So bangt ein Bremerhavener Laden nach einer Abmahnung um seine Zukunft

Eine junge Frau steht zwischen Lebensmittel-Regalen am Tresen eines Geschäfts.
Bild: Radio Bremen

Ein Abmahnung samt Strafe brachte einen kleinen Bremerhavener Unverpackt-Laden in Existenznot. Die Betreiberinnen hatten Produkte nicht korrekt deklariert.

Erst Corona, dann Inflation: Kleine Einzelhändler haben es derzeit nicht leicht. Da kann eine empfindliche Geldstrafe durchaus existenzbedrohend sein. So geschehen in Bremerhaven: Anfang Dezember bekommen die beiden Besitzerinnen eines Bremerhavener Unverpackt-Ladens Post. Sie sollen 3.000 Euro Strafe zahlen, weil einige Produkte in ihrem Online-Shop nicht ausreichend gekennzeichnet seien. Solche Abmahnungen werden zuhauf verschickt. Ist das eine Masche oder tatsächlich rechtens?

Annemarie Bink und Fiona Brinker stehen in ihrem Unverpackt-Laden "Glückswinkel" in Bremerhaven.
Annemarie Bink und Fiona Brinker 2019 bei der Eröffnung ihres Unverpackt-Ladens Glückswinkel in Bremerhaven. Bild: Radio Bremen | Sonja Klanke

Annemarie Bink füllt Linsen in ein Glas. In der Mitte vom Laden stehen Gläser mit Süßigkeiten. Seifenstücke stapeln sich In den Holzregalen. Seit vier Jahren betreiben Bink und Fiona Brinker den Unverpackt-Laden Glückswinkel in der Alten Bürger in Bremerhaven. Wie viele andere setzen beide in der Corona-Krise einen Online-Shop auf. Das wird ihnen zum Verhängnis. Anfang Dezember ist dann die folgenschwere Post eingetrudelt.

Das war schon ein Schlag in die Magengegend.

Annemarie Bink, Mitinhaberin Glückswinkel

Die Inhaberinnen sollen eine vierstellige Strafe zahlen. Einige Produkte in ihrem Online-Shop sind nicht ausreichend deklariert. Was im Laden auf den Gläsern draufsteht, fehlt online als Beschreibung – zum Beispiel Nährwerte oder bei Gewürzgurken die Adresse des Abfüllers. "Die Produkte, um die es da geht, hatten wir teilweise nicht einmal im Online-Shop verkauft", sagt Brinker.

Verstoß gegen Unterlassungserklärung

Eine junge Frau mit roter Mütze steht vor Lebensmittel-Regalen.
Bekam eine Abmahnung für ihren Online-Shop: Fiona Brinker. Bild: Radio Bremen

Absender des Briefs ist der Verband Sozialer Wettbewerb e.V.. Von ihm haben die Bremerhavenerinnen bereits im August Post bekommen. Damals ging es um einen Fruchtaufstrich bei dem die Nährwertangaben fehlten. Jetzt kommt die Strafe und dazu noch eine Unterlassungserklärung. 

Dann haben wir alle Aufstriche und vergleichbaren Produkte offline gestellt, haben die Stück für Stück aufgearbeitet. Wir haben das aber nicht auf den kompletten Lebensmittelbereich übertragen, also nicht diesen großen zeitlichen Druck gesehen.

Fiona Brinker, Mitinhaberin Glückswinkel

Nun die Strafe: 3.000 Euro, weil die Ladenbesitzerinnen – wegen zum Beispiel fehlender Abfülleradresse – laut Schreiben gegen die Unterlassungserklärung verstoßen haben.

Das ist so ein bisschen das Absurde, dass es so eine kleine Angabe ist. Wir haben ja nicht gesagt, es ist ein Biolebensmittel und dabei ist es kein Bio. Sowas was wir als Verbrauchertäuschung sehen. Aber es fehlten ja Angaben, die man hätte erfragen können.

Fiona Brinker, Mitinhaberin Glückswinkel

Der Verband Sozialer Wettbewerb mit Sitz in Berlin ist einer der größten Wettbewerbsverbände Deutschlands und auch als Wirtschaftsverband beim Bundesamt für Justiz eingetragen. Nach eigenen Angaben ist der Satzungszweck unlauteren Wettbewerb und Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen, Gewerbetreibende durch Aufklärung und Beratung mit dem Wettbewerbsrecht vertraut zu machen und auf dessen Einhaltung hinzuwirken.

