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Ist das Bürgergeld zu hoch? Bremer Forscher geben die Antwort

Wirkt das höhere Bürgergeld auf Arbeitnehmer demotivierend, wie Handwerkspräsident Peter Wollseifer behauptet? Bremer Forscher bezweifeln das – und haben nachgerechnet.

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch das neue Bürgergeld beschlossen. Doch von Arbeitgeberverbänden hagelt es Kritik. Sie warnen davor, dass die neue Sozialleistung Anreize verringern könnte, eine Arbeit aufzunehmen. "Am unteren Ende verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen regulärer Arbeit und dem Bürgergeld", sagt beispielsweise der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Peter Wollseifer.

Die Vereinigung der Unternehmensverbände im Land Bremen positioniert sich ähnlich. "Mit dem Bürgergeld wendet sich die Arbeitsmarktpolitik von der Existenzsicherung und dem Bedürftigkeitsprinzip ab und ebnet einem faktischen Grundeinkommen den Weg", sagt deren Hauptgeschäftsführer Cornelius Neumann-Redlin auf Nachfrage von buten un binnen. "Ein solches Grundeinkommen demotiviert all jene, die hart arbeiten und ihre Familien ohne staatliche Unterstützung durchbringen wollen, zumal sie mit ihrer Arbeit und ihren Steuern die Grundsicherung mitfinanzieren", so Neumann-Redlin.

Doch was ist dran an diesen Befürchtungen? Bremer Experten zufolge nicht viel. "Wer in Deutschland arbeitet, hat stets mehr als wenn er nicht arbeitet", sagt Peer Rosenthal, Hauptgeschäftsführer der Bremer Arbeitnehmerkammer. Daran werde auch das Bürgergeld nichts ändern. Denn dafür sorge schon der Erwerbstätigenfreibetrag, der bei Hilfsbedürftigkeit trotz Beschäftigung Aufstockungen vorsehe.

Wer anderes behauptet, wirft Nebelkerzen anstatt sich um attraktive Arbeitsbedingungen zu kümmern.

Peer Rosenthal, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer

"Es ist das alte Lied vom Lohnabstandsgebot, das da gesungen wird", sagt auch René Böhme, Forscher am Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Uni Bremen. Er empfiehlt den Kritikern einen Blick auf den derzeitigen Leistungskatalog – rund fünf Euro für Essen am Tag, rund ein Euro für Bildung im Monat. "Zu sagen, Leistungserhöhungen sind da der falsche Weg, das ist eigentlich der falsche Weg", sagt Böhme.

Mindestlohn vergrößert Lücke

Hinzu käme: Die geplante Erhöhung der Sozialhilfe liege bei rund elf Prozent, die Mindestlöhne stiegen allerdings Anfang Oktober ebenfalls auf dann zwölf Euro, was im Vergleich zu den bisherigen 10,45 Euro eine Steigerung von rund 15 Prozent sei. "Unter diesem Aspekt ist die Lücke also eher größer geworden", sagt Böhme.

Auf Grundlage der bislang bekannten Eckpunkte zum nun vom Bundeskabinett beschlossenen Bürgergeld werde zudem deutlich, dass der Lohnabstand weiterhin gegeben sei (siehe Grafik).

Abstand zwischen Arbeitseinkommen und Regelsätzen

Abstand zwischen Arbeitseinkommen und Regelsätzen (geschätzt) Mindestlohn ca. 1.660€ 2.798€ ca. 700€ Vollzeit (netto), 40 Std./Woche* Teilzeit (netto), 20 Std./Woche* 2 x 219€ Kindergeld Summe: ca. 2.500€ 4.038€ ca. 1100€ Vollzeit* (netto), 40 Std./Woche* Teilzeit (netto), 20 Std./Woche* 2 x 219€ Kindergeld Summe: ca. 1.568€ 2.476€ ca. 758€ Regelsatz Miete*² ca. 150€ Nebenkosten (ohne Strom) Summe: ca. 1.404€ 2.312€ ca. 758€ Regelsatz Miete*² ca. 150€ Nebenkosten (ohne Strom) Summe: Arbeitslosengeld II Bürgergeld*³ Durchschnittseinkommen Bremer Familie 2 Erwerbstätige,2 Kinder (5 Jahre, 10 Jahre)
*¹=Median der Erwerbstätigeneinkommen im Land Bremen (2019), *²=angemessene Kosten der Unterkunft im Land Bremen (2021), *³=voraussichtliche Regelsätze ab 2023 (Quelle: Bundesarbeitsministerium), *⁴= Steuerklasse 3, keine Kirchensteuer, *⁵= Steuerklasse 5, keine Kirchensteuer

Denn den vorläufigen Berechnungen des IAW-Forschers für eine typische Bremer Familie zufolge blieben die Abstände durchaus gewahrt. So ergibt sich derzeit für eine Bremer Familie mit zwei Kindern, einem vollerwerbstätigen sowie einem teilerwerbstätigen Elternteil, die jeweils Mindestlohn erhalten, eine Lücke zu einer auf Sozialhilfe angewiesenen Familie von derzeit rund 486 Euro. Mit dem neuen Bürgergeld wären es demnach geschätzt noch immer rund 322 Euro.

Die Berechnung gehe zwar nicht auf Variablen wie Steuerfreibetrag, Steuertarif, Sozialversicherungsbeiträge, neue Wohngeld- und Kinderzuschlagsregelung ein. "Die Änderungen dieser Rahmenbedingungen würde jedoch tendenziell eher dazu führen, dass der Abstand noch weiter steigt", sagt Böhme.

Wer in Bremen vom steigenden Mindestlohn profitiert

Bild: Radio Bremen
  • "Ein Zeichen des Respekts": Arbeitsexperte zum steigenden Mindestlohn

    Bernd Rützel, Vorsitzender im Ausschuss Arbeit und Soziales im Bundestag, spricht im Studio über die Auswirkungen des steigenden Mindestlohns ab Oktober.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 14. September 2022, 13 Uhr