Wie andere Länder mit Einsamkeit umgehen – und was Bremen lernen kann

Großbritannien, Niederlande und Japan: Mit Einsamkeitsministerien und Gesprächsangeboten wollen diese Länder helfen. Braucht auch Bremen ein Ressort gegen Einsamkeit?

In Japan, im größten Ballungsraum der Welt rund um Tokio, greift die Einsamkeit um sich. Rund 40 Millionen Menschen leben dort – viele für sich allein. Koki Oozora will das nicht länger hinnehmen. Mit der Einsamkeit ist auch die Selbstmordrate in seinem Land deutlich gestiegen.

Also hat Koki Oozora eine Freiwilligen-Organisation gegründet, die Anrufe aller Art per Messenger-Dienst entgegennimmt. Inzwischen mehr als 1.000 jeden Tag. Bei Suizid-Gefahr blinkt eine Lampe.

Einsamkeit wird oft als privates Problem abgetan. Und es wird erwartet, dass man es alleine löst – ohne Hilfe. Das gilt sogar als eine Tugend. Dadurch werden die Betroffenen geradezu in eine Ecke gedrängt.

Koki Oozora

Mit einem eigenen Ministerium will Japan die Einsamkeit nun bekämpfen. Seit vergangenem Jahr gibt es das Ministerium. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bündeln alle Zuständigkeiten und Hilfsangebote. Denn die Vereinsamung gilt inzwischen als häufigste Ursache für die Gesundheitsprobleme im Land. "Wir wollen eine Gesellschaft, in der es möglich ist, über Einsamkeit offen zu reden. Dazu müssen wir ein Netzwerk der Unterstützung bilden", sagt Shin-Ichi Oomura. Er arbeitet beim Ministerium der Einsamkeit in Japan.

Einsamkeitsministerium in Großbritannien

Vorbild ist Großbritannien: Hier gibt es bereits seit 2018 ein solches Ministerium. Und Tracey Crouch hat damals Pionierarbeit geleistet: als weltweit erste Einsamkeitsministerin.

"Wir können nur gemeinsam etwas erreichen. Wir müssen überparteilich arbeiten, aber vor allem müssen wir uns mit Wohltätigkeitsorganisationen austauschen. Es gibt schon einiges, um der Vereinzelung bei Älteren entgegenzuwirken, aber wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz", sagte Crouch 2018.

Plauderkassen in den Niederlanden

In den Niederlanden setzt man auf ein ganz niedrigschwelliges Angebot gegen Einsamkeit. Klets-Kassa – Plauderkasse – so heißt eine Idee dort. Seit der Corona-Pandemie 2019 gibt es diese "gesellige" Kasse – an der sich Kunden Zeit für ein Pläuschchen nehmen können. Ein Supermarkt hatte den Bedarf dafür erkannt. Mittlerweile gibt es in rund 40 Filialen eine solche Klets-Kassa.

Wir merken in Gesprächen mit Senioren oft, dass manche nur einmal in der Woche mit jemandem sprechen und das ist dann oft die Kassiererin.

Bas Groenendijk, Stiftung "Alles Vor Mekaar"

Deshalb sollen die Kassiererinnen und Kassierer sich noch ein wenig Zeit nehmen können, um Fragen zu stellen oder zuzuhören.

Plaudern im Supermarkt oder gleich ein ganzes Ministerium – weltweit kämpfen Länder so gegen Vereinsamung. Aber was kann Bremen aus diesen Ansätzen lernen. Und gibt es hier schon vergleichbare Projekte?

Diese Ansätze gibt es in der Bremer Politik

Das Bremer Sozialressort beginnt aktuell damit, sich einen Überblick über die Einsamkeitslage zu verschaffen. Das passiert, indem gezielt Menschen ab 75 Jahren angesprochen werden: Zu ihrem Geburtstag sollen sie Briefe erhalten mit Besuchsangeboten. So will die Bremer Politik zusätzlich zu den ehrenamtlichen Angeboten, die es in der Stadt geht, Einsamkeit vorbeugen.

Anders als bei älteren Menschen gibt es keine aufsuchenden Angebote für Kinder und Jugendliche, die unter Einsamkeit leiden, teilt das Sozialressort mit. Da setze Bremen nach wie vor vor allem auf Sportvereinen und Freizeitstätten.

Nach der Corona-Pandemie ist allerdings deutlich geworden, dass die Einsamkeit junger Menschen ebenfalls ein wichtiges Thema ist. Deshalb wurde eine Programm mit dem Titel "Stark im Sozialraum" gestartet. Insgesamt stellt das Land Bremen für diese Zwecke aus dem Bremen-Fonds drei Millionen Euro bis Ende 2023 zur Verfügung, davon 600.000 in Bremerhaven. Unter anderem soll dabei die kinder- und jugendpsychiatrische Fachexpertise in den Stadtteilen gestärkt werden, um dort die Fachkräfte aus Schule, Kita, Jugendhilfe und Freizeitangeboten zu unterstützen.

Der Staat kann Einsamkeit nicht "beseitigen" oder "auflösen", er kann die Begegnung unter Menschen nicht ersetzen, er kann sie nur fördern.

Anja Stahmann, Sozialressort Bremen (Grüne)

So weit zu gehen, ein eigenes Einsamkeitsressort für Bremen einrichten zu wollen, würde das Sozialressort aktuell nicht gehen. "Wenn man sich ansieht, was die Einsamkeitsministerin in Großbritannien vornehmlich leistet, dann bekommt man den Eindruck, dass sie im Wesentlichen die Forschung zu dem Thema intensiviert und zusammenträgt", heißt es aus dem Ressort. Bremen sei dafür zu klein. Wenn, wäre der Bund eine geeignete Adresse.

Einsamkeitsministerium in Deutschland?

Die Gesundheitspsychologin Sonia Lippke von der Jacobs University in Bremen sagt, in Deutschland braucht es nicht gleich ein ganzes Ministerium der Einsamkeit. Ihrer Auffassung nach ist das Thema aktuell in der Politik präsent.

Das zeigt auch das "Kompetenznetz Einsamkeit". Das Netzwerk ist von der ehemaligen Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) gestartet worden und hat mittlerweile seine Arbeit aufgenommen. Dort soll die Forschung zur Einsamkeit vorangetrieben und dann praktische Hilfen an die Politik geben werden.

Vernetzung und gesellschaftlicher Zusammenhalt als Schlüssel

Lippke spricht sich dafür aus, dass es mehr Angebote für Vernetzung und gesellschaftlichen Zusammenhalt geben müsste. Prävention sei da wichtiger als das reagieren, wenn es zu spät ist. Denn dann helfe oft nur noch eine Therapie.

Diese Erfahrung kann auch der Chefarzt des Ameos Klinikums Bremen, Uwe Gonther, aus der Praxis teilen. Auch er sieht Prävention als den beinahe wichtigsten Punkt im Kampf gegen Einsamkeit an. Doch seiner Meinung nach liegt die nicht nur in der Verantwortung der Einzelnen oder auch von Initiativen und Sportvereinen.

Er sieht ganz klar auch einen Fokus auf den Städtebau. Beispiele, wo die Stadt den Menschen die Einsamkeit nehme, seien für ihn Wien und Kopenhagen. Dort gebe es viele öffentliche Plätze, die zum Zusammenkommen einladen würden. Er wünscht sich, dass Bremen mehr von diesen Städten lernt.

Autorinnen

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 31. Oktober 2022, 19:30 Uhr