Interview

Bremerhavener Museumschefin: "Das DSM ist kein sinkendes Schiff"

Eine Frau mit dunklen knapp kinnlangen dunklen Haaren und einer schwarzen Bluse mit weißen Punkten lächelt in die Kamera.

Bremerhavener Museumschefin: "Das DSM ist kein sinkendes Schiff"

Bild: dpa | Sina Schuldt

Wenig Geld, viele Aufgaben und Probleme: Beim Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven geht es "ums Überleben", sagt dessen Chefin. Sie ist trotzdem optimistisch. Warum, erklärt sie hier.

Das Deutsche Schifffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven hat sich in den letzten Jahren oft in Katastrophen-Schlagzeilen wiedergefunden: Sanierungsstau, Streit um die Ausrichtung zwischen Forschungs- und Museumsbetrieb, der Untergang der "Seute Deern", schließlich Chaos in der inneren Verwaltung: Das Haus wirkte auf viele Betrachter dysfunktional. In der letzten Zeit wurde es ruhiger. Mit Ruth Schilling kam eine neue Chefin ins Amt, mit den aktuellen Ausstellungen "Change Now" oder "Into the Ice" gibt es beachtete Angebote, einen Teil der akuten Finanzprobleme wird das Land wohl mit einer Sonder-Spritze von sieben Millionen Euro lösen.

Doch weiter sind teure Sanierungen der Hauptgebäude nötig, über einen möglichen Ersatz für die "Seute Deern" muss noch entschieden werden. Vor allem aber steht die existentiell wichtige Evaluierung des Hauses durch die Leibniz-Gemeinschaft an. Das Ergebnis entscheidet darüber, ob das DSM ein von Bund und Ländern hoch gefördertes Forschungsmuseum bleiben kann.

Viele Probleme für die neue Leiterin Ruth Schilling. buten un binnen hat sie erzählt, wie sie sie lösen will und was ihr besonders wichtig ist. Wir treffen sie virtuell per Videoschalte aus Bremen.

Frau Schilling, fangen wir mal aktuell an: Sie bekommen nun wohl sieben Millionen Euro vom Land, um die gröbsten Löcher stopfen zu können. Was bedeutet das für Ihr Haus?

Eine Nahaufnahme des Deutschen Schiffahrts Museum.
Bild: Radio Bremen

Die Summe ist mit konkretem Bedarf hinterlegt und hat ihren Sinn – und es ist überhaupt nicht so, dass wir nun im Geld schwimmen. Dass wir Geld bekommen, ist für uns ein Überlebensakt. Es hat sich gezeigt, dass das DSM intern von Jahr zu Jahr Kosten für Instandhaltung verschoben hat. Als ich im DSM anfing, hieß es, der Bangert-Bau werde 2017 wieder eröffnet. Je länger so etwas dann dauert, umso teurer wird es: Man hat Interims-Mietkosten, Wissenschaftler, die eingestellt wurden, die dann plötzlich etwas anders machen müssen, um Leistung nachzuweisen: Das sind ganz, ganz viele Kosten, die auflaufen. Würden die nicht ausgeglichen, würden sie uns das Leben völlig abschnüren.

Aber die nächste Herausforderung steht ja vor der Tür: die Evaluierung durch die Leibniz-Gemeinschaft – Zeugnisstunde für sie als gefördertes Museum. Wie wird das ablaufen?

Es gibt einen sehr engen Projektplan bis zum Besuch der wissenschaftlichen Kommission im Sommer 2024. Wir sind ein Forschungsmuseum, ganz entscheidend ist darum die Ausstellung in einer konkurrenzfähigen Form. Ohne sie werden wir die Evaluierung nicht bestehen. Darum brauchen wir jetzt die Fokussierung auf die Sanierung des Bangert-Baus und die ausstellungsbezogenen Aufgaben – auch wenn die Rahmenbedingungen gerade nicht besonders gut sind. Wir haben Probleme, für die niemand Schuld trägt: unglaubliche Bau- und Materialpreissteigerungen. Das bereitet uns wirklich Kopfschmerzen.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann: dass wir künftig nicht mehr so durch infrastrukturelle Themen aufgefressen werden und dann keinen Fokus mehr für die Wissenschaft haben. Denn das wäre keine gute Ausgangsbedingung für die Evaluierung.

Eine Frau mit dunklen knapp kinnlangen dunklen Haaren und einer schwarzen Bluse mit weißen Punkten lächelt in die Kamera.
Ruth Schilling

Wir müssen diesen Sommer intensiv vorbereiten, was wir dann 2023 als Unterlage abgeben. Das ist ein ganz großes Dokumentationswerk in Buchform über unsere Forschungsleistung, unsere Ausstellungsvorhaben und unsere Vermittlungstätigkeit, es wird natürlich auch ausführlich unsere Struktur dargestellt. Den wissenschaftlichen Kern werden wir bei einer Begehung im Herbst 2022 vorstellen. Im Frühjahr 2023 müssen wir dann die komplette Unterlage einreichen.

Und dann haben Sie erstmal wieder Luft?

