Krank nach Corona-Impfung? Betroffene und Bremer Ärzte berichten

Nahaufnahme von zwei Händen, die eine Spritze mit dem Impfstoff Novavax aufziehen
Die Corona-Impfung gilt als ziemlich sicher. In einigen wenigen Fällen kommt es dennoch zu schweren Nebenwirkungen. Bild: dpa | Matthias Balk

Corona-Impfungen können krank machen. Das passiert zwar selten. Betroffenen aus Bremen und umzu aber nützt diese Erkenntnis nichts. Sie fühlen sich im Stich gelassen.

Janine Schiller kann nicht mehr gut schlucken, wie sie erzählt. Sie fühle sich schwach in den Armen und in den Beinen. Immer wieder vibrierten ihre Muskeln, ihre Kraft reiche nicht einmal mehr, um der Tochter die Haare zu föhnen, sagt die 37-Jährige, die in der Nähe von Oldenburg lebt. Bereits seit September hat die Unternehmerin nicht mehr gearbeitet: "Ich kann nicht mehr", sagt sie.

Angefangen habe alles im Mai vorigen Jahres – mit der ersten Corona-Impfung: "Mir war drei Tage lang schwindelig, ich war richtig benommen", blickt Schiller zurück. Anschließend habe sie eine lang anhaltende Rachenentzündung bekommen, außerdem Durchfall. Da sie aber trotz dieser Nebenwirkungen von der Notwendigkeit der Corona-Impfung überzeugt gewesen sei, habe sie sich im Juni die zweite Impfung verabreichen lassen.

Seitdem sei es für sie nur noch bergab gegangen. Erst hätten sich wieder Gefühle der Benommenheit eingestellt. Dann habe sie unvermittelte Adrenalinschübe verspürt, vergleichbar mit Panikattacken, allerdings durchgehend, 24 Stunden lang. Mitte Oktober habe sich ein unangenehmes Engegefühl im Hals eingestellt und damit einhergehend die Schluckbeschwerden, unter denen sie weiterhin leide. Muskelzuckungen seien hinzugekommen. "Sogar meine Zunge hat angefangen zu zucken", sagt Schiller.

"Schwerwiegende Impfstoffnebenwirkung"

Porträt von Janine Schiller
So, wie auf diesem Bild, lächelt Janine Schiller heute kaum noch. Sie ist schwer erkrankt, führt ihre Leidensgeschichte auf Corona-Impfungen zurück. Bild: Janine Schiller

Ein Allgemeinmediziner bescheinigt ihr in einem Attest vom 6. Dezember, das buten un binnen vorliegt, eine "schwerwiegende Impfstoffnebenwirkung". Darüber hinaus aber, so Schiller, habe ihr kein Arzt ernsthaft geholfen, obwohl sie einige aufgesucht habe. "Sobald Sie sagen: Ich habe Beschwerden durch eine Corona-Impfung bekommen, werden Sie von den meisten Ärzten abgeschrieben", sagt die Kauffrau. Man werde dann in die Psycho-Ecke geschoben. "Auch mir ist der Gang zum Psychologen nahegelegt worden", so Schiller.

Dass viele Ärztinnen und Ärzte abwehrend reagierten, wenn man schwerwiegende gesundheitliche Beschwerden auf Corona-Impfungen zurückführt, glaubt auch Julia S. (Name von der Redaktion geändert) aus Osterholz-Scharmbeck. Auch sie hat nach ihrer zweiten Impfung monatelang unter schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen wie Muskelzuckungen, Kopfschmerzen und Schwächegefühlen gelitten.

Anders als im Fall von Schiller habe bei ihr jedoch kein Arzt die aus ihrer Sicht offenkundigen Impfnebenwirkungen als solche diagnostiziert. Julia S. glaubt: "Die öffentliche Debatte ums Impfen verhindert, dass Ärzte bereit sind, diese Diagnose zu stellen." Diesen Eindruck habe keinesfalls allein sie gewonnen. Vielmehr hätten viele Betroffene, mit denen sie vernetzt sei, ähnliche Erfahrungen gemacht.

