für die Jugendlichen entstünden keine Nachteile. "Sie haben ihre festen Ansprechpersonen, die Versorgung in der Leistung wird dadurch nicht beeinträchtigt. Die Mehrbelastung der Fachkräfte, vor allem im Kita-Bereich, nimmt aber natürlich zu", führt Kramer aus. Auch bei Projekten, die umgesetzt werden sollen, kann der Fachkräftemangel zu einem verspäteten Start führen.

Vor allem erfahrene Bewerber sind Mangelware

Lars Becker, Einrichtungsleiter im SOS-Kinderdorf Bremen, sorgt sich vor allem um die Qualität der Jugendhilfe. Die Bewerbungen von Berufsanfängern überwogen derzeit die von erfahrenen Fachkräften.

Die Qualität eines Angebots hängt in entscheidendem Maße davon ab, dass ich eine gute Mischung aus berufserfahrenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Berufseinsteiger und -einsteigerinnen im Team habe.

Lars Becker, Einrichtungsleiter SOS-Kinderdorf Bremen

Durch eine spätere Besetzung der freien Stellen verkürze sich zudem die Phase der Einarbeitung, weil die neuen Fachkräfte schneller als bisher vollwertig mitarbeiten müssten.

Aus- und Weiterbildung, attraktivere Angebote als Lösung

Weniger Bewerber, mehr unbesetzte Stellen, mehr Aufwand und mehr Stress für die Angestellten – wie man aus diesem Teufelskreis ausbricht, darüber unterscheiden sich Meinungen und Ansätze. Auf interne Qualifikationen und Weiterbildungsmöglichkeiten setzt unter anderem die Hans-Wendt-Stiftung.

Mehr externe Ausbildungsmöglichkeiten fordern andere Einrichtungen. "Nächstes Jahr bekommt Bremerhaven einen neuen Studiengang für Soziale Arbeit. Das ist eine gute Entscheidung", sagt Tietje. Im Wintersemester 2022 soll der Bachelor-Studiengang starten. Geplant sind 50 bis 55 Studienanfänger pro Jahr, wie das Wissenschaftsressort bestätigt. Das Sozialressort teilte auf Nachfrage mit, man habe zudem die Studiengänge gestärkt und kooperiere mit der Hochschule Bremen.

Solche Maßnahmen – das Ausweiten oder Neuschaffen von Kapazitäten – brauchen dann aber immer auch eine gewisse Zeit, bis sie Ihre Wirkung entfalten.

David Lukaßen, Sprecher des Sozialressorts

Für Michael Tietje gibt es keine einfache Antwort zum Fachkräftemangel. "Wenn es so einfach wäre, hätten wir ihn schon abgestellt."

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 28. Juli 2021, 19:30 Uhr

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