Dann haben wir natürlich nicht ein Jahr Pause, sondern dann muss die Dauerausstellung in den Bangert-Bau eingebracht werden. Sie muss auch rechtzeitig vor der Evaluierung eröffnet werden. Das darf man nicht geringschätzen: Es ist ein großer Bau mit 4.000 Quadratmetern, etwa zehn Prozent unserer Sammlung kommen dort als Exponate hinein: Da ist wirklich das gesamte Haus gefragt. Außerdem bespielen wir in dieser Zeit nicht nur die Baustelle Bangert-Bau, sondern versuchen gleichzeitig in der Kogge-Halle ein attraktives Programm mit kleineren Ausstellungen anzubieten, und auch andere Projekte laufen natürlich weiter.

Ist diese Evaluierung schwieriger als die vergangene, an der Sie ja auch schon maßgeblich mitgewirkt hatten?

Auch die Evaluierung 2017 war schwierig. Damals musste vieles in großer Zeitnot geregelt werden. Aber eines war damals anders: Wir konnten Dinge in Aussicht stellen, die wir noch nicht zeigen konnten. Nun müssen wir vieles davon aber einlösen. Deswegen beharre ich so auf der Ausstellung im Bangert-Bau. Wenn wir die nicht zeigen können, hätten wir viele unserer Versprechungen nicht eingehalten – dann habe ich wirklich ein Legitimierungsproblem, weil sich dann die Frage stellt: Was haben Sie denn die sieben Jahre eigentlich so gemacht? Und ich glaube, dass die kommende Evaluierung noch entscheidender ist, zugespitzter auf die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen das Museum agiert. Wir müssen ganz klar den Willen aller Mittelgeber zeigen, die hier geleistete Arbeit weiter zu unterstützen.

Ist das in die Richtung dieser Mittelgeber von Bund, Land und Stadt ein Appell? Oder eine Bitte?

Das ist ein Appell. Die Zeit für Bitten haben wir tatsächlich nicht, und bitten wäre auch unangemessen, dafür ist es zu wichtig. Ich habe allerdings das Gefühl, dass diese Dringlichkeit auf allen Seiten auch erkannt wird. Ich habe übrigens nirgendwo und in keiner Weise wahrgenommen, dass das DSM in Frage gestellt wird, weder in der akademischen Landschaft noch auf politischer Seite. Es ist jetzt die Zeit, wo vieles auf den Tisch gelegt werden muss, wo man sich in großer Ehrlichkeit verständigen muss, Probleme nicht verschweigt und alles, was notwendig ist, benennt und dann einen Plan macht. Wenn dieser Plan ausgereift ist und 2024 die Horizonte stimmen, dann bin ich sehr optimistisch.

Schriftzug "Change Now" auf einem haus
Bild: Radio Bremen | Boris Hellmers

Wie groß ist aktuell der Druck auf das Museum?

Wir sind ein sehr lebendiges Haus, das ungeachtet vieler räumlicher Baustellen funktioniert. Wir sitzen nicht auf einem sinkenden Schiff, sondern hoffentlich auf einem, das nun in ruhiges Fahrwasser gerät. Der Druck auf das Haus war schon immer enorm hoch, seitdem ich im September 2014 hier angefangen habe. Er zeigt sich in einer hohen Arbeitsleistung der Mitarbeitenden, er nimmt auch nicht ab. Was ich positiv finde ist: Jetzt wird deutlich, dass es Fragen gibt, die das Haus nicht alleine lösen kann. Wir sind weder Bauleute, noch können wir Geld drucken. Es gibt Dinge, da braucht das Haus einen Schulterschluss mit allen: der Stadt, dem Land, dem Bund, um die Strahlkraft zu entwickeln, die unserem Thema "Mensch und Meer" gebührt. Wir werden immer mehr auch international so wahrgenommen. Jetzt muss das mit dem Bangert-Bau passieren, sonst können wir viele Versprechen, die wir auf internationaler Bühne in Aussicht gestellt haben, nicht halten.

Das klingt optimistisch, aber ist die Lage nicht in Wirklichkeit viel heikler?

Heikel klingt so negativ. Da könnte man auch gleich die Flinte ins Korn werfen, was aber für niemanden eine Option ist. Der Begriff "entscheidend" passt besser. Jetzt ist die Zeit, sich diesem Museum zu verpflichten und hinter seiner Botschaft zu stehen. Wir brauchen das unbedingte Bekenntnis zur Wichtigkeit der mit uns verbundenen Themen und Forschungen.

Und ich möchte mit tiefster Überzeugung sagen: Das Museum ist in dieser Form in dieser Region richtig angesiedelt. Ein solches Museum kann nicht in Berlin oder Bayern stehen. Aber die Botschaften, die wir haben, die sind auch für Berlin oder Bayern und weit darüber hinaus wirklich entscheidend.