"Jeder hat seine eigene Wahrnehmung"

Der Vorsitzender des Bremer Hausärzteverbands Hans-Michael Mühlenfeld im buten un binnen Studio.
Verteidigt die Ärzteschaft gegen pauschale Anwürfe: Hans-Michael Mühlenfeld. Bild: Radio Bremen

Hans-Michael Mühlenfeld, Vorstandsvorsitzender des Hausärzteverbands Bremen, glaubt dagegen nicht, dass die Ärzteschaft als solche Hemmungen habe, die Gesundheitsämter über schwerwiegende Impfnebenwirkungen zu unterrichten. Im Gegenteil: "Je bedeutsamer die Nebenwirkungen, desto wahrscheinlicher, dass die Ärzte sie melden", ist Mühlenfeld überzeugt.

Allerdings sei bei Beschwerden eines Patienten, die nach einer Impfung auftreten, längst nicht immer gesagt, dass diese Beschwerden tatsächlich von der Impfung verursacht worden sind – auch dann nicht, wenn der Patient fest daran glaube. "Jeder hat seine eigene Wahrnehmung", so Mühlenfeld. Wenn ein Patient über Beschwerden noch ungeklärter Ursache klage, versuchten Allgemeinmediziner klassischer Weise, mithilfe des Ausschlussverfahrens die Ursache aufzuspüren. Bei Zweifeln überwiesen sie den Patienten an einen Spezialisten, wenn nötig auch an mehrere Spezialisten.

Zu dem unterschwelligen Vorwurf in diesem Zusammenhang, dass sich fast alle Ärzte, egal ob Generalisten oder Spezialisten, aus Sorge um ihren guten Ruf schwer damit täten, Corona-Impfnebenwirkungen als solche zu benennen, sagt Mühlenfeld, dass er derartige pauschale Anwürfe problematisch finde.

Ich kann Pech haben und auf einen wenig verständnisvollen Arzt treffen. Aber spätestens beim dritten sollte ich mich fragen, ob es auch an mir liegen kann.

Hausarzt Hans-Michael Mühlenfeld

Dass davon unberührt nach allen Impfungen, leider auch nach Corona-Impfungen schwere Nebenwirkungen auftreten könnten, sei gleichwohl nicht wegzudiskutieren, so Mühlenfeld. Nur komme das glücklicherweise sehr selten vor. Er verweist auf den kürzlich veröffentlichten Sicherheitsberichts des Paul-Ehrlich-Insituts (PEI).

Dieser Bericht fußt nach Angaben des PEI auf Meldungen der Ärztinnen und Ärzte an die Gesundheitsämter, zum Teil aber auch auf Fälle, die die Arzneimittelkommission, Apotheker und Betroffene dem Paul-Ehrlich-Institut direkt gemeldet haben. Hiernach ist es in Deutschland seit Ende Dezember 2020 bis Ende März des laufenden Jahres bei insgesamt über 172 Millionen Corona-Impfungen in 0,02 Prozent der Fälle zu schwerwiegenden Impfnebenwirkungen gekommen, also nach jeder 5.000 Impfung.

PEI-Bericht in der Kritik

Unumstritten ist der Bericht des PEI allerdings nicht. So hat Harald Matthes vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité in Berlin kürzlich im Mitteldeutschen Rundfunk davon gesprochen, dass es nicht nur in 0,02 Prozent aller Corona-Impfungen zu schwerwiegenden Nebenwirkungen komme, sondern in 0,8 Prozent der Fälle, also 40-mal so oft. Er stützte sich dabei auf eine eigene, unveröffentlichte Studie mit dem Titel "Sicherheitsprofil von Covid-19-Impfstoffen".

Auch der Bremer Pharmakologe Bernd Mühlbauer glaubt, dass es ein deutliches "Underreporting" von Nebenwirkungen nach Corona-Impfungen in Deutschland gibt. Dass es aber, wie von Matthes behauptet, 40-mal so oft zu schweren Nebenwirkungen nach den Impfungen komme wie vom PEI angegeben, hält Mühlbauer für eine "unhaltbare Aussage". Matthes’ Studie sei nicht repräsentativ, sie fuße auf unsystematisch erhobenen Daten aufgrund von Online-Fragebögen. Auch gebe es in Matthes’ Untersuchung keine Kontrollgruppe, kritisiert der Pharmakologe.