Verein ist Anwalt gut bekannt

Ein Mann mit Krawatte sitzt vor einem Akten-Regal.
Ist als Anwalt mit der Methode vertraut: Stephan Schenk. Bild: Radio Bremen

Stephan Schenk ist Rechtsanwalt für gewerblichen Rechtsschutz in Bremen und kennt den Verein gut. "Das sind mehrere Hundert, teilweise Tausend Abmahnungen, die da im Jahr ausgesprochen werden", sagt Schenk. "Und betroffen sind meist kleinere Händler, die oft gar nicht wissen, wie ihnen geschieht." Was haarsträubend wirkt, ist legal – der Verband steht auf der Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände des Bundesamts für Justiz. Er ist also von höchster Stelle legitimiert diese Verstöße auszusprechen und hat das im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben 1.370 Mal getan. Oft läuft das Vorgehen nach einem festen Muster ab.

Sie suchen verschiedene Verstöße raus – in diesem Fall im Bereich Lebensmittel. Sie schauen, ob die Lebensmittelkennzeichnung eingehalten werden. Dann dokumentieren sie das, also machen eine Beweissicherung um den Verstoß später vor Gericht beweisen zu können. Dann wird eine außergerichtliche Abmahnung ausgesprochen. Und der Betroffene muss eine Unterlassungserklärung abgeben und einen Betrag von meist wenigen hundert Euro zahlen. Wenn er das nicht macht, wird eine Klage bei Gericht eingereicht.

Stephan Schenk, Rechtsanwalt

Ob 3.000 Euro Strafe wegen einiger fehlender Angaben verhältnismäßig seien, darüber lässt sich streiten, sagt der Experte für Wettbewerbsrecht. "Es sind Verbraucherschutz-Vorschriften, da kann ich nicht von Unsinn sprechen", so Schenk. "Ob es wirklich dieses Gewicht hat, ob wir nicht im Bagatellbereich sind, darüber kann man diskutieren."

Auf den Schock folgt der Spendenaufruf

Eine junge Frau steht in einem Geschäft mit Lebensmittel-Regalen.
Erfuhr große Hilfe von Unterstützern: der Glückswinkel in Bremerhaven. Bild: Radio Bremen

Von ihrem ersten Schock haben sich die Inhaberinnen vom Glückswinkel in Bremerhaven mittlerweile erholt. Außerdem starteten sie einen Spendenaufruf, um die Straf- und Anwaltskosten zahlen zu können. Über 3.000 Euro sind so schon zusammengekommen. Bink und Brinker sind überwältigt und dankbar. Noch wissen sie allerdings nicht, was an weiteren Kosten auf sie zukommen könnte.

Grundsätzlich sind wir aus dem Tief herausgekommen, weil wir eben so eine wahnsinnige Welle an Unterstützung und Mitgefühle für die Situation bekommen haben.

Fiona Brinker, Mitinhaberin Glückswinkel

Ihren Online-Shop wollen die beiden trotzdem nochmal komplett auf den Kopf stellen, damit in Zukunft nur noch Kundinnen und Kunden kommen – und keine Abmahnungen.

So geht es der Bremer Bio-Branche in der Krise

Bild: Radio Bremen

Mehr zum Thema:

  • So arbeiten Bremer Patentanwälte zum Schutz geistigen Eigentums

    Die Patentanwälte von "Eisenführ Speiser" schützen geistiges Eigentum, international und für namenhafte Kunden. Begonnen hat die Bremer Erfolgsgeschichte 1967.

  • Fair oder nicht – Erkennen Menschen in Bremen nachhaltige Produkte?

    Immer mehr Unternehmen werben mit nachhaltigen Produkten. Doch nicht immer sind die grünen Versprechungen auch wirklich grün. Was hilft Verbrauchern weiter?

Autorinnen und Autoren

  • Mirjam Benecke
    Mirjam Benecke Volontärin
  • Niko Schleicher
    Niko Schleicher

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 15. Dezember 2022, 17:20 Uhr