Eine Frau mit dunklen knapp kinnlangen dunklen Haaren und einer schwarzen Bluse mit weißen Punkten lächelt in die Kamera.
Ruth Schilling

Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie unsere globale Wirtschaft aufgebaut wurde – wie wir es momentan täglich im Supermarkt mit den Lieferkettenproblemen vor Augen geführt bekommen. Wir befassen uns mit weltweiter Migration, der sozialen Ungerechtigkeit globaler Arbeit, mit der Beziehung von Mensch und Umwelt auf den Meeren: Relevanter und aktueller geht es nicht. Darum ist "heikel" der falsche Begriff für die aktuelle Situation. Es muss Klarheit gewonnen werden, ob man das Programm, das ich gerade aufgeführt habe, wirklich möchte. Das ist für mich eine ganz grundlegende Frage. Nicht nur für Bremerhaven und Bremen, sondern für die ganze bundesrepublikanische Gesellschaft.

Mehrere Personen stehen in einer Ausstellungshalle mit großen Schauwänden.
Eine Austellung im DSM Bild: Radio Bremen | Catharina Spethmann

Manche hatten in der Vergangenheit das Gefühl, dass sich das Museum ein wenig hinter seinem Forschungsauftrag versteckt – weil dafür auch der größte Teil der Finanzierung fließt. Ist Ihnen Forschung und Vermittlung gleich wichtig?

Das kann man ganz, ganz deutlich so sagen. Das ist auch in meiner Professur an der Uni Bremen so angelegt: Sie heißt "Kommunikation museumsbezogener Wissenschaftsgeschichte". Ich habe mich darauf beworben, um beides zu betreiben, Forschung und Ausstellung. Dasselbe habe ich als Historikerin in Berlin betrieben: Ich war an Forschungsprojekten beteiligt und habe sie gleichzeitig zu Ausstellungen transformiert. Man muss sagen, dass es in der akademischen Welt noch viele Vorurteile gegen Ausstellungen bestehen: Das macht man halt, das ist ein bisschen Marketing, der Rest ist die wahre Forschung. Ich glaube, dass das überhaupt nicht stimmt. Wenn ich eine gute Ausstellung machen will, muss ich sehr genau wissen, was und wie ich dort kommuniziere. Und dann noch den Besucherinnen und Besuchern zu vermitteln, wie ich zu meinen Aussagen komme, das ist dann wirklich die hohe Kunst, sozusagen die Kür des Forschungsmuseums. Die ist uns ein großes Anliegen.

Das Technische Hilfswerk bei der Bergung des Schiffs "Seute Deern" in Bremerhaven.
Wohl die dunkelste Stunde in der DSM-Geschichte: der Brand der "Seute Deern" im Februar 2019. Das Schiff ist mittlerweile abgewrackt. Bild: THW OV Bremerhaven

Wir können nicht über das DSM sprechen, ohne über die "Seute Deern" zu reden. Das Museumsschiff und Wahrzeichen der Stadt ist unter den Augen des DSM weggegammelt, untergegangen und musste schließlich abgewrackt werden. Ist das Schiff ersetzbar?

Man muss konstatieren, dass die Havarie der Seute Deern als großes ikonisches Objekt nachhallt, und das wird auch noch lange nachhallen. Das hatte damals alles überlagert, da konnten wir uns auf den Kopf stellen oder noch so tolle Ausstellungen machen – das ist nicht dagegen angekommen. Dem müssen wir uns stellen. Wir haben ja eine ganze Reihe anderer Schätze vor der Haustür, mit denen man sich jetzt gut auseinandersetzen muss. Einer unserer größten Schätze liegt zum Beispiel in der Koggehalle. Es gibt auf der ganzen Welt kein anderes so gut erhaltenes mittelalterliches Schiff diesen Typs. Das ist für viele Besucher das absolute Highlight - aber das wird immer gar nicht weiter erwähnt.

Und was wäre mit der "Najade"? Einem möglichen Nachbau eines historischen Schiffs, für das der Bund 42 Millionen fließen lassen würde? Braucht die Stadt ein vom Steuerzahlerbund als "Disney-Nachbau" verspottetes das Schiff wirklich?

Die Frage ist richtig und ich finde es gut, wie in der Stadt darüber debattiert wird: Es zeigt den Austausch darüber, wie man sich die maritime Identität vorstellt. Persönlich finde ich die Najade ein spannendes Schiff. Und ich kann gut verstehen, dass man einen Ersatz für die "Seute Deern" finden will. Es geht ja auch um Symbole, mit denen sich die Stadt identifiziert. Bei der Najade stellt sich aber die Frage, ob ein nachgebautes Schiff diese Symbolkraft entwickeln kann, die ein Originalschiff hat. Und ich möchte anmerken:

Ein nachgebautes Schiff, auch wenn es ganz toll gemacht wird, würde vor einer Museumsruine sicher nicht die Schlagkraft entfalten, die es verdient. Insofern kann man es nur gesamtheitlich sehen – und nicht als glanzvolles Projekt im Wasser und wenig Museum auf der anderen Seite.

Eine Frau mit dunklen knapp kinnlangen dunklen Haaren und einer schwarzen Bluse mit weißen Punkten lächelt in die Kamera.
Ruth Schilling

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Sonntag aus Bremerhaven, 26. Juni 2022, 12:20 Uhr