Schwere Nebenwirkungen bei 8 von 10.000 Impflingen?

Pharmakologe Bernd Mühlbauer des Klinikums Bremen Mitte im buten un binnen Studio.
Schätzt, dass es viermal so oft zu schweren Nebenwirkungen durch Corona-Impfungen kommt wie im Sicherheitsbericht des PEI angegeben: Bernd Mühlbauer. Bild: Radio Bremen

Für realistisch hält Mühlbauer allerdings, dass es ungefähr in 0,08 Prozent aller Fälle zu schweren Nebenwirkungen aufgrund einer Corona-Impfung kommt, also etwa viermal so oft wie im Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Insituts angegeben. Mühlbauer stützt seine These unter anderem auf Daten des schwedischen Impfregisters, legt aber zugleich Wert auf die Feststellung, dass es sich um eine Schätzung handele. Außerdem stellt er fest: "0,08 Prozent sind nicht viel."

Für drei Corona-Impfungen, um den vollen Impfschutz zu erlangen, sollte möglichst jeder das Risiko eingehen, findet der Wissenschaftler: "Man braucht für den Schutz vor fast allen Infektionskrankheiten drei Impfungen. Ich habe mich daher sehr gewundert, dass man noch vor Kurzem bereits nach zwei Corona-Impfungen von einem vollen Impfschutz gesprochen hat", fügt Mühlbauer erklärend hinzu.

"Nebenwirkungsrisiko immanent vorhanden"

So entschieden sich der Pharmakologe für drei Corona-Impfungen ausspricht, so deutlich sagt er aber auch: "Der Bremer Weg, vier Corona-Impfungen für alle ab 18, ist Quatsch." Nur Risikogruppen sollten eine vierte Impfung in Erwägung ziehen. Für alle anderen gelte: "Man ist nach allem, was wir über Omikron wissen, durch drei Impfungen sehr gut vor schweren Verläufen geschützt. Daher ist die vierte Impfung nicht nötig."

Denn so gering das Nebenwirkungsrisiko auch sei, so sei es doch, wie bei jeder medizinischen Maßnahme, immanent vorhanden. "Daher ergreife ich als Arzt nur Maßnahmen, von denen ich überzeugt bin, dass es dem Menschen auch tatsächlich nützt", so Mühlbauer.

Impfgeschädigte fordern Ambulanzen

Für Julia S. und Janine Schiller kommt derzeit indes auch eine dritte Corona-Impfung nicht in Betracht. Zudem finden sie die Frage, ob fast jeder Hundertste oder nur fast jeder Tausendste von schweren Impfnebenwirkungen betroffen ist, zweitrangig. Viel wichtiger aus ihrer Sicht ist, dass Politik und Gesellschaft das Phänomen der Impfnebenwirkungen überhaupt erst einmal anerkennen statt die Betroffenen als Impfgegner, Querdenker oder psychisch Gestörte abzustempeln.

Ich bin nicht verrückt, sondern schwer krank.

Janine Schiller, Impfgeschädigte

Sie hoffen, dass es möglichst bald Anlaufstellen wie etwa Ambulanzen für Impfgeschädigte geben wird, am besten solche, in denen sich Medizinerinnen und Mediziner unterschiedlicher Disziplinen engagieren. "Große Hoffnungen mache ich mir diesbezüglich allerdings nicht", sagt Schiller dazu. Sie fühle sich mit ihren Impfschäden alleingelassen.

Warum die Situation in Bremer Kliniken weiterhin angespannt ist

Bild: Gesundheit Nord gGmbH | Kerstin Hase
  • Lange Wartezeit für Long-Covid-Patienten in Bremen

    Bei der Ambulanz der Berufsgenossenschaften in Bremen gibt es eine Sprechstunde für Long-Covid: Sie dauert fast einen ganzen Tag. Die Nachfrage danach nimmt ständig zu.

Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. Juni 2022, 19:30 Uhr