Interview
Wie sich Bremen auf lange Sicht selbst mit Energie versorgen könnte

Bremen hängt am Gashahn Russlands. Die Energieversorgung umzustellen, ist eine Mammutaufgabe. Doch jeder kann etwas tun. Der Bremer Forscher Arnim von Gleich erklärt, wie.
Russland könnte Deutschland im Zuge des Kriegs den Gashahn abdrehen. Umgekehrt könnte sich Deutschland entschließen, kein russisches Gas mehr zu kaufen, um Putin auf diese Weise in die Knie zu zwingen. Immer wieder werden diese Szenarien dieser Tage bei uns durchgespielt. Auch Bremen bezieht russisches Gas. Der Bremer Nachhaltigkeitsforscher Arnim von Gleich skizziert vor diesem Hintergrund Möglichkeiten, wie Bremen auf lange Sicht allzu große Abhängigkeiten bei der Energieversorung vermeiden könnte.
Herr von Gleich, wegen der starken Abhängigkeit Deutschlands von Öl- und Gaslieferungen aus Russland möchte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck notfalls deutsche Kohlekraftwerke länger als geplant am Netz halten. Ist das wirklich nötig, oder sehen Sie dazu Alternativen?
Man muss bei der regenerativen Energie mit der sogenannten Dunkelflaute rechnen. Dunkelflaute heißt: Die Sonne scheint nicht, und der Wind weht nicht. In so einem Fall bleibt von den regenerativen Energien nur noch die Wasserkraft, deren Anteil bei der Energiegewinnung aber sehr klein ist.
Daher kommt es darauf an, für die Dunkelflaute eine Reserve aufzubauen. Und dazu hat man bislang mit Gaskraftwerken geplant. Wenn wir uns jetzt die Gaskraftwerke wegdenken müssten, dann hätten wir ein Problem. Dann müssten wir vielleicht wirklich auf Kohlekraftwerke zurückgreifen. Kohle ist vielfältig verfügbar und gut speicherbar. Trotzdem würde ich erst versuchen, woanders statt aus Russland Gas zu bekommen, bevor ich auf Kohlekraftwerke zurückgreife.
Wie autark ist Bremen bei seiner Energieversorgung?
Überhaupt nicht autark. Bremen ist ein Zwei-Städte-Staat. Wir haben hier nur ein paar Windkraftwerke und Photovoltaikanlagen. Das gesamte Mineralöl, das gesamte Gas und auch ein großer Teil der Elektrizität kommen von außen.

Kommt Bremens Gas aus Russland?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit. Wir haben ja gerade umgestellt: von Niedrigenergie-Gas auf Hochenergie-Gas. Das Niedrigenergie-Gas, das wir in Bremen hatten, war zum Teil holländisches Gas mit niedrigem Energiegehalt. Dass wir kürzlich auf Hochenergie-Gas umgestellt haben, ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass wir hauptsächlich russisches Gas beziehen.
Was könnte Bremen tun, um sich zumindest teilweise von seinen Abhängigkeiten bei der Energie zu befreien?
Darüber haben wir in einem Projekt über resiliente Energiesysteme an der Universität nachgedacht und auch ein paar Ideen dazu entwickelt. Im Strombereich gibt's aktuell eine Diskussion über zellulare Systeme. Aktuell dezentralisiert man ohnehin das Stromsystem. Statt von wenigen zentralen Kraftwerken die Energie in die gesamte Bundesrepublik zu schicken, wird immer mehr von unzähligen Windkraft- und Photovoltaikanlagen dezentral eingespeist. Im nächsten Schritt könnte man nun Zellen bilden, die zum übrigen System Schnittstellen haben, aber die man auch abkoppeln könnte.
Selbst wenn das Stromsystem in der Bundesrepublik zusammengebrochen wäre, könnte in Bremen – zumindest für befristete Zeit – noch ein Stromkreis existieren, den man dann möglicherweise auf kritische Infrastruktur konzentrieren könnte. Denn wir müssten im Notfall mindestens die Wasserversorgung, die Kommunikationsnetze, die Feuerwehr und die Krankenhäuser mit Strom versorgen.
So etwas ist denkbar. Aber es setzt voraus, dass man in der Region oder in der Zelle genügend Strom produzieren kann. Das heißt: Man braucht eine große Menge an Windkraftanlagen, eine große Menge an Photovoltaik-Anlagen – und Stromspeicher. Das ist ein schwieriges Thema, denn diese Speicher sind zumindest derzeit richtig teuer. Aber: Wenn wir das alles aufbauen würden, dann könnten wir, wenn auch keine Autarkie, so doch einen gewissen Grad an Autonomie zumindest bei der Stromversorgung erreichen.
Was für ein zeitlicher Vorlauf wäre dafür vonnöten?
Zehn bis 15 Jahre mindestens! Das dauert. Aber man muss es angehen. Aus verschiedenen Gründen, nicht nur wegen Russland und den Gaslieferungen. Auch das Herunterfahren des Gasverbrauchs im Heizungsbereich wäre schließlich mit einer Zunahme des Stromverbrauchs durch Wärmepumpen verbunden.

