So will dieser Bremer Verein einer jordanischen Kleinstadt helfen
In der jordanischen Stadt al-Azraq fehlen eine Kläranlage und eine Kanalisation. Bei der Kläranlage will der Bremer Verein Borda jetzt Abhilfe schaffen.
Mohammed Alqaissi steht auf dem Gipfel des Hügels und schaut auf den Horizont. Neben ihm schimmert der Lack eines schwarzen Jeeps unter der blendenden Sonne, vor ihm erstreckt sich die Steinwüste, eine scheinbar unendliche Weite von schwarzen Basaltsteinen auf gelbem Sand. Kies und Geröll, soweit das Auge reicht, unterbrochen nur durch zwei kleine Wimpel, die gute 100 Meter weiter im Boden feststecken und im Wind wehen. "Das sind die Grenzen", sagt er.

Hier, auf dem kargen Grund in Ostjordanien, soll bald Azraqs erste Kläranlage entstehen – mit Hilfe aus Bremen. "Gerade führen wir eine technische Evaluation des Gebiets durch: Landmessungen, geotechnische Analysen, hydrologische Studien", erläutert Ingenieur und Programmmanager Alqaissi. "Zwischen 2023 und 2024 soll das Projekt abgeschlossen sein."
Ein kühler Wind von West raschelt, sonst wabert hier nur die Stille. An diesem Ort plant der Bremer Verein Borda ein "dezentralisiertes, naturbasiertes Klärwerk". Hauptsächlich Schilf, Kies, Sand und Chlorierung sollen das Abwasser reinigen. Sogenannte Pflanzenkläranlagen sind seit Jahrzehnten weltweit in Betrieb und gehen auf eine Idee der deutschen Botanikerin Käthe Seidel zurück; sie sind mit Pflanzen bewachsen, nicht selten mit Schilfgürteln.
Löcher oder Faultanks fürs Abwasser benutzt

Denn in al-Azraq fehlen momentan eine Kläranlage und ein Abwassernetz. Die Einwohner sammeln ihr Schmutzwasser in Klärgruben unter den Häusern; Klärgruben, die oft nicht abgedichtet sind. Sind sie voll, müssen sie durch Lastkraftwagen abgepumpt werden. Die abgesaugte Flüssigkeit wird dann in einer nicht zugelassenen Deponie wenige Kilometer außerhalb der Stadt entsorgt. Eine Praxis, die illegal ist, wie al-Azraqs Bürgermeister Ali Jamaeen bestätigt. "Wir haben städtische Entschlammungswagen. Sie fahren zu den Menschen nach Hause und steuern dann die nicht zugelassene Deponie an. Wir graben dort Löcher im Boden, aber es ist nicht genug."
Die Kippstelle liegt nicht sehr weit entfernt von der Schnellstraße, die nach Nordazraq führt; Lastkraftwagen rattern gelegentlich im Hintergrund. Halbverbrannte Mülltüten und leere Plastikflaschen türmen sich auf Sand und Schotter auf, ein weißer Rauch steigt aus den Abfallbergen auf, während ein vermummter Mann durch den weißen Nebel auf dem wüsten Gelände wandert. Der Wind verhindert, dass man den Rauch und den Abfall riecht.

Die nächste Kläranlage ist gut 120 Kilometer entfernt, für die Anwohner und Anwohnerinnen von al-Azraq sind die Abfuhrkosten zu hoch, erläutert Bürgermeister Jamaeen, der gerade an einem massiven Holzschreibtisch in seinem Büro sitzt, umgeben von jordanischen Flaggen verschiedener Größen, und einen Anruf nach dem anderen bekommt. "Das Abwasser zu der Kläranlage zu transportieren ist zu teuer, vor allem für die Menschen, die in diesem Gebiet leben, das zu den Armutsinseln Jordaniens zählt."
Abwasser bedroht Wasserreservoir
Al-Azraq war im vergangenen Jahrhundert eine florierende Oase in der Wüste, mitten auf den Handelsrouten zwischen Syrien und Saudi-Arabien. Karawanen durchzogen das Feuchtgebiet, Scharen an Zugvögeln den Himmel darüber. Denn unter seinem Boden versteckt sich eines der wichtigsten Wasserreservoirs Jordaniens. Doch das übermäßige Abpumpen der vergangenen Jahrzehnte hat ihm zugesetzt: Mehr als doppelt so viel Wasser soll durch legale Anlagen und illegale Brunnen gewonnen worden sein, als es für das Überleben des Grundwasservorrats sicher wäre.
Die Oase trocknet aus, die Karawanen sind schon längst verschwunden – und das Untergrundwasser, das ein Viertel des Trinkwassers Ammans liefert, droht durch sickerndes Abwasser verseucht zu werden. Deshalb sagt Jamaeen, er sei sofort vom Projekt über die Kläranlage überzeugt gewesen. "Es ist sehr wichtig für die Region von Azraq." Damit, fügt Alqaissi hinzu, wolle man "verhindern, dass das Reservoir kontaminiert wird, die Umwelt retten und die Bevölkerung vor Gesundheitsrisiken schützen, die durch das Abwasser entstehen können".
Das gereinigte Wasser soll dann zum Teil in der Landwirtschaft wiederverwertet werden – einem Bereich, der viel Wasser benötigt. Eine Win-Win-Situation, sagen die Verfechter. Und doch: Das Projekt stockte jahrelang. Das lag zum Teil an Kontroversen über den Ort, an dem die Anlage entstehen sollte. Ein Teil der lokalen Gemeinschaft lehnte die erste Auswahl ab, sie sei zu nah an den Häusern gewesen, erzählt Alqaissi. Und auch das Ministerium für lokale Verwaltung habe Einwände gehabt, da der Ort offenbar für andere Zwecke vorgesehen wurde.
Manche Anwohner haben Bedenken
Aber auch die Menschen, die davon profitieren sollten, hatten Sorgen: Insekten, unangenehme Gerüche, eine Abnahme des Landwertes. Menschen wie Jafar Al-Aqili, der ein Haus in al-Azraq besitzt: einen eleganten Bau aus sandfarbenem Kalkstein, mit schwarzen, kunstvoll verzierten Türen. „Ich möchte, dass es so bleibt", sagt der junge Mann mit langem Bart und ernstem Blick, und deutet auf den schwarzen Tisch vor dem Haus, an dem seine Gäste gerade Kaffee mit Kardamom trinken und süßen Grießkuchen essen. "Dass wir weiterhin hier so sitzen können."
Al-Aqili sieht zwar die Umweltvorteile der Anlage, hat aber Bedenken. "Es geht um den Geruch. Wir haben einige Beispiele in Amman und Zarqa. An beiden Orten kann man den Geruch der Kläranlagen von Weitem riechen." Und doch weiß er auch, dass die illegalen Entsorgungsmethoden und die Klärgruben unter den Häusern das Grundwasser gefährden. Denn oft sind die Faultanks nicht versiegelt.
Der junge Mann in Jeans und Lederjacke führt auf einen kleinen Hof hinter dem Haus und zeigt auf eine Steinplatte, die halb versteckt unter Mauersteinen und Gestrüpp liegt. Ein leichter Klogestank steigt aus einer verschlossenen Falltür auf. "Die eine Grube, die ich hier habe, ist nur an den Seiten abgedichtet, aber nicht unten. Wir können sie nicht komplett verschließen. Wenn, dann müssten wir viele Klärgruben graben."
Borda: Verschiedene Maßnahmen sollen Gestank vorbeugen

Für Borda-Ingenieur Alqaissi sind die Sorgen Al-Aqilis zwar verständlich, aber unbegründet. Denn "das Schilf, die Windrichtung, das aerobe Reinigungsverfahren", weitere Komponenten und Maßnahmen sollen verhindern, dass sich unerwünschte Gerüche bilden. Zudem sei die ausgewählte Lage 23 Kilometer vom Wohngebiet entfernt.
Der Bremer Verein und das jordanische Wasserministerium haben kürzlich eine Absichtserklärung für die Anlage unterzeichnet. 4,6 Millionen Euro sind veranschlagt. Die Finanzierung soll von der schweizerischen Entwicklungsagentur stammen.
Die Kläranlage ist jedoch nur ein erster Schritt bei der Lösung von al-Azraqs Abwasserproblemen – wenngleich ein großer. "Das Projekt wird die Hälfte der Probleme lösen, aber eine Kanalisation wird trotzdem gebraucht", sagt Omar Shoshan, Vorsitzender der Umweltorganisation Jordan Environmental Union. Die größte Hürde sei dabei die Finanzierung.
Noch gut ein Drittel der Bevölkerung hat keinen Zugang zur Kanalisation
In Jordanien sind nach Daten des Wasserministeriums etwa 37 Prozent der Bevölkerung noch nicht an das Kanalisationsnetz angeschlossen. In dem Elf-Millionen-Einwohner-Land gibt es 33 Kläranlagen. Die größten Herausforderungen seien dabei die breit gestreuten Wohngebiete und die hohen Kosten, sagt der Sprecher, Omar Salameh.
Für Umweltprofessorin Muna Hindiyeh wäre ebenso wichtig, dass man die Fachkräfteausbildung verstärkt. "Wir haben einige Probleme mit der Störungsbehebung im Betrieb von Kläranlagen. Ich glaube, dass man vor allem daran arbeiten sollte. Genauso wie an der akademischen Ausbildung: Es ist sehr wichtig, dass solche Themen Teil der Curricula werden", sagt sie.
Professorin: große Fortschritte, aber Lage kann besser werden
Zwar habe es große Fortschritte in den vergangenen Jahren gegeben: Krankheiten, die durch das Abwasser entstehen, seien praktisch verschwunden. "Das ist exzellent", sagt sie. "Aber wir wollen die Lage noch verbessern." Denn für die Menschen, die noch nicht angeschlossen sind, sind die Nachteile nicht irrelevant. Die Faulgruben regelmäßig zu entleeren, sei teuer und unhygienisch.
Jafar Al-Aqili kostet der Weg zum jetzigen Kippengelände in al-Azraq um die 13 Euro. Je nach Anbieter fallen die Preise noch höher aus. Die Fahrt zu der zugelassenen Kläranlage ist vier- bis sechsmal so teuer, schätzt Borda. Viel Geld in einem Land, in dem der Mindestlohn 335 Euro beträgt. Doch zumindest dieses Problem könnte bald der Vergangenheit angehören.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 22. März 2022, 10:30 Uhr