Interview
Bremens standhafte Kriegsgegner: Kein Donnerstag ohne Demo
Jede Woche stehen sie mit ihren Friedens-Fahnen auf dem Bremer Marktplatz – und das schon seit fast 40 Jahren. So blickt das Bremer Friedensforum auf den Ukraine-Krieg.
In Bremen gehen derzeit viele Menschen parteiübergreifend zu Protesten gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine auf die Straße. Zuletzt hat auch Fridays for Future dazu aufgerufen. Beim Friedensforum bleibt die Zahl der Teilnehmenden an den donnerstäglichen Demos derweil recht überschaubar. Auf dem Boden steht mit Kreide geschrieben "We stand with Ukraine", auf den regenbogenbuntgestreiften Fahnen steht neben dem deutschen Begriff 'Frieden' auch das kyrillische 'мир'.
Mal sind es 20 Menschen, mal 200, die sich donnerstags zwischen 17 und 18 Uhr zur stillen Mahnwache treffen – je nachdem, was gerade in den Medien hochschwillt, sagt Ekkehard Lentz, Sprecher des Vereins.
Der Krieg geht vielen ziemlich nah. Was macht das mit Ihnen?
Ich bin natürlich sehr deprimiert. Aber der Krieg ist nicht von heute auf morgen gekommen. In der Ukraine wird im Grunde seit 2014 Krieg geführt. Das haben wir im Westen ziemlich verschlafen. Man kann diesen Konflikt sicherlich erklären, aber er ist nicht zu entschuldigen und er ist auch nicht zu rechtfertigen.
Wenn ich höre, dass russische Dirigenten, Opernsänger und Verlage pauschal boykottiert werden oder dass russische Jugendliche verprügelt werden, weil sie russisch sprechen: Das ist eine Entwicklung, die mir auch innenpolitisch große Sorgen macht.
In den Medien wird auch diskutiert, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Auch hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, 100 Milliarden Euro in Rüstung zu stecken. Was halten Sie davon?
Wir brauchen hier keine Verteidigung aufbauen. Im letzten Bundeshaushalt wurden knapp 53 Milliarden Euro für sogenannte Verteidigungszwecke veranschlagt. Seit 2014 ist der Rüstungshaushalt um fast 40 Prozent gestiegen. Wir sind militärisch nicht schwach. Und dieses 100-Milliarden-Projekt von Bundeskanzler Scholz, das wäre unter normalen Umständen nie möglich gewesen. Wir werden davon nicht profitieren. Davon werden nur diejenigen profitieren, die an der Rüstung verdienen.
Was bedeutet für Sie im Bremer Friedensforum der Begriff 'Frieden'?
Frieden hat etwas mit gutem Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationen, unterschiedlicher Generationen sowohl im Inneren als auch im Äußeren zu tun. Dazu gehört, dass gegenseitig die Grenzen geachtet werden und dass die eigenen Sicherheitsinteressen beachtet werden.
Wir sind, es lässt sich nicht anders sagen, in einer Schicksalsgemeinschaft. Die Welt ist sehr zerbrechlich, nicht nur, was den Klimawandel angeht, sondern noch mehr durch die drohende Gefahr eines Atomkrieges. Und natürlich macht mir das Sorgen, wenn der russische Präsident Putin über Möglichkeiten, also auch des Einsatzes von Atomwaffen, spricht. Und das müssen die Menschen verstehen, dass mit Aufrüstung und Waffenlieferungen kein Frieden gesichert werden kann.
Und wo fängt Krieg an?
Krieg fängt oft bei Worten an, man spricht oft vom Säbelrasseln. Das haben wir natürlich im Vorfeld dieses Einmarsches in die Ukraine seit Wochen erlebt und vor dieser Kriegsrhetorik gewarnt. Das haben wir unterschätzt, das sage ich auch selbstkritisch. Wir haben die Truppenansammlung unterschätzt, das war schon die Vorbereitung eines Krieges. Das finde ich schrecklich. Trotzdem muss jetzt mit den handelnden Akteuren gesprochen werden. Es gibt keine Alternative zu Diplomatie und Frieden.