Wo sehen Sie das größte Potenzial für ein solches Autonomie-Modell: in der Solar- oder eher in der Windenergie?
In der Lehrveranstaltung habe ich gesagt: Bis eine Energieumwandlungs- und Erzeugungsanlage mehr Energie produziert, als zu ihrer Herstellung erforderlich ist, dauert es bei einer Windkraftanlage fünf Monate und bei einer Photovoltaik-Anlage fünf Jahre. Das hat sich inzwischen deutlich verändert! Photovoltaik-Anlangen amortisieren sich heute schneller. Trotzdem sind Windkraftanlagen sehr viel effizienter und ihr Potential entsprechend größer, nicht zuletzt hier im Norden.
Was ließe sich denn schneller realisieren?
Da würde ich sagen: Da gibt's keinen Unterschied. Allerdings: Um eine Windkraftanlage zu bauen, muss ich nur wenige Leute überzeugen. Ich muss einen Standort haben, und ich muss eine Betreibergesellschaft haben. Und dann werden die Dinger gebaut.
Bei Photovoltaik-Anlagen muss ich ganz viele Hausbesitzer überzeugen. Ich habe selber gerade eine bei mir installiert und dabei gemerkt: Es ist nicht mehr so einfach, Handwerker zu bekommen. Auch deshalb würde ich sagen: Windkraftausbau, sofern die Standorte vorhanden sind, wird wesentlich schneller gehen als Photovoltaik-Ausbau.
Was könnte die Politik hier in Bremen dazu beitragen, das Ganze zu beschleunigen?
Ich habe bei mir als klimaneutrale Heizung eine Wärmepumpe installiert. Ich habe mein Dach mit 28 cm starkem Dämmmaterial isoliert. Für beides habe ich sehr gute Förderungen bekommen, fast 30 Prozent. Ich habe auch eine Photovoltaik-Anlage installiert, und dafür gibt's nix, zumindest keine Förderung. Bremen könnte den Ausbau der Photovoltaik fördern. Das wäre eine Option.
Das Tolle an der Photovoltaik ist ja der unmittelbare persönliche Bezug durch den Eigenverbrauch. Ich habe eine App auf meinem Smartphone. Die zeigt mir: Jetzt gerade scheint die Sonne. Dann kann ich sehen, was ich gerade produziere, wie das zum Beispiel in die Batterie reingeht. Das macht natürlich Spaß! Ich könnte jetzt die Waschmaschine anwerfen oder die Geschirrspülmaschine. Ich kann es aber auch lassen und den Strom ins Netz einspeisen. Dann kriege ich aber nur 7,3 Cent pro Kilowattstunde. Der Eigenverbrauch und der bewusste Umgang damit – das ist etwas, was als Anreiz für die Installierung einer Photovoltaik-Anlage zieht, glaube ich.
Die meisten Bremerinnen und Bremer verfügen über kein eigenes Haus, sondern beispielsweise über eine Mietwohnung. Was können diese Leute machen?
Man müsste sich mit dem Vermieter einigen. Bei der Dämmung und bei den Heizkosten wird ja auch gerade heiß diskutiert, ob und wie man welche Kosten teilen könnte. Bei einer Photovoltaik-Anlage kann ich genau sehen, was produziert wird. Daher müsste die Einigung zwischen Mietern und Vermietern hier im Grunde einfacher funktionieren.
Den Photovoltaik-Ausbau und die Gebäudedämmung kann jeder Einzelne vorantreiben. Das ist das Schöne daran. Um vom Gas wegzukommen, könnte man die Heizung umstellen auf Wärmepumpen. Für meine Erdwärmepumpe brauchte ich dafür eine 120-Meter-Bohrung vor dem Haus. Aber es könnten sich natürlich auch ganze Straßen zusammenschließen und mit mehreren Bohrungen oder tieferen Bohrungen und größeren Wärmepumpen Nahwärmenetze aufbauen. Das könnte ich mir gut vorstellen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 22. Februar 2022, 19:30 Uhr