Interview

Den ganzen Tag am Bildschirm – was macht das mit Bremens Kindern?

Zwei Schwestern sitzen an einem Tisch, eine hält ein Tablett-PC hoch, die andere ein Smartphone.
Ob fürs Home Schooling oder um die Freunde zu sehen: Während des Lockdowns sind Kinder deutlich mehr im Internet unterwegs. Bild: Imago | Westend61

Im Lockdown sind Kinder deutlich länger online. Der Bremer Medienpädagoge Markus Gerstmann sieht darin auch einen Vorteil und erklärt, wie sich Eltern verhalten sollten.

Mehr Sicherheit im Netz, darum geht es beim "Safer Internet Day", den die Europäische Kommission immer im Februar ausruft. Ein Thema, das in diesem Jahr noch einmal an Bedeutung gewinnt. Denn in Zeiten von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen steigt die Internetnutzung, verbringen wir deutlich mehr Zeit zu Hause vor dem Computer oder Tablet.

Auch Kinder und Jugendliche nutzen aktuell häufiger digitale Medien: Für viele beginnt der Tag bereits digital im Home Schooling, am Nachmittag folgen Computerspiele oder Online-Treffen mit Freunden. Analoge Freizeitmöglichkeiten gibt es wegen des Lockdowns gerade kaum.

Laut einer Studie der DAK-Krankenkasse stieg die Nutzungsdauer sozialer Medien bei Kindern und Jugendlichen bereits während des ersten Lockdowns im Frühjahr deutlich an: Und zwar um 66 Prozent, von 116 auf 193 Minuten pro Tag. Für den Bremer Medienpädagogen Markus Gerstmann ist das allerdings kein Anlass zur Sorge. Seiner Meinung nach stellen digitale Medien gerade eine wichtige Chance für Kinder und Jugendliche dar.

Herr Gerstmann, durch die Corona-Pandemie verbringen Kinder und Jugendliche deutlich mehr Zeit am Computer, Tablet und dem Handy. Viele Eltern sind besorgt. Wie schätzten Sie die Situation ein?

Ich sehe das nicht per se als Risiko. Für Kinder und Jugendliche bieten digitale Medien gerade die Chance, ihren Alltag in der Pandemie zu gestalten: Videokonferenzen für die Schulen, chatten mit Freunden, Filme schauen. Die Pubertät ist ja eine sehr wichtige Entwicklungsphase, in der sich Jugendliche von den Eltern abwenden und gleichaltrige Freundinnen und Freunde, die sogenannten Peers, auf einmal ihre wichtige Bezugsgruppe werden. Man trifft sich, probiert sich aus, handelt Regeln aus. Wenn das nicht stattfindet, fehlt etwas. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, dass sie gerade mit ihren Freunden in Chats unterwegs sind und der Austausch in der digitalen Welt stattfindet.

Gibt es denn etwas, worauf Eltern trotzdem gerade besonders achten sollten?

Wichtig ist, den Kindern und Jugendlichen eine Struktur zu geben, deutlich zu machen: Da ist das Home Schooling, da ist die Zeit mit den Freunden und dann gibt es auch die medienfreie Zeit, wo wir als Familie etwas zusammen unternehmen. Da sollten Eltern dann auch Angebote machen, die im analogen Leben stattfinden, zum Beispiel einfach mal raus in die Natur gehen. Und natürlich kann es auch helfen mit einem Wecker oder Timer zu arbeiten, um die Zeit vor dem Bildschirm zu begrenzen.

Wenn wir über digitale Medien sprechen, geht es auch um das Thema "Sicherheit im Netz". Sollten Eltern kontrollieren, was ihre Kinder im Internet von sich preisgeben, welche Inhalte sie konsumieren?

Kinder möchten meist gar nicht, dass ihre Eltern wissen, was sie dort machen. Das Internet ist für sie ja auch jugendlicher Freiraum: Früher waren das die Bushaltestellenhäuschen, wo man sich mit seinen Freunden getroffen hat, jetzt sind es die digitalen Medien. Aber natürlich ist es wichtig, dass bei den Eltern Grundkenntnisse über digitale Medien vorhanden sind und dass sie zuhören, was ihre Kinder erzählen. Meine Idee ist ja immer, dass die Eltern ihren Kindern anbieten, darüber zu sprechen und einfach mal zu fragen: Wo warst du denn gerade im Internet unterwegs? Was hast du dort gemacht? Wie war es? Als Eltern muss ich nicht immer alles verstehen, aber ich kann zeigen, dass ich interessiert bin.

Inwieweit beeinflusst die Pandemie die Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen dauerhaft? Werden sie auch nach dem Lockdown weiterhin mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen?

Für mich geht es da konkret um die Frage, ob Kinder und Jugendliche im Sommer wieder herauskommen aus den digitalen Medien und die anderen schönen Angebote des Lebens dann wieder wahrnehmen werden. Sie sollen ja auch die digitalen Medien nicht komplett hinter sich lassen. Aber die Herausforderung wird darin bestehen, wieder eine Balance zu schaffen aus analoger und digitaler Welt, das richtige Maß zu finden. Da müssen wir Erwachsene dann aufmerksam sein und den Kindern und Jugendlichen Unterstützung anbieten.

Wie genau sollte diese Unterstützung aussehen?

Neben den Angeboten, die wir ihnen in der analogen Welt machen können, gehören dazu sicherlich auch Projekte zum Thema Medienkompetenz: Wir sollten die Kinder und Jugendlichen nicht nur aufklären und maßregeln, sondern sie auch motivieren, in der digitalen Welt kreativ zu sein, zum Beispiel einen Film zu drehen, eine Slideshow für die Schule zu entwickeln, mit ihnen einen Kanal für Instagram zu planen. So entsteht mit den Kindern und Jugendlichen ein Dialog darüber, wie sie die digitalen Medien nutzen.

Sehen Sie die gestiegene digitale Mediennutzung insgesamt also eher als Vorteil für Kinder und Jugendliche?

Kinder und Jugendliche werden in ihrer Medienkompetenz gerade auf jeden Fall gestärkt. Für uns alle war das ja ein riesengroßer Schub, der da in den vergangenen Monaten stattgefunden hat. Unser Wunsch war ja immer, in einer digitalisierten Gesellschaft zu leben, in der wir nicht nur analog, sondern zusätzlich auch digital arbeiten, lernen und unsere Freizeit gestalten können. Und da haben wir gerade einen großen Schritt in Richtung digitale Gesellschaft geschafft.

Digitales Lernen: Darum läuft in Bremen vieles besser als anderswo

Bild: Radio Bremen

Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 9. Februar 2021, 19:30 Uhr

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