Gerade gehen viele Menschen auf die Straße. Alle wollen etwas tun, der Krieg ist gefühlt sehr nah. Wie sehen Sie diese Bewegungen?
Ich bin erstaunt, wie schnell so etwas zu mobilisieren ist, wie eine Stimmung getroffen wird. Und das ist in der Tat ja einschneidend: Kiew ist näher an Bremen als Palma de Mallorca.
Bis vor Kurzem hat sich die Friedenssehnsucht aber nicht immer auf der Straße bemerkbar gemacht. Jetzt gehen viele besorgte Menschen auf die Straße, auch zu uns zur Mahnwache.
In den sozialen Netzwerken werden Friedensposts geteilt. Auch hier nutzen Menschen Peace-Flaggen zum Posieren: Haben Sie das Gefühl, dass Friedensprotest gerade auch ein Trend sein könnte?
Mich erinnert das ein bisschen an die Hochphase der Friedensbewegung in den 1980ern. Da waren die Proteste im Mainstream-Trend. Damals gab es die sozialen Medien noch nicht. Aber ich freue mich über jeden Post mit Friedensflagge, auf Facebook, auf Twitter, auf Instagram, auf TikTok oder wo auch immer.
Das ist aber auch eine Blase, da darf man sich nichts vormachen. Da kommen nur bestimmte Kräfte zusammen. Es ist andererseits aber auch ein Spiegelbild. Wenn ich auf Twitter sehe, wie da die Auseinandersetzungen laufen, auch gegen uns als Friedensforum (Anmerk. der Redaktion: Gemeint sind Zugeständnisse gegenüber der russischen Politik). Wenn man nur ein bisschen versucht, alle Seiten zu beleuchten, wird man ganz schnell in eine Ecke gedrängt – nicht nur als 'Putinversteher' oder 'Russenversteher', sondern sogar als 'Putin-Knecht' wurde ich bezeichnet. Ich freue mich aber, wenn der Trend 'Frieden' da ist. Hashtag Frieden. Aber ich freue mich auch über Abrüstung, Verständigung, Waffenstillstand, Rüstungsstopp und weitere.

Sie stehen hier seit knapp 40 Jahren, mal mit 20, mal mit 200 Menschen: Wie kann diese Bewegung nachhaltig werden?
Durch weiteres Handeln, durch Gespräche miteinander, durch das Erleben von gemeinsamen Aktionen. Ich habe selber als junger Mann mit der Friedensbewegung angefangen, Mitte der 70er-Jahre. Ich glaube schon, dass unser Engagement einiges zur Friedenssicherung beigetragen hat. Aber wir haben eben auch viele Ziele nicht erreicht. Und deshalb kann man eigentlich nur weitermachen.
Wenn man sozusagen in Resignation verfällt, ins Private zurückgeht, kann man das individuelle Leben sicherlich genießen. Das können Leute aus der Friedensbewegung auch. Wir sind ja keine Dogmatiker, aber das reicht nicht aus.
Um nachhaltig zu wirken, muss man am Ball bleiben und sich immer wieder informieren, auch über unterschiedliche Kanäle. Und für mich ist auf Russland bezogen ganz entscheidend: Mein Großvater ist mit der SS im Zweiten Weltkrieg gewesen, in der Sowjetunion, und hat da an den Verbrechen der Deutschen teilgenommen. Da sollten wir insgesamt schon vorsichtig sein, gerade was Russland angeht. Die Sowjetunion hat 27 Millionen Tote nach heutiger Geschichtsschreibung zu beklagen. Und da sollten wir Deutschen es besser wissen und nicht in der vordersten Front sein, auch wenn wir glauben, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 3. März 2022, 19:30 